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Michael Bakunin und die Anarchie. Ricarda HuchЧитать онлайн книгу.

Michael Bakunin und die Anarchie - Ricarda Huch


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Mannigfaltigkeit der Erscheinungen, welche darauf beruht, tat es ihm vielleicht um so mehr an, als er in Rußland eine trostlose Monotonie verwirklicht sah und solche noch mehr angestrebt wurde. Vergleicht man italienische und deutsche Ortschaften mittelalterlichen Ursprungs, so überrascht einen die Fülle phantasiereicher Formen, welche in Deutschland Plätze, Straßen und Häuser schmückt, während die lateinische einförmige horizontale Linie in Italien zwar zuweilen den Eindruck der Größe hervorbringt, aber doch auf die Dauer ermüdet. Noch öder, abstoßend fast muß die Einförmigkeit russischer Ortschaften sein; es wird ja auch in dem ungeheuren großen russischen Reiche nur eine Sprache gesprochen.

      Man kann die Romantik die Empörung des Unbewußten gegen das Bewußte nennen, des Elementaren, Volkstümlichen, Bodenständigen, Urwüchsigen gegen die Herrschaft des Selbstbewußtseins und des Verstandes, des organisch Gewachsenen gegen das Gemachte, der persönlichen Freiheit gegen Zentralisation. Daß die deutsche Romantik auf politischem Gebiet in das Lager der Reaktion, des Gottesgnadentums und Absolutismus, auf religiösem zu einem beschränkten, ultramontanen Katholizismus überging, war ein schnöder Bruch mit ihrem eigenen Wesen, der diese in ihren Anfängen so herrliche Bewegung in den Augen späterer Geschlechter verdientermaßen erniedrigte. Die ursprüngliche Idee der Romantik ist zwar dem modernen Verfassungswesen, Parlamentarismus und Konstitutionalismus entgegen, nicht minder aber dem fürstlichen Absolutismus und der Beamtenregierung, und im Grunde hat die spätere Romantik mit der anfänglichen so wenig zu tun wie der ultramontane Katholizismus mit dem ursprünglichen Christentum.

      Auch Hegel, dessen Philosophie für Michael und seinen Kreis ein heiliges Buch war, war ausgegangen von einem romantischen Idealbild griechischer Kultur, um als Verteidiger des in Deutschland herrschenden preußischen Absolutismus, der Regierungsmaschine, zu enden. Den ungeheuren Einfluß Hegels erkläre ich mir dadurch, daß er nicht vom einzelnen ausging, sondern vom Ganzen. Die Sehnsucht der Menschen des neunzehnten Jahrhunderts, welche an sich und um sich her die Folgen der äußersten Vereinzelung erlebten, ging auf das Ganze, sowohl auf die ganzen Menschen wie auf die Volks- und Völkergemeinschaft. Ein Geschlecht, welches sich gestimmt fühlte, große Umwälzungen herbeizuführen, wurde mächtig angezogen durch Hegels Auffassung von Geschichte und Entwicklung. Der seltsame Sprung in Hegels Lehre entstand dadurch, daß er trotzdem das Wissen an die Spitze seines Systems stellte und eben deshalb überhaupt systematisch verfuhr. Der Verstand, durch welchen wir wissen, verfährt teilend und hat es mit Teilen zu tun, während das Ganze geglaubt wird. Irrtümlicherweise pflegt man das Wissen als das Sichere, das Glauben als das Unsichere anzusehen, während doch das Geteilte, welches man weiß, immer ein Ganzes, an welches man glaubt, voraussetzt, weswegen es auch eine Wissenschaft ohne sogenannte Hypothesen gar nicht geben kann. Willkürliche Einbildungen von einzelnen haben allerdings keinen Bestand; aber die Natur steht mit dem menschlichen Geiste in ewiger Verbindung, so daß der Zauber des Glaubens die Ideale aus ihrem Schoße steigen läßt, der dem Ungläubigen verschlossen bleibt. Der Zwiespalt, der in Hegel selbst war, daß es ihn nach Lebendigkeit und Ganzheit verlangte, während in ihm selbst der Verstand vorherrschte, spiegelt sich in seinem System, das er anstatt eines Weltbildes gab. Die Ehrfurcht vor der Wissenschaft war jedoch in Deutschland so allgemein, daß gerade die Überschätzung des Wissens keinen Anstoß erregte, außer bei einem Teile der Jugend, die sich denn auch von Hegel, obwohl von ihm ausgehend, abtrennte.

      Was Michael betrifft, so war es nicht zuletzt die dialektische Methode, die ihm damals Hegel wert machte, denn er besaß die Fähigkeit, vom Konkreten zum Abstrakten und vom Abstrakten zum Konkreten überzuspringen in einem Grade, der das Staunen aller erregte, die ihn kannten. Manchen von seinen Freunden fiel diese Gabe an ihm mehr auf als seine Herzlichkeit, seine Leidenschaftlichkeit, seine Naivität, seine Traumseligkeit. Trotz der Verwandtschaft im Verstande kann man sich nicht zwei mehr entgegengesetzte Menschen denken als den Kathedermann Hegel und Michael Bakunin, den Abenteurer und Rebellen: Was bei Hegel nur eine Sehnsucht war, die Lebendigkeit, war Kern des Wesens bei Michel, dessen Verstand ihm nur als Gegensatz zur Spannkraft diente. Jetzt und noch auf viele Jahre hinaus machte es ihm außerordentliches Vergnügen, Laien und Neulinge in die Hegelsche Philosophie einzuführen, von denen manche ihm mit Neid und Bewunderung, andere, z. B. Bjelinski, nicht ohne Ingrimm und Grauen zu folgen versuchten. Es mag Bakunin auch das an Hegel gefesselt haben, daß er von der Religion ausging, wenn er auch nicht eigentlich eine religiöse Natur war. Das aber war Michel; er wußte seine Freunde ebenso vom Dasein Gottes und der Unsterblichkeit der Seele zu überzeugen wie von der Hegelschen Algebra. Die mathematische Begabung war ihm angeboren; es war ihm offenbar ein Bedürfnis, diese Kraft zu üben, wie Buben sich raufen oder Sportsmänner ihren Sport treiben.

      Hegel war von der Sehnsucht nach schöner, organisch sich entwickelnder Menschheit ausgegangen und versöhnte sich als Mann mit der zerstückelten, widernatürlichen, häßlichen Wirklichkeit, die ihn umgab, so vollkommen, daß er die Stütze der Reaktion zu werden sich herbeiließ. Er machte die fast unbegreifliche Schwenkung der Romantik mit, die sich anstellte, als finde sie in den Territorialfürsten der Gegenwart die Idee von Kaiser und Reich wieder, die jene ja vielmehr mitsamt der alle Gegensätze harmonisch zusammenfassenden Freiheit und Mannigfaltigkeit des Mittelalters untergraben und vernichtet hatten. Da sich in der Welt der Begriffe aus einer Katze ein Pudel machen läßt, gelang es Hegel, seine Idealwelt mit der Welt des Tages zusammenzukleistern, ohne daß die verblüfften Zuschauer die Taschenspielerei durchschauten; aber auf die Dauer ersetzte die Kunstfigur doch das lebendig Gewachsene nicht, und so begann das Flickwerk zu verschrumpfen. Die Idee jedoch, die den jungen Philosophen einst ergriffen hatte, daß die Menschheit als Ganzes ihre Geschichte schafft, ging nicht verloren, sondern wurde fortgeführt von einer neuen Generation, die kühnere Folgerungen daraus zu ziehen wußte.

      Wenn Bakunin und Bjelinski, in das Hegelsche System vertieft, einige Schritte in seiner das Bestehende heilig erklärenden Richtung mitmachten, so brauchte doch Herzen sich nicht sehr anzustrengen, um zunächst Michel für die Opposition zu gewinnen. Herzen, obwohl ein ausgezeichneter Schriftsteller, was Bakunin nicht war, war viel weniger Dichter als dieser, und obwohl Sohn einer deutschen Mutter, vielleicht auch gerade deshalb, liefen seine Gedankengänge mehr in französischer Richtung als in germanischer. Verglich doch Bakunin ihn später gern mit Voltaire, während er in sich selbst Verwandtschaft mit Luther fühlte.

      Schiller hatte die Französische Revolution begrüßt, Goethe sie abgelehnt. Herzen, der für Schiller schwärmte, war erfüllt von den Ideen der Französischen Revolution. Überhaupt ist Frankreich herkömmlicherweise russisches Ideal, obgleich der Russe im allgemeinen sich eher mit dem Deutschen als mit dem Franzosen versteht. Für Herzen war Paris mit den Erinnerungen an die große Revolution ein ebensolcher Magnet wie für Bakunin Berlin, von wo die Ideen Goethes und der Romantik ausstrahlten.

      Die Französische Revolution, soweit sie offiziell war, hatte nur die herrschende Aristokratie verdrängt und das Bürgertum an ihre Stelle gesetzt; die Herrschaft des Grundbesitzes, die Stütze der alten Welt, war durch die Herrschaft des Geldes, die Stütze der neuen Welt, ersetzt worden. Inmitten der Bewegung aber tauchte etwas Neues, ganz anderes auf, die Idee des Gemeinbesitzes, verfochten von dem Träger eines uralten Adelsnamens: Saint-Simon. Wieder ging aus dem Adel ein Rächer des von ihm begangenen Unrechts hervor. Ein Grandseigneur, unternehmend, phantastisch, abenteuernd, wurde er nach vielen Schickungen und Würfen Prophet einer neuen Lehre, eines neuen Glaubens. Es war kein anderer als das Christentum, das nun endlich verwirklicht werden sollte. Wie Hegel empfand auch Saint-Simon die Sehnsucht nach organischem Leben, nachdem die kritische Periode, so nannte er sie, die im Zeitalter der Reformation begann, im Individualismus des achtzehnten Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreicht hatte. Saint-Simon setzte ihr den Sozialismus, die Vereinigung aller menschlichen Interessen, entgegen. Den Nichtbesitzenden, den Arbeitern galt seine Sympathie, und um ihnen zu der ihnen gebührenden Stellung zu verhelfen, griff er namentlich die freie Konkurrenz und das Erbrecht an. Die Julirevolution, welche den Sieg der Bourgeoisie bedeutete, enthüllte zugleich den vollendeten Saint-Simonismus. Die Unbestimmtheit dieser Lehre, ihr Reichtum an neuen Ansichten, ihre Kühnheit, ihre Systemlosigkeit, der Schwung ihrer Gläubigkeit machten ihre Kraft aus und sicherten ihre Wirkung auf ideale Gemüter.

      Namen bezeichnen oft geringere Gegensätze, als man meint. Was Herzen und Bakunin unterschied, waren nicht so sehr die Ideen, als daß Bakunin bis dahin sie in Beziehung auf den einzelnen gehegt hatte, während


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