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im Schlaraffenland. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

im Schlaraffenland - Heinrich Mann


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Reben, die er gepflegt hatte wie Säuglinge, alle sieben Jahre einmal gut trugen. Zweitausend Mark gutes erworbenes Geld auf eine Nummer setzen, das heißt zum Fenster hinauswerfen? So dumm mochten die Berliner sein. Da hörte jede gesellschaftliche Rücksicht auf. Ehe Andreas seine ruhige Bewegung vollendet und die Banknoten berührt hatte, war er entschlossen, nur den Fünfhundertmarkschein zu opfern. Er ergriff aber bloß drei Hundertmarkscheine und reichte sie Stiebitz.

      Er hatte doch nicht gezögert? Nein, es machte Niemand ein spöttisches Gesicht, aber Alle sahen gespannt aus.

      „Sie spielen?“ fragte Stiebitz.

      „Fünf,“ sagte Andreas, ohne nachzudenken. Das Spiel kümmerte ihn nicht mehr, die dreihundert Mark waren verloren, ein Ehrenopfer, das nur dazu dienen sollte, ihm einen guten Abgang zu verschaffen.

      Diesmal empörten sich die Spieler gegen den Neuling, sie fanden seine Wagehalsigkeit zu stark. Es äußerten sich sarkastische Zweifel. Jemand sagte:

      „Mit die Beene will er angeln gehn?“

      Der lange hagere Herr zuckte geheimnisvoll die Achseln und verlangte dennoch Fünf. Aber es folgten ihm nur wenige.

      Die Sieben lief ins Ziel. Andreas schob ruhig den ihm verbleibenden Gewinn in die Hosentasche, richtete den Kopf auf und blickte kurz um sich, mit dem Entschluss, demjenigen recht fest ins Auge zu sehen, der zu lächeln wagte. Aber sein Benehmen schien im Gegenteil etwas wie Bewunderung hervorzurufen. Als er vom Geländer zurücktrat, blinzelte ihm der Hagere, der verloren hatte und weiterspielte, neidisch nach.

      „Bravo!“ hörte er hinter sich jemand sagen. Er gewahrte Türkheimer, der endlich gewonnen hatte und der ihn wieder, wie am Beginn des Abends, zu einer Begrüßung aufzufordern schien. Sie wechselten eine höfliche Verbeugung.

      Als Andreas schon die Portiere ergriffen hatte, fühlte er eine Hand auf seiner Schulter. Herr Liebling sah ihm ernst und feierlich in das Auge, sein schwarzer Bart zitterte ein wenig, bevor er sagte:

      „Halten Sie mich nicht für aufdringlich, mein lieber Herr, Herr — re…“

      „Zumsee,“ ergänzte Andreas.

      „Halten Sie mich nicht für aufdringlich, wenn ich Ihnen sage: Spielen Sie niemals wieder! Diese Mahnung hätte manchen vor Schaden bewahrt, wenn sie ihm rechtzeitig zu teil geworden wäre. Sie haben vielleicht bemerkt, dass dem Neuling besonderes Glück zugeschrieben wird. Welch alberner Aberglaube!“

      „Du hast doch auch ein bisschen davon profitiert,“ dachte Andreas.

      „Ich gebe zu, dass man einmal gespielt haben muss,“ sagte Liebling milde. „Aber nie zum zweiten Mal. Hier fängt die Sünde an,“ setzte er eindringlich hinzu, indem er dem jungen Manne warm und kräftig die Hand schüttelte.

      Bevor Andreas den Türvorhang hinter sich fallen ließ, hörte er ein paar Stimmen.

      „Alle Achtung, der kann so bleiben!“

      „So’n Bengel, der hat die Mittel, mit denen man was wird!“

      „Warum sollte ich mir das Spielen angewöhnen?“ sagte sich Andreas, während er durch den Ballsaal schlenderte. „Halten sie das Spiel für eine Leidenschaft? Ich sehe nicht ein, warum ich mein Geld wagen sollte, solange ich genug habe. Wenn es auf die Neige geht, dann — sage ich nichts.“

      Er ließ den Blick über die Menge der Damen gleiten, ohne Frau Türkheimer zu finden. Dann trat er auf die Galerie hinaus und zog heimlich, ganz heimlich seine silberne Uhr. Es war kurz nach drei.

      Langsam stieg er ins Vestibül hinab. Er brauchte jetzt nicht um seine Haltung zu sorgen, wie damals, vor fünf Stunden, als er diese Stufen emporstieg. Seine Sinne waren frei, er prüfte in den wandhohen, geschliffenen Spiegeln seine Miene, und stellte fest, dass es diejenige eines Triumphators sei. Er vermochte jetzt den Duft und die Augenweide der hohen Heliotropsträucher, der Orchideen und der purpurnen Kaktusarten zu genießen, die an dem Geländer aus durchbrochenem Schmiedeeisen entlang von Stufe zu Stufe sich türmten und die breite Treppe in einen hängenden Garten verwandelten. Auf dem Stiegenabsatz standen Ruhebänke, die in gepunztem Leder das Wappen des Hauses trugen: einen Türken, der den Säbel schwang. Andreas nahm hier einen Augenblick Platz und sah zwei Damen, die den Ball verließen, vorüberhuschen. Er verfolgte das Blitzen ihrer Brillanten und die gleißenden Reflexe des durch Blättergeflecht fallenden Lichtes auf dem Atlas ihrer Kostüme, und er sprach leise vor sich hin: „Ich habe euch!“ Er wusste übrigens nicht genau, was er sich bei diesem großen Worte dachte.

      Im Weitergehen gab er sich vernünftigeren Erwägungen hin. In so einem Berliner Hause ließ sich an einem einzigen Abend eine Menge erleben. Er entfernte sich anders als er gekommen war, um viele Erfahrungen und Kenntnisse bereichert, die er doch nicht allzu teuer bezahlt hatte. Er war mit Lizzi Laffé in einer unpassenden Situation zusammengerannt und er hatte Asta Türkheimer auf die Schleppe getreten. Merkwürdig, sie kamen ihm wie zwei Feindinnen vor. Er hatte ferner im Gespräch mit den jungen Leuten hier und da ein peinliches Schweigen hervorgebracht und er hatte vor den jungen Mädchen Furcht gehabt. Dies war der negative Teil seiner Erfolge. Der positive bestand darin, dass er von Frau Türkheimer gnädig behandelt worden war, so gnädig, dass es vielen zu denken gegeben hatte und dass man nicht wissen konnte, was daraus werden würde.

      „Ich habe wohl Glück gehabt,“ sagte sich Andreas, „aber wenn ich nicht auch Vorsicht und Überlegung besäße, und wenn ich nicht wüsste, was ich will, hätte ich dann wohl das da in der Tasche?“

      Und er tastete nach dem Tausendmarkschein.

      Drunten in der Garderobe sprangen mehrere verschlafene Lakaien auf. Andreas konnte sich irren, aber er meinte zu bemerken, dass sie ihn diesmal mit einem gewissen Respekt behandelten. Vielleicht besaßen sie Übung darin, den Gewinner zu erkennen?

      Nachlässig überreichte er dem, der ihm seinen Kragenmantel aus Loden umlegte, eine Doppelkrone, indem er heimlich bedauerte, kein Fünfmarkstück zu besitzen.

      Als er unter dem Portal stand, rief ihm jemand nach:

      „Sie! Sehr geehrter Herr, horensemal!“

      Kaflisch, vom Nachtkurier, kam im Laufschritt, lächelnd und winkend herbei. Er schob seinen Arm unter den des jungen Mannes.

      „Gehen Sie schon nach Hause?“ rief er. „Ich auch, das trifft sich ja reizend. Köstliche Sommernacht, was? Höchstens zwanzig Grad. Nehmen wir ’nen Wagen?“

      In der ganzen Hildebrandtstraße erglänzte der Schnee von den Lichtern der Wagen, die in einer Doppelreihe von einem Gitter zum andern standen. Es waren meistens herrschaftliche Fuhrwerke. Als sie ganz hinten eine freie Droschke erster Klasse gefunden hatten, fragte Kaflisch:

      „Wo wohnen Sie denn?“

      Andreas rief seine bescheidene Adresse, die ihm jetzt mit seiner sozialen Stellung in schreiendem Widerspruch zu stehen schien, voll Ingrimm dem Kutscher zu. Der Journalist bat sich eine Zigarette von Andreas aus. Während er sie anbrannte, erkundigte er sich:

      „Nun, wie gefallen Ihnen Türkheimers?“

      „Ein recht nettes Haus,“ meinte Andreas.

      „Nicht wahr? Man isst, spielt, und mopst sich nicht mehr als unbedingt nötig. Ungeniert, mit freiem Eingang vom Flur, das ist die Hauptsache. Das übrige kann uns doch gleich sein.“

      „Wieso?“ wollte Andreas fragen, doch besann er sich. Es fiel ihm wieder ein, was er über sein Verhältnis zu Adelheid mit sich ausgemacht hatte. Frau Türkheimer war nicht auf eine Liebesinsel zu entführen. Sie würde aus der Umgebung des Tiergartens schwerlich herauszuheben sein, man musste durchaus das Terrain kennen. Andreas machte sogar schon auf eine Stellung im Hause Anspruch, die ihm gewisse Pflichten und Rechte auferlegte. Dabei wusste er aber noch kaum, was das für ein Haus war.

      „Türkheimer muss schauderhaft viel Geld haben,“ bemerkte er. Kaflisch hüllte sich in Rauchwolken.

      „Na, es geht,“ sagte er. „Was er der Regierung von


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