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Michael Bakunin und die Anarchie. Ricarda HuchЧитать онлайн книгу.

Michael Bakunin und die Anarchie - Ricarda Huch


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anderen zu übermitteln. Dadurch brachte er Bjelinski, der mehr in der Anschauung lebte und sich bis dahin um Ideen nicht gekümmert hatte, viel Neues; aber es war nicht das Philosophieren, das Bjelinski eigentlich anzog, denn das wurde ihm vielmehr oft zu viel und stieß ihn ab. Natalie Beer schrieb an ihre Schwester, nachdem sie Michel kennengelernt hatte: »Dies ist einer von denjenigen Menschen, deren Charakterstärke und Seelenbegeisterung Großes vermögen. Seine Anwesenheit hat eine Wirkung auf mich ausgeübt, von welcher ich Dir niemals einen vollständigen Begriff werde geben können. Es war ein Chaos, ein Abgrund von Gefühlen und Ideen, die mich vollständig erschütterten; tausendmal machte ich mich daran, diese Dinge zu überdenken, zu vertiefen, und jedesmal verlor ich mich in dem Labyrinth. O das kommt daher, weil das Herz und der Kopf Michaels ein Labyrinth sind, in welchem Du nicht bald einen wegweisenden Faden findest, und die Funken, die dann und wann aufflammen (denn sein Herz und sein Kopf sind aus Feuer), entzünden auch Dir unvermerkt Herz und Kopf.«

      Ähnlich erging es seinen Schwestern; die schwungvolle Kraft seines Gefühls, die ihm fast immer gegenwärtig war, trug sie wie auf Flügeln und machte ihn unentbehrlich. War er da, so erschien das Leben wichtig, die Zukunft reich und unerschöpflich; wie hätte man den Besitzer eines solchen Zauberstabes nicht herbeiwünschen oder vermissen sollen? Er fühlte dunkel eine schöpferische Kraft in sich; wie die Welt gestaltet war, die er in sich trug und die er außer sich sehen wollte, wußte er noch nicht, aber das Gefühl von ihr sprang auf seine Bekannten über. Auch Bjelinski urteilte: »In meinen Augen bist Du jetzt nichts anderes als ein Ausdruck chaotischen Gärens der Elemente. Dein Ich strebt, sich herauszuarbeiten, und zwar in riesenhaften Formen.« Das »Kochen des Lebens, der unruhige Geist, das lebendige Streben zur Wahrheit«, so schreibt er, habe ihn eingenommen. Von einem Manne ist es verständlich, daß er sich gelegentlich wieder auflehnt, wenn er sich von einem Freunde hat unterjochen lassen; das Verhältnis zwischen Bakunin und Bjelinski hat eine wechselvolle, stürmische Geschichte, bezeichnet durch Bjelinskis Versuche, sich von dem Freunde loszureißen, und die erneute Rückkehr an das magnetische Herz. Sicherlich hatte Bjelinski recht, wenn er Bakunin Herrschsucht vorwarf: Er war ein geborener Diktator. Er verlangt von seinen Freunden, so hieß es von ihm, daß sie dieselbe Ansicht über das Wetter und denselben Geschmack an Buchweizengrütze haben müssen wie er. Dabei war er so naiv, so kindlich, so gutmütig und so ohne Ahnung von seiner Herrschsucht und ohne Absicht, zu herrschen, daß die Entrüsteten bald ihre Vorwürfe zu bereuen und zurückzunehmen pflegten. Noch etwas anderes war Bjelinski an Michel unverständlich und abstoßend, nämlich sein eigentümliches Verhalten in Geldangelegenheiten. Es zeigte sich bald, daß Alexander Bakunin recht hatte, wenn er kein Vertrauen in die Mathematiklehrerlaufbahn seines Sohnes setzte. Zwar bekam er einen oder einige Schüler, aber er fand immer Gründe, die Stunden ausfallen zu lassen, und ebenso ging es meist mit dem Übersetzen von Büchern, wodurch er Gelegenheit gehabt hätte, zu verdienen. Er schrieb wohl einiges und übersetzte auch aus dem Deutschen, zum Beispiel Bettinas Briefwechsel mit Goethe; allein zu einer regelmäßigen Arbeit kam es nicht, und er verfiel auf die Idee, die Aufgabe unter seine Freunde zu verteilen, so daß auf jeden ein Kapitel zu übersetzen kam und für ihn gar nichts übrigblieb. Zu einem Beruf, der Stunde für Stunde und Tag für Tag ausgeübt werden muß, war er untauglich. Da seine gelegentlichen Einnahmen zum Leben nicht ausreichten, half er sich dadurch, daß er Schulden machte, die er fast nie zurückerstattete. Bjelinski, von Haus aus arm und immer genötigt, sich gegen die Herablassung oder Nichtachtung der Reichen zu wehren, auf seine eigene Arbeit von jeher angewiesen, begriff Michels Unbekümmertheit dem Gelde gegenüber nicht. Unabhängig zu sein, aus sich selbst zu leben, erschien ihm als die erste selbstverständliche Grundbedingung anständigen Lebens, und er warf dem Freunde seine Liederlichkeit heftig vor und machte ihn auf das rücksichtsloseste herunter.

      Plötzlich aber, wenn er sich Michael vorstellte, wie er achtlos und fröhlich, wenn er gerade Geld eingenommen hatte, alles hergab, um etwa ihm, Bjelinski, aus einer Klemme zu helfen, wie er sofort vergaß, daß er es getan hatte, so wendete sich ihm das Herz, und es erschien ihm auf einmal, als könne das Überlegenheit sein, was er zunächst als klägliche Schwäche und beinahe verachtungswürdig angesehen hatte. Es gehört viel dazu, sich dauernd mit Geld helfen zu lassen und sich doch niemals abhängig zu fühlen. Zu einem Teil erklärt es sich wohl durch die sorglose Gewohnheit des Aristokraten, aus einem vorhandenen Überfluß zu schöpfen; noch mehr aber durch eine Michel angeborene Geringschätzung des Geldes und ein angeborenes Gemeinschaftsgefühl. Er war frei von dem engherzigen Eigentumsbewußtsein, das für den modernen Menschen charakteristisch ist. So wie er niemals daran gedacht hätte, sein Eigentumsrecht auf Gedanken geltend zu machen, war er auch stets bereit, von anderen zu lernen, und ebenso gab und nahm er auch materielle Werte. Es bleibt höchst wunderbar, daß diese Besonderheit seines Wesens zwar zuweilen das Urteil der anderen über ihn beeinträchtigte und Beziehungen trübte, dennoch aber im ganzen den Eindruck, den seine gewaltige, überraschende Erscheinung überall machte, nicht verkleinert hat. Es ehrt die Menschheit, die doch am Gelde klebt, daß einer, der es von ihr annahm und mit Füßen trat, weitaus mehr Freunde als Feinde fand und weitaus mehr Liebe erregte als Wut, Haß und Verachtung.

      Bjelinski war so wenig kleinlich, daß er in dem Verhalten seines Freundes, während er es mißbilligte, doch etwas Neues, Wunderbares, mit gemeinem Maße nicht zu Messendes fühlte.

      In die Freundesbeziehungen mischten sich teils belebend, teils störend verschiedene Liebeswirren. Natalie Beer hatte sich zuerst in Stankjewitsch verliebt, und als sie bemerkte, daß ihre Neigung unerwidert blieb, in einem Aufschwung der Seele ihn mit ihrer Freundin Ljubow Bakunin bekannt gemacht, in der er, nach ihrer Meinung, das gesuchte Ideal finden würde. Nach der Bekanntschaft mit Michael lud dieser die Freunde ein, und Stankjewitsch und Bjelinski verlebten glückliche Monate auf dem Gute. Stankjewitsch verlobte sich wirklich mit Ljubow, Bjelinski entbrannte leidenschaftlich für Alexandra, die jüngste Schwester. Beide empfingen einen unauslöschlichen Eindruck von dieser Familie in dieser Umgebung. Bjelinski sah zum ersten Male die Harmonie und Schönheit des Lebens, die er ersehnt hatte, in reifer Wirklichkeit vor sich. Vielleicht gab es viele große Güter in Rußland mit Wäldern und Strömen, gastlichen Herrenhäusern und weiten Blicken in eine unergründliche Natur; hier aber begegnete man dem alles krönenden menschlichen Geist als der Blüte und Frucht, in den die aromatischen Säfte aus unzähligen Quellen münden. In dem Benehmen und den Gesprächen des Vaters und der Kinder war jene Kultur zu spüren, die darin besteht, daß alles Unwesentliche, so angenehm, nützlich und bequem es sein mag, nur um des Ewigen willen geschätzt wird, mit dem es verbunden ist. Der alte Bakunin, durch Erblindung, die ihn traf, als er etwa sechzigjährig war, noch würdevoller und gleichsam geheiligt, hatte als junger Mann dem Kreise der Dekabristen nahegestanden, ohne daß es ihn je zu Taten gedrängt hätte. Einst hatte er seinen Leibeigenen eine Verfassung geben wollen, da sie selbst sie aber als Neuerung ablehnten, jeden Versuch zu Veränderungen aufgegeben. Älter werdend, neigte er ausgesprochen zum Bestehenden, worin ihn seine Frau bestärkte. Mit der Urbanität eines großen Herrn übte er Duldung gegenüber freier Meinungsäußerung in seinem Hause, vorausgesetzt, daß der Gast seinerseits sich im selben Geiste bewege. Bjelinski jedoch, der Arme, Leidende, den die Liebe noch linkischer machte und den das Glück und die Harmonie des Hauses ebenso verletzte, wie sie ihn entzückte, sprach ketzerische Ansichten zuweilen mit einem rohen Nachdruck und einer Absichtlichkeit aus, die den alten Herrn empörten. So handelte es sich einmal bei Tische um die Französische Revolution, die eine Art Maßstab für die Gesinnungen bildete. Der alte Bakunin zürnte seinem Sohne, daß er und mit ihm seine Freunde den Frieden seines Hauses trübten. Es kam so weit, daß die Kinder den Eltern als ein feindlicher Haufe gegenüberstanden, angeführt von Michael unter der Fahne der neuen Religion. Sein Evangelium wurde auch von den jüngeren Brüdern angenommen, welche in Twer auf die Schule gingen und sich dort unaussprechlich langweilten, von Heimweh nach dem geliebten Dorf erfüllt. Sie beschlossen, von Michaels Ideen begeistert, den verhaßten Zwang abzuwerfen und zu ihm nach Moskau zu entfliehen, wo sie dem vorauszusehenden Zorn des Vaters Trotz bieten würden. Als die Großmutter, welche in Twer wohnte und eine Art Aufsicht führte, von ihren Plänen unterrichtet, ihnen ihr Betragen strafend vorhielt, kündigten sie ihr förmlich den Gehorsam auf. Nicht mit Unrecht sahen die erschrockenen Eltern in Michael die eigentliche Ursache dieser Schülerempörung. Michel schrieb denn auch den Brüdern einen Brief, in dem er ihnen klarmachte, sie hätten ihn mißverstanden, in ihrem Alter müsse man noch gehorchen;


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