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Michael Bakunin und die Anarchie. Ricarda HuchЧитать онлайн книгу.

Michael Bakunin und die Anarchie - Ricarda Huch


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schwach gegen ihn. Seine Mutter war eine sanfte, liebe Frau, doch besaß sie offenbar weder die Bildung noch die Persönlichkeit, ihrer Umgebung zu imponieren; die Dienerschaft war ihr ergeben.

      Die Welt, in der ein Kind aufwächst, die Familie und das Haus, bilden unvermerkt seine erste, unwillkürliche Weltanschauung. Dem jungen Alexander Herzen drängten sich früh Widersprüche, Unwahrhaftigkeit, Ungerechtigkeit auf; weder seinem Vater noch seiner Mutter brachte er unbedingte Wahrhaftigkeit entgegen. Er litt unsäglich durch die trübselige Öde, die in seinem Vaterhause herrschte, und die einzig unendliches Bücherlesen erträglich machte. Das erste schöne, wärmende Licht ging ihm durch die Freundschaft auf. Nikolaus Ogarjew war es, der Sohn eines entfernten Verwandten des Jakowlew, der, schwärmerisch und weich veranlagt, den stolzen, ehrgeizigen Alexander ergänzte. Sie entdeckten mit wachsendem Glücksgefühl die Ähnlichkeit ihrer Neigungen und wie sie sich von den anderen Knaben ihres Alters unterschieden. Sie lasen zusammen Schiller und berauschten sich an seinem edlen Pathos; sein ganzes Leben hindurch bewahrte Herzen diese Vorliebe und wußte viele Verse des deutschen Dichters auswendig. Ogarjew selbst machte weiche, angenehm fließende Gedichte von wehmütigem Charakter. Gesellig und versöhnlich, war er das verbindende Element zwischen verschiedengearteten Menschen, in allen Verhältnissen der Nachgiebige und der Leidende. Früh sich seines Willens bewußt, lehnte Alexander es von vornherein ab, die militärische Laufbahn einzuschlagen, auf der er es trotz seiner illegalen Geburt durch die Verbindungen des Vaters zu Ehren gebracht hätte, und setzte es durch, an der Universität studieren zu dürfen. Der Zwang, der auf den Universitäten lastete, brachte die Studenten in einen selbstverständlichen Gegensatz zur Regierung. In Herzen bestand dieser ohnehin; er war dreizehn Jahre alt, als die Dekabristen fielen, und hatte sich mit Ogarjew gelobt, ihnen nachzueifern und sie zu rächen. Durch Ogarjew wurde er mit den Schriften des Saint-Simon bekannt, des ersten Verkünders sozialistischer Ideale, und dieser neuen Lehre schloß er sich an. Der Polizei wurde es bald bekannt, daß eine Gruppe von jungen Leuten diese Schriften las, die für höchst verwerflich und gefährlich galten; da es aber nicht anging, ihnen wegen des Lesens von Büchern den Prozeß zu machen, wurde eine andere Gelegenheit ergriffen. Bei Ogarjew pflegten sich die Freunde zu fröhlichen Gelagen zu versammeln; bei einem solchen wurde ein Spottlied auf Kaiser Nikolaus gesungen, das den erwünschten Anlaß zum Einschreiten gab. Das Urteil lautete für Herzen und einige andere auf Todesstrafe und wurde in Verbannung und Beamtendienst unter behördlicher Überwachung gemildert. Er wurde zuerst nach Perm und dann nach Wjatka verschickt.

      So bekam Herzen Gelegenheit, die russische Bürokratie gründlich kennenzulernen, die der Initiative des einzelnen keinen Spielraum ließ und aus jungen, dem Leben geöffneten Menschen bald schläfrige Pedanten, bald Betrüger machte. Die dumpfe Jämmerlichkeit des öffentlichen Lebens in einer kleinen Provinzstadt, der erzwungene Umgang mit Menschen, die er verabscheute, peinigten ihn so, daß er anfing zu trinken und ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau einging, dessen Geschichte er später in dem überaus witzigen, scharfsinnigen Roman »Wer ist schuld?« geschrieben hat. Trotzdem stand er bereits in herzlicher Beziehung zu seiner Cousine Natalie, die er nach Auflösung jener Liebschaft heiratete, die die große Liebe seines Lebens blieb, wie Ogarjew der Freund seines Herzens.

      Auch diese junge Jakowlew war ein illegitimes Kind; viel schlechter gestellt als Alexander, mußte sie froh sein, von einer alten fürstlichen Verwandten ins Haus genommen zu werden, wo sie ein eingeengtes, freudlos eintöniges Leben führte. Ihrer durch die Einsamkeit gesteigerten Einbildungskraft erschien der geistvolle Vetter mit den blitzenden Augen, den Gefängnis und Verbannung mit der Glorie des Märtyrers umgab, wie ein Held, ja sein Bild verschmolz ihr mit Christus selbst, und ihre Liebe wurde eins mit Religion. Zwar wies er die Vergötterung, die das weltfremde Mädchen ihm weihte, zurück als etwas, das ihm nicht zukomme und das ihn beängstige, und doch konnte nur eine solche Liebe die übermäßige Spannung seines Innern ausgleichen. Seiner Unternehmungslust und einer Reihe von Zufällen, wie sie dem Mutigen zu Hilfe kommen, glückte es, die Geliebte, deren Besitz ihm von den Angehörigen verwehrt wurde, zu entführen und zu heiraten. In Wladimir, nicht weit von Moskau, verlebten sie einige Jahre überschwenglichen Glückes, dem allerlei Einschränkungen und Entbehrungen nur um so mehr einen abenteuerlichen Glanz und den Charakter des Außergewöhnlichen verliehen. Als sie im Jahre 1840 nach Moskau übersiedeln konnten, fanden sie vieles verändert, am störendsten für Herzen, daß auch Ogarjew sich verheiratet hatte und daß seine Frau nicht in den Freundeskreis paßte. Der arme, weichherzige Ogarjew, dessen Herz von zwei Seiten bekämpft, bestürmt, zerrissen wurde, litt unsäglich; vergeblich bemühte er sich, alle, die er liebte, untereinander zu vereinigen, nach einer Reihe von Jahren endete seine Ehe durch Scheidung. Seine Freundschaft mit Herzen war trotz dieser Verwickelung nicht erschüttert worden, überhaupt schränkte die Ehe sein Talent zur Freundschaft nicht ein. Sein Haus war wie einst der Treffpunkt für verschiedene Freunde; auch Bakunin lernte Herzen durch ihn kennen.

      In der Hauptsache waren es drei Kreise, die sich jetzt vereinigten: die um Stankjewitsch, zu denen Bjelinski und Bakunin gehörten, die um Herzen und die Slawophilen. Diesen letzteren standen jene als die Westler gegenüber, unter sich wieder unterschieden als Deutsche und Franzosen. Stankjewitsch und seine Freunde standen auf dem Boden der deutschen Philosophen, vertreten namentlich durch Fichte, Schelling und Hegel, Herzen und die Seinigen gingen von Saint-Simon und den Ideen der Französischen Revolution aus, so wie derselbe sie erfaßt und ausgebildet hatte; die Slawophilen lehnten die westliche Kultur überhaupt ab und wünschten das wesentlich Russische in Rußland zur Herrschaft zu bringen.

      Ich möchte zusammenfassen, was es wesentlich war, das Bakunin aus den deutschen Einflüssen schöpfte. Fichtes Anweisung zum seligen Leben, das erste deutsche Buch, welches er studierte, ist auf die Bibel, vorzugsweise auf das Evangelium Johannes gegründet und enthält demgemäß als Grundgedanken den Gegensatz zwischen Gesetz und Liebe, daß nämlich der Liebende über das Gesetz erhoben ist. Dieser Gedanke ist es wohl auch, der Michael die Schriften der Bettina von Arnim so lieb machte. Der vom natürlichen Freiheitsgefühl Durchdrungene schwang sich beglückt in den göttlichen Äther der Liebe, der das Gesetz tief unter sich läßt. Er begriff dies ohne weiteres durch seine Natur, die den Menschen nur durch Liebe oder Haß verbunden war. Nicht einmal sein Verhältnis zu den Eltern machte er von Gesetz oder Überlieferung irgendwelcher Art abhängig; er liebte seinen Vater, ja er betete ihn an, er liebte seine Schwester, seine Freunde so, wie sie waren, sofort sie als Ganzes, Unteilbares erfassend; wo er nicht liebte, hemmte ihn keine gesellschaftliche oder sittliche Betrachtung. Sein Gefühl war so stark und hatte so bestimmte Richtungen, daß es ihm gemäß war, sich mit Bewußtsein dem Gefühl zu überlassen. Merkwürdig ist es, daß sein Verstand ebenso groß war wie sein Gefühl, daß aber sein Verstand sich niemals hindernd zwischen sein Gefühl und dessen Betätigung drängte. Sein Gefühl war nie zerfasert und verzettelt: Es sprang gerade und unaufhaltsam wie das Licht aus seinem Herzen. Was übrigens aus Fichtes Werken in ihn einging, war die Entrüstung über den Zustand der Welt und der Wille, diesen Zustand gänzlich umzuwerfen und zu erneuern. Einen nicht ästhetischen, sondern ethischen Maßstab an die Welt anzulegen, das streitbare, unerschrockene Christentum, das, die Idee der menschlichen Brüderlichkeit im Herzen, unnachgiebig fordernd an die verteufelte Welt herantritt, diese Gesinnung Fichtes war es, die bei Michael Bakunin zündete, weil sie in ihm schlummerte. Das durchaus Fremde kann wohl auf den Kopf, nicht aber auf den ganzen Menschen wirken; das Wesentliche von dem, was Fichte sagte, war Michael nicht neu; aber es trat ihm hier, von einer abgeschlossenen Persönlichkeit getragen, übersichtlich entgegen und entrückte ihn mit einem Zauberschlage in eine hohe Geistergemeinschaft. Lange vorher schon hatte er an Natalie Beer geschrieben: »Meinem Herzen ist es eingegraben: dieser wird nicht für sich selbst leben.« Eben zum Bewußtsein erwacht, fühlte er sich schon berufen zu der Aufgabe eines jeden Helden, für die Schwächeren gegen die Übermacht, für die Freiheit gegen Ketten zu kämpfen.

      Während Herzen und Ogarjew sich an Schiller begeisterten, vertiefte Bakunin sich in Goethe. Es war das Romantische, was ihn stets am meisten anzog. Faust hatte er ganz in sich aufgenommen; auf einem Jugendbilde, in Aquarell gemalt, das er seinen Freundinnen Beer schenkte, hält er einen Zettel in der Hand, auf den er selbst geschrieben hat: »Nur der verdient sich Liebe und das Leben, der täglich sie erobern muß.« Ob er absichtlich oder versehentlich Liebe statt Freiheit setzte, weiß ich nicht. Die germanische Idee der persönlichen Freiheit,


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