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Der Untertan. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Der Untertan - Heinrich Mann


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zwei Jahren tot sei. Diederich murmelte sein Beileid, im stillen aber sagte er sich: „Die quatscht also auch nicht mehr.“ Ihm kam es vor, als ob hier alle bestraft und niedergedrückt seien, ihn selbst nur hatte das Schicksal, seinem Wert entsprechend, erhöht. Und er streifte Agnes, von oben herab, mit dem Blick des Besitzers.

      Die süße Speise ließ auf sich warten, gerade wie damals. Agnes wandte unruhig den Kopf nach der Tür, Diederich sah ihre schönen blonden Augen verdunkelt, als sei etwas Ernstes geschehen. Er hatte plötzlich tiefes Mitgefühl mit ihr, eine große Zärtlichkeit. Er stand auf und rief aus der Tür:

      „Marie! Der Krehm!“

      Wie er zurückkam, trank Herr Göppel ihm zu. „Das haben Sie früher auch schon gemacht. Sie sind doch hier wie’s Kind im Hause. Nicht, Agnes?“ Agnes dankte Diederich mit einem Blick, der sein ganzes Herz aufrührte. Er musste sich zusammennehmen, um nicht feuchte Augen zu bekommen. Wie wohlwollend die Verwandten ihm zulächelten! Der Schwager stieß mit ihm an. Was für gute Menschen! Und Agnes, die süße Agnes, liebte ihn! Er verdiente so viel nicht! Das Gewissen schlug ihm laut, er nahm sich dunkel vor, nachher mit Herrn Göppel zu sprechen.

      Leider fing Herr Göppel nach dem Essen wieder von den Krawallen an. Wenn wir endlich den Druck der Bismarckschen Kürassierstiefel los waren, brauchte man die Arbeiter nun nicht mit Dicktun in Reden zu reizen. Der junge Mann (so nannte Herr Göppel den Kaiser!) redet uns noch die Revolution an den Hals ... Diederich sah sich veranlasst, im Namen der Jugend, die fest und treu zu ihrem herrlichen jungen Kaiser stehe, solche Nörgeleien auf das schärfste zurückzuweisen. Seine Majestät hatten es selbst gesagt: „Diejenigen, welche mir behilflich sein wollen, herzlich willkommen. Die sich mir entgegenstellen, zerschmettere ich.“ Dabei versuchte Diederich zu blitzen. Herr Göppel erklärte, er warte es ab.

      „In dieser harten Zeit“, fügte Diederich hinzu, „muss jeder seinen Mann stehen.“ Und er setzte sich in Positur vor Agnes, die ihn bewunderte.

      „Wieso harte Zeit?“ sagte Herr Göppel. „Sie ist doch nur hart, wenn wir uns gegenseitig das Leben schwer machen. Ich hab’ mich mit meinen Arbeitern noch immer vertragen.“

      Diederich zeigte sich entschlossen, daheim in seinem Betrieb eine ganz andere Zucht einzuführen. Sozialdemokraten wurden nicht mehr geduldet, und sonntags gingen die Leute zur Kirche! – Das auch noch? meinte Herr Göppel. Das könne er von seinen Leuten nicht verlangen, wenn er selbst doch bloß am Karfreitag gehe. „Soll ich sie beschwindeln? Christentum ist gut; aber was der Pastor alles redet, glaubt doch kein Mensch mehr.“ Da sah man Diederichs Miene hoch überlegen werden.

      „Mein lieber Herr Göppel, ich kann Ihnen nur sagen: Was die Herren da oben und besonders mein verehrter Freund, der Assessor von Barnim, zu glauben für richtig halten, das glaub’ ich auch – unbesehen. Das kann ich Ihnen nur sagen.“

      Der Schwager, der Beamter war, schlug sich plötzlich auf Diederichs Seite. Herr Göppel hatte schon einen roten Kopf, Agnes trat mit dem Kaffee dazwischen. „Na, schmecken Ihnen meine Zigarren?“ Herr Göppel klopfte Diederich aufs Knie. „Sehen Sie wohl, im Menschlichen sind wir einig.“

      Diederich dachte: „Da ich sozusagen zur Familie gehöre.“

      Er ließ von seiner strammen Haltung einiges nach, es war noch sehr gemütlich. Herr Göppel wollte wissen, wann Diederich „fertig“ werde und Doktor sei, er begriff nicht, dass eine chemische Arbeit zwei Jahre und länger brauche. Diederich verbreitete sich in Ausdrücken, die niemand verstand, über die Schwierigkeiten, zu einer Lösung zu gelangen. Er hatte die Empfindung, Herr Göppel warte zu einem bestimmten Zweck auf seine Promovierung. Auch Agnes schien es zu fühlen, denn sie griff ein und lenkte das Gespräch ab. Als Diederich sich verabschiedet hatte, ging sie mit hinaus und flüsterte ihm zu:

      „Morgen um drei bei dir.“

      Vor jäher Freude griff er nach ihr und küsste sie, zwischen den Türen, während gleich daneben das Mädchen mit dem Geschirr rasselte. Sie fragte traurig: „Denkst du denn gar nicht daran, was mir passiert, wenn jetzt jemand kommt?“ Er war betroffen und verlangte als Zeichen ihrer Verzeihung noch einen Kuss. Sie gab ihn.

      Um drei Uhr pflegte Diederich aus dem Café ins Laboratorium zurückzukehren. Stattdessen war er schon um zwei Uhr wieder in seinem Zimmer. Richtig kam sie noch vor drei. „Wir haben es beide nicht erwarten können! Wie wir uns liebhaben!“ Es war schöner als das erste Mal, viel schöner. Keine Träne mehr, keine Furcht; und die Sonne schien herein. Diederich breitete Agnes’ Haar in der Sonne aus und badete sein Gesicht darin.

      Sie blieb, bis es fast schon zu spät war, die Einkäufe zu machen, die sie zu Hause vorgeschützt hatte. Sie musste laufen. Diederich, der mitlief, war sehr besorgt, dass es ihr schaden könne. Aber sie lachte, sah rosig aus und nannte ihn ihren Bären. Immer endeten nun so die Tage, an denen sie kam. Immer waren sie glücklich. Herr Göppel stellte fest, dass es Agnes besser gehe als je, und das verjüngte ihn selbst. Daher wurden auch die Sonntage jedes Mal heiterer. Es dauerte bis abends, dann ward Punsch gemacht, Diederich musste Schubert spielen, oder er und der Schwager sangen Burschenlieder und Agnes begleitete sie. Manchmal sahen sie sich nacheinander um, beiden war zumut, als werde ihr Glück gefeiert.

      Es kam vor, dass im Laboratorium der Diener zu Diederich hintrat und ihm meldete, draußen sei eine Dame. Er stand sofort auf, stolz errötend unter den verständnisvollen Blicken der Kollegen. Und dann bummelten sie, gingen ins Café, ins Panoptikum; und da Agnes gern Bilder sah, erfuhr Diederich auch, dass es Kunstausstellungen gab. Agnes liebte es, vor einem Bild, das ihr gefiel, einer sanften, festtägigen Landschaft aus schöneren Ländern, lange stehenzubleiben, mit halbgeschlossenen Augen, und Träume auszutauschen mit Diederich.

      „Sieh nur recht hin, dann merkst du, das ist kein Rahmen, es ist ein Tor mit goldenen Stufen, die gehen wir hinunter und über den Weg, und biegen die Weißdornbüsche weg und steigen in den Kahn. Fühlst du wohl, wie er schaukelt? Das kommt, weil wir die Hand durch das Wasser schleifen, es ist so warm. Drüben am Berg, der weiße Punkt, du weißt schon, es ist unser Haus, dahin fahren wir. Siehst du, siehst du?“

      „Ja, ja“, sagte Diederich voll Eifer. Er kniff die Lider ein und sah alles, was Agnes wollte. Er geriet so sehr in Feuer, dass er ihre Hand nahm, um sie zu trocknen. Dann setzten sie sich in einen Winkel und sprachen von den Reisen, die sie machen wollten, dem sorgenlosen Glück in sonniger Ferne, von Liebe ohne Ende. Diederich glaubte, was er sagte. Im Grunde wusste er wohl, dass er bestimmt sei, zu arbeiten und ein praktisches Leben zu führen, ohne viel Muße für Überschwänglichkeiten. Aber was er hier sagte, war von einer höheren Wahrheit als alles, was er wusste. Der eigentliche Diederich, der, der er hätte sein sollen, sprach wahr. – Aber Agnes: wie sie nun aufstanden und gingen, war sie blass und schien müde. Ihre schönen blonden Augen hatten einen Glanz, der Diederich beklommen machte, und sie fragte leise und zitternd:

      „Wenn unser Kahn nun umgeschlagen wäre?“

      „Dann hätte ich dich gerettet!“ sagte Diederich entschlossen.

      „Aber es ist weit vom Ufer, und das Wasser ist schrecklich tief.“

      Da er ratlos war:

      „Wir hätten ertrinken müssen. Sag’, wärst du gern mit mir gestorben?“

      Diederich sah sie an; dann schloss er die Augen.

      „Ja“, sagte er mit einem Seufzer.

      Nachher aber bereute er ein solches Gespräch. Er hatte wohl gemerkt, warum Agnes plötzlich in eine Droschke steigen und heimfahren musste. Sie hatte krampfhafte Röte bis in die Stirn gehabt, und er sollte nicht sehen, wie sie hustete. Den ganzen Nachmittag bereute Diederich nun. Solche Sachen waren ungesund, führten zu nichts und machten Ungelegenheiten. Sein Professor hatte schon von den Besuchen der Dame erfahren. Es ging nicht länger, dass sie ihn wegen jeder Laune von seiner Arbeit wegholte. Er setzte es ihr schonend auseinander. „Du hast wohl recht“, sagte sie darauf. „Ordentliche Menschen brauchen feste Stunden. Aber wenn ich nun um halb sechs zu dir kommen soll, und am meisten geliebt hab’ ich dich schon um vier?“

      Er fühlte Spott heraus,


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