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Zwischen den Rassen. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Zwischen den Rassen - Heinrich Mann


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      „Wer hat denn für dich geschrieben?“ fragte sie sanft. Asta schlug die Augen nieder.

      „Ich habe meine Briefe einem der Dienstmädchen mitgegeben, und sie hat sie in der Stadt abschreiben lassen.“

      Sie atmete beklommen.

      „Wie du gütig bist, Lola, dass du kommst. Ich verdiene das nicht.“

      „Warum nicht?“ fragte Lola, und fand ihre Frage nicht ganz ehrlich.

      „Weil du so schön bist und so reizend. Alle möchten dich zur Freundin: wie komme gerade ich dazu, mich dir aufzudrängen. Aber sieh, ich kann nicht anders. Ich weiß bestimmt, dass kein anderer Mensch mir je so nahe stehen wird wie du. Ich habe darüber nachgedacht, ob ich meine Mutter und meinen kleinen Bruder noch lieb habe. Aber wenn ich an dich denke — und wann dächte ich nicht an dich? — dann habe ich Mutter und Bruder nicht mehr lieb. Hörst du? nicht mehr lieb.“

      „Was willst du denn von mir?“

      „O! Lola!“

      Und Lola, die nicht abzuwehren wagte, fühlte sich umschlungen. Sie bog den Kopf zurück, um aus Astas Atem zu entkommen; aber ein paar Hände schlichen fieberhaft um ihren Leib, unter ihrer Brust hin.

      „Fühlst du gar nicht, was ich meine? Gar nicht?“ Vorwurfsvoll und flehend.

      „Gar nicht!“ sagte Lola mit Nachdruck; denn Angst stieg in ihr auf. Im Begriff, sich loszumachen, meinte sie ein Kichern zu hören. Der Gedanke an Lauscher empörte sie. „Ich bin nicht gekommen,“ dachte sie, „diese hier zu verhöhnen. Ich habe nichts mit ihr gemein; aber Seiten der andern stehe ich erst recht nicht.“ Sie sagte laut, wie für Zuhörer:

      „Aber dies kann ich trotzdem tun.“

      Und rasch küsste sie Asta auf die Wange. Wie sie ging, schluchzte es hinter ihr auf. Oft noch hörte sie, wenn sie allein war, dies Schluchzen und spürte wieder die Angst, die die fieberhaften Hände jenes Mädchens ihr beigebracht hatten: sie begriff nicht, warum.

      Jenny klärte sie auf. Ostern war nahe, und Jenny, die konfirmiert werden sollte, ging im Voraus mit einem feierlichen Gesicht umher. Es war schon so rot und nur noch wenig kleiner als das ihrer Mutter. Wie sie Lola einst im Garten traf, fasste sie sie unter den Arm und sagte:

      „Lola, du bist manchmal recht unvorsichtig: ich als die Ältere möchte dich warnen. Ja, sieh mich nur an! Du kannst von Glück sagen, dass ich neulich hinter den Lebensbäumen stand. Wenn Asta mich nicht hätte husten hören, wer weiß, was sie mit dir angestellt hätte.“

      „Du hast nicht gehustet, du hast gekichert; und Asta hat es gar nicht gehört.“

      „Du glaubst nicht, wie schlecht manche Mädchen sind. Und die Herren . . .“

      Ein Instinkt benachrichtigte Lola, es komme etwas Peinliches, und sie wollte einfallen. Aber Jenny war nicht aufzuhalten. Sie hatte keine Zeit zu verlieren: bald verließ sie die Pension. Sie bot Lola nicht mehr an, sie mit einem Leierkastenmann bekannt zu machen: solche Scherze lagen hinter ihr. Aber Lolas Naivität war doch nicht mit anzusehen.

      „Ich glaube dir einen wirklichen Dienst geleistet zu haben;“ so schloss sie ihre deutlichen Ausführungen.

      „Nun ja,“ machte Lola und hob die Schultern. Ihr war beklommen; umso hochmütiger sagte sie sich: „Ich habe mir die Menschen ganz richtig vorgestellt: Dies setzt allem die Krone auf.“ Sie äußerte:

      „Du entschuldigst wohl, ich muss meinem Vogel Futter geben.“

      Aber den Vogel, der sie langweilte, vergaß sie gleich wieder und dachte einige Tage an nichts so inständig, wie an Jennys Aufschlüsse. Sie riefen phantastische Bilder hervor; und so oft Lola sich über diesen Vorstellungen ertappte, ekelten sie sie. Allmählich zogen sie sich zurück und warfen nur manchmal noch melancholische Schatten herauf. „Ach, dass es keine reine Liebe gibt.“

      Ein Brief von Pai brachte sie davon ab. Pai schrieb aus Argentinien, wohin seine Geschäfte ihn genötigt hatten.

      „Es geht alles nach Wunsch, und ich darf hoffen, mich bald an dem Ziel zu sehen, das ich mir vorgesteckt habe: die Meinen sicher zu stellen und sie in meinem Lande zu vereinigen. Vorerst denke ich Dich, mein Kind, in nächster Zukunft dort aufzusuchen. Nur eine kurze Rückkehr nach Rio ist geboten.“

      „Und dort hält dann wieder irgendetwas ihn fest,“ dachte Lola. „Das kennen wir doch.“

      Sie glaubte Pai nicht mehr. Vielleicht hatte er die besten Absichten; aber so vieles war ihm wichtiger als Lola und lenkte ihn von ihr ab. Nach all den Jahren konnte er sich höchstens sagen: Ich habe eine Tochter, und den Gedanken an seine Tochter gern haben. Lola gern haben konnte er schwerlich: kannte er sie doch gar nicht.

      „Nicht von Belang“; damit legte sie den Brief zu den übrigen. Aber bei der Arbeit ertappte sie sich plötzlich auf einer freudigen Unruhe und darauf, dass sie schon während der ganzen letzten Seite nur an Pais Kommen gedacht und alles falsch gemacht hatte. Vergebens ermahnte sie sich: „Als ich klein war, hat Pai sehr schlecht an mir gehandelt; nie kann ich das vergessen“: — so oft sie an Pais Besuch dachte, bekam sie Herzklopfen. Und allmählich dachte sie nur daran. Unter allen anderen lächelte dieser eine Gedanke, und Lola selbst hatte beständig ein Lächeln zu unterdrücken. In ihr begann ein Steigen und Fallen von Plänen, wie ein Springbrunnen, den man aufschließt: immer höher, immer zuversichtlicher schnellt er empor. Anfangs wagte sie zu hoffen: „Wenn Pai kommt, vielleicht kann ich mit ihm zusammen wohnen? Einmal doch von den Fremden weg und bei meinem Vater wohnen!“ Dann fiel ihr ein: „Aber warum denn hier bleiben? Warum nicht eine Reise machen?“ Viele Orte, die sie gern gesehen hätte, sprangen ihr durch den Sinn. Auf einmal stand alles andere still, und eine kleine schüchterne Stimme fragte: „Und Rio?“ Zuerst war Lola fassungslos; plötzlich entschloss sie sich: „Ja, Rio! Was ist dabei? Wenn ich Pai bitte, wird er mir doch erlauben, Mai wiederzusehen. Die Reise ist jetzt so kurz. Und für ihn ist es das bequemste: er bleibt dann gleich dort, wenn ich zurückfahre.“ Endlich, auf dem Gipfel des Springstrahls: „Nein! Ich fahre nicht wieder zurück. Bin ich dort, will ich’s schon durchsetzen. Was kann denn Pai dabei tun, wenn ich ihm um den Hals falle und nicht loslasse? Mündlich ist das alles ganz anders als in diesen dummen Briefen. Und schlimmsten Falles stecke ich mich hinter Mai oder hinter die Großeltern auf der großen Insel — ach nein, sie sind tot! — oder ich laufe davon: lieber als dass ich zurückkehre! O, jetzt hab’ ich’s!“

      Sie klatschte in die Hände: zum ersten Mal seit den Kinderzeiten. Dann lief sie zu Erneste, ihrem Glücke Luft zu machen. Im Schwatzen bat sie plötzlich, ausgehen zu dürfen. Zu viel blühte in ihr auf, das Haus ward ihr zu eng. Nun schwatzte und lachte sie mit allen, wahllos und gedankenlos. Keinen Augenblick konnte sie stillhalten. Immer: „Wie seid ihr langweilig!“ Und: „Geht heute niemand aus?“ Im Gehen, im durch die Straßen Irren schien ihr’s, als komme sie ihren Wünschen näher. Zu Hause versank man in der Zeit, wie in Lehm. „Vorwärts, o Gott, nur vorwärts!“

      Eines Tages wie sie heimkam, trat Bertha ihr verstörten Gesichts entgegen.

      „Dein Vogel ist tot,“ sagte sie vorwurfsvoll; und Lola, kopflos:

      „Wieso?“

      „Ich sollte für Erneste etwas aus eurem Zimmer holen und da hab’ ich gesehen, dass er tot ist.“

      Lola schüttelte den Kopf. Sie ging hinein: wirklich, da lag er auf der Seite. Sie streckte mit Widerwillen einen Finger durch die Stäbe und zog ihn rasch wieder zurück. „Im Näpfchen sind noch viele Körner, er hat schon lange nichts mehr gefressen. Und gestern Abend sang er noch; ich musste ihn zudecken. Nun, diese Art lebt vielleicht nicht länger: tröste dich.“ Sie hatte das Bedürfnis, rasch weiterzukommen. Ihr nach Glück jagender Sinn wusste mit dem Tod, der ihr in den Weg trat, nichts anzufangen und erkannte ihn kaum. Wie sie die Tür öffnete, stand jemand davor mit einem schwarzgeränderten Brief. Erstaunt nahm sie ihn und trat zurück ins Zimmer. Die Schrift kannte sie nicht; die ersten Worte hießen:

      „Liebe


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