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Michael Bakunin und die Anarchie. Ricarda HuchЧитать онлайн книгу.

Michael Bakunin und die Anarchie - Ricarda Huch


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der sich allmählich vorbereitet und zuweilen schon drohend angekündigt hatte. Michael Alexandrowitsch liebte und verehrte seinen Vater mit Zärtlichkeit und unbedingt, fast wie einen Gott; dazu war ihm angeboren eine anschmiegende, hinreißende Liebenswürdigkeit, die ihm, solange er lebte, die Herzen gewonnen hat; es mußte unglaublich scheinen, daß von diesem Sohne plötzlich ein so einschneidender, weittragender Widerstand ausging. Der hochgewachsene, schöne, durch Körperkraft und unerschütterliche Gesundheit begünstigte junge Mann, dem seine Abkunft schnelle Beförderung sicherte, schien zum Offizier geschaffen zu sein; sein Verwerfen eines so annehmbaren Lebensplanes kam den Eltern wie tolle Laune vor. Gab man dieser Raum, so blieb nach der herrschenden Anschauung und den herrschenden Verhältnissen nichts übrig als Staatsdienst in der Verwaltung, worauf der Vater auch seinen Sohn hinwies. Michael indessen wollte nicht aus dem Regen unter die Traufe kommen; von der Beamtenlaufbahn wollte er noch weniger wissen als vom Militär, er wollte frei sein, die Welt auf sich wirken lassen und sich eine Anschauung von der Welt bilden. Wie in den Schwestern, so war auch in ihm, und noch stärker, der religiöse Trieb lebendig; nicht in der Form, daß er dem natürlich Höheren sich unterworfen hätte, sondern er wollte die allerletzte, allerhöchste Bestimmung des Menschen kennenlernen und dieser sich hingeben. Daß das im allgemeinen die nächste ist, ging ihm nicht ein. Er wies gleichsam alle die Vermittelungen zurück, die die Natur der Gottheit an die Seite stellt, um sich vor Gott hinzuwerfen und den Auftrag aus seinem Munde zu empfangen; das dunkle Gefühl einer besonderen Berufung erfüllte ihn so ganz, daß er ohne Zaudern und Furcht beiseiteschob, was ihn auf den landläufigen Weg geführt und seine Kräfte auf alltägliche Art in Anspruch genommen hätte. Es ist begreiflich, daß die Eltern in diesem Verhalten nur Anmaßung und Torheit sahen. Wie die meisten russischen Aristokraten war Alexander Bakunin, obwohl Besitzer eines großen Gutes und vieler Seelen, nicht reich an Geld und konnte seinem Sohn ein unabhängiges Leben in Moskau oder Petersburg nicht gewähren. Michael ließ sich dadurch nicht abschrecken und erklärte, sich selbst den Lebensunterhalt verdienen zu wollen durch Erteilen von Mathematikstunden. Dazu lächelte der Vater und zuckte die Achseln; er konnte den Ausflug des Sohnes ruhig mit ansehen und seine Rückkehr ins heimische Nest erwarten.

      So war Michael frei und ging nach Moskau, versehen mit Visitenkarten, auf denen zu lesen war: Michael Alexandrowitsch Bakunin, Mathematiklehrer. Das war kindliche Prahlerei und doch auch ein Programm und ein Motto: Er schätzte die Kraft, die sich durch eigene Arbeit erhält, höher ein als ererbten Besitz und ererbtes Vorrecht.

      In Moskau lebten Freunde der Familie Bakunin, mit denen Michael verkehrte: Frau Beer, eine Witwe mit zwei Töchtern. Die jungen Mädchen waren nicht schön, aber lebhaft und anregend, anziehend genug, daß sich begabte junge Leute gern in dem geselligen Hause einfanden. Dort lernte Michael jenen Stankjewitsch kennen, von dem er noch im Alter mit Liebe und Bewunderung sprach, den er seinen geistigen Vater nannte. Er erinnert an die Betrachtung, die David Strauß, von Jesus Christus sprechend, über gewisse Genies der Menschenliebe anstellt, die, ohne eigentlich Taten zu tun oder Werke zu schaffen, durch den persönlichen Einfluß, den sie auf alle ausüben, unendlich und schöpferisch fortwirken. Zu diesen Genies zählt Bakunin, wenn auch in großem Abstande von Christus, seinen frühverstorbenen Freund Stankjewitsch. Er schildert ihn als frei von jeder Eitelkeit oder Anmaßung, Wärme und Geist ausstrahlend, wie er denn auch von allen Freunden ohne Einschränkung, ohne Neid und Eifersucht geliebt wurde. Durch Stankjewitsch wurde Michael zur deutschen Philosophie geführt, und zwar war das erste Buch, das er studierte, in welchem er zugleich die deutsche Sprache und das Denken lernte, wie er selbst sagt, Fichtes »Anweisung zum seligen Leben«. Es machte einen überwältigenden Eindruck. Wie Fichte noch jener Generation angehörte, die auf Grund der Bibel erzogen wurde, so ist auch dies Buch vom Geist der Bibel durchdrungen, aufgebaut auf dem Grundgedanken des Kampfes zwischen dem Gottesreich und der Welt. Verstand Luther unter Welt die Summe alles dessen, was der Mensch bewußt aus sich hervorbringt, so dürfen wir wohl Welt und Zivilisation gleichsetzen; da in diesen Rahmen vieles fällt, was mehr nach außen schimmert als einem inneren Gehalt entspräche, so unterscheidet man oft gleichbedeutend Äußeres und Inneres, obwohl die Begriffe Äußeres und Inneres, Welt und Gottesreich sich nicht ganz decken. Michael hatte eine Eigenschaft, die für den Dichter wesentlich ist: eine unbegrenzte Empfänglichkeit. Seine Seele war ein lockeres, jungfräuliches Erdreich, durstig nach Keimen, kräftig, sie zu nähren und zu entwickeln. Von dem Samen, der die Luft der Zeit erfüllte, entging ihm nichts; er sog ihn auf, bewußt und unbewußt, und er wurde sein eigen. Charakteristisch aber war für ihn, daß er das neuerfaßte Ideal sofort zu verwirklichen suchte, und zwar innerhalb einer Gemeinschaft. Als nächste Jünger boten sich ihm die Schwestern Beer und seine eigenen Schwestern. Leicht wurde es ihm, jene zu gewinnen, bedeutend schwerer diese, die ihn als den jüngeren Bruder, das Kind, neben sich hatten aufwachsen sehen. Es galt, das mütterliche Gefühl, das sie für ihn gehegt hatten, so umzuwandeln, daß sie den brüderlichen Führer in ihm sahen. Die überschwengliche Bewunderung der Schwestern Beer machte sie anfangs mißtrauisch, trotzdem gelang es der Ehrlichkeit seiner Überzeugung, seinem flammenden Wesen, seiner Gabe zu sprechen, sie den Eltern zum Trotz zu sich hinüberzuziehen. Er brachte ihnen die Ideen Fichtes als neue Religion, in der sie nach Überwindung des anfänglichen Widerstrebens mit Entzücken diejenige erkannten, die sie unter der Hülle der kirchlichen stets gesucht hatten. Es ist nicht leicht, den Inhalt dieser Religion genau anzugeben, denn was ist ein Aufschwung zu höheren Idealen, die nicht näher bezeichnet werden und mit nichts Irdischem in bestimmte Beziehung gebracht werden? Greifbar war zunächst nur der Kampf gegen das Weltliche, wie es das Leben einer Familie in der Stellung der Bakunin durchdrang, die Ablehnung der üblichen Geselligkeit, der geselligen Vorurteile, des gesellschaftlichen Ehrgeizes, des Strebens nach Geltung in der Welt. Es läßt sich denken, wie störend die Eltern Bakunins den Einzug der neuen Religion in die Familie empfanden. Michael, wenn er im Dorf war, wie man kurzerhand Prjamuchino zu benennen pflegte, weigerte sich, an der Gesellschaft teilzunehmen, wenn etwa Besuch kam, blieb auf seinem Zimmer, um zu lesen und zu schreiben, und verargte es den Schwestern, wenn sie Bälle mitmachten und sich den Hof machen ließen. Er wurde hierin bestärkt durch eine despotische Eifersucht, die seine Liebe zu den Schwestern eigentümlich färbte und ihn jeden Mann hassen ließ, der sich ihnen näherte. Ich möchte glauben, er habe nie eine Frau so heiß, so rückhaltlos geliebt wie seine Schwestern, vorzüglich Tatjana. Es erweckt eine hohe Meinung von ihr, wie sie diese Liebe mit ebensolcher Inbrunst erwidert und dennoch mit dem edelsten Zartgefühl die Maßlosigkeit des Bruders abzuschwächen weiß, indem sie das auf sie Gewendete als allen Schwestern geltend auffaßt und auch der den Eltern gebührenden Ehrfurcht, ja auch einer Schonung ihrer etwaigen Schwächen nichts nehmen läßt. Sie empfand die Religion als das Verbindende, Michael erfaßte sie von Anfang an als das Element des unerbittlichen Kampfes.

      Eine starke Natur entfaltet eher ihr Temperament, die Stimmung und das Gefühl, womit sie einst im Leben stehen wird, als daß sie Absicht und Richtung erkennen läßt, die ihr selbst erst später zum Bewußtsein kommen. Als Michael etwa vierundzwanzigjährig war, fühlten alle seine Freunde seine Kraft, seine Eigenart, den Zauber, der von ihm ausging, ohne weissagen zu können, wohinaus es damit wollte.

      Neben Stankjewitsch war es Wissarion Bjelinski, mit dem Bakunin in enger freundschaftlicher Gemeinschaft lebte. Bjelinski hatte ganz andere Hintergründe als Bakunin: Er war arm, alleinstehend, gedrückt, sehnsüchtig nach Schönheit und doch stolz in seinem Schatten. Wie ein Wunder erschien ihm der glückliche, vollständig unbekümmerte Michael Bakunin. Es ist etwas Schönes, wenn das Äußere eines Menschen sein Wesentliches so deutlich ausprägt, daß er bei seinem Erscheinen sofort als Ganzes wirkt. Das war bei Michael oder Michel, wie man ihn in Rußland in französischer Aussprache nannte, der Fall. Das Gigantische seiner Gestalt, das an Peter den Großen erinnerte, versinnbildlichte das Übermaß seines Wollens, seiner Träume und künftigen Taten. Sein großes, offenes Gesicht mit dem kühnen Blick der hellen Augen, die das Feuer der Seele leicht verdunkelte, ließ die verschiedensten Menschen an ein Löwenhaupt denken und damit an eine wilde, unzähmbare, großmütige Natur. Sein Jugendbild erinnert an Beethoven, nicht nur durch das reiche, dunkellockige Haar und durch das Ekstatische, das sein Blick zuweilen annahm, sondern auch durch die Gesichtsbildung. Bjelinski gab sich diesem neuen Menschen, der anders war als alle anderen, die er kannte, ganz hin, mehr vielleicht durch seine Persönlichkeit bezaubert, als an den Ideen interessiert, die Michel ihm mitteilte. Was als intellektuelle Begabung zunächst


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