Wüstenfeuer. Katherine V. ForrestЧитать онлайн книгу.
in den frühen Morgenstunden – er war zwischen den Avocadobäumen auf seinem Grundstück in Fallbrook einfach zusammengebrochen. Marie Taylor hatte Kate angerufen und es ihr erzählt, und sie hatte einen unerwartet melancholischen Samstag verbracht; sie war zu seiner Beerdigung gegangen und hatte Schulter an Schulter mit einigen anderen Kolleginnen und Kollegen am Grab gestanden und war bei den auf sie einstürmenden Erinnerungen an die gemeinsamen Jahre und die Fälle, die sie zusammen bearbeitet hatten, überraschend nostalgisch geworden. Was ihre nächste Partnerin anbelangte, Torrie Holden – nach ihrem Verhalten im Anschluss an eine misslungene Verhaftung, bei der Kate eine Kugel in die Schulter abbekam, und nach Torries Vertuschung einer Pflichtverletzung beim Vollzug einer Durchsuchung, die einen Mörder beinahe hätte davonkommen lassen, hatte Lieutenant Mike Bodwin dafür gesorgt, dass sie Kate nicht mehr unter die Augen kam, ehe Kate ihr womöglich den Hals umdrehte. Kurz darauf hatte Torrie das Morddezernat in Hollenbeck verlassen; sie war nach West Valley versetzt worden, wo sie als Streifenpolizistin vermutlich weniger Unheil anrichtete.
»Sie hatten einen guten Partner verdient, Kate, und Sie haben Joe eine Menge beigebracht. Sie haben ihn die Professionalität und die Gründlichkeit gelehrt, die ihm gefehlt haben. Es ist fast drei Wochen her, sagen Sie? Irgendeine Ahnung, was es mit diesem Schweigen auf sich hat?«
Kate schüttelte den Kopf. »Ehrlich gesagt, bin ich ziemlich sauer auf ihn.« Insbesondere in Anbetracht der Last, die zurzeit auf ihren Schultern ruhte. Sie hatte schließlich angenommen, dass ihre partnerschaftliche Verbundenheit einfach mehr und mehr verblasste, je weiter ihr gemeinsamer Polizeialltag in die Ferne rückte. Die so harmlos erscheinenden Fragen Walcotts machten sie zunehmend nervös und versetzten sie in Alarmbereitschaft. »Ich habe zwei Nachrichten hinterlassen, aber er hat nicht zurückgerufen.« Sie trank einen Schluck Kaffee und beobachtete Walcott, die kaum würde einschätzen können, ob Camerons Verhalten unüblich war oder nicht.
»Ist das normal?«
Ein plötzlicher Schauer der Besorgnis lief ihre Arme hinauf und weiter bis zum Haaransatz in ihrem Nacken. »Worum geht es hier eigentlich, Captain?«
Walcott änderte ihre Sitzhaltung und legte eine Hand auf die lederne Fläche des Sofas, als wollte sie sich wappnen. Kate hatte einen Erinnerungsblitz: wie sie in das Büro des Captains der Wilshire Division gerufen wurde und zur Salzsäule erstarrte, als sie erfuhr, dass ihre Lebensgefährtin, mit der sie zwölf Jahre zusammengewesen war, die erste Frau, die sie je geliebt hatte, bei einem Unfall auf dem Hollywood Freeway ums Leben gekommen war – ein Tanklaster hatte Annes Auto zerquetscht und war in Flammen aufgegangen. Sie konnte immer noch spüren, wie das Messer ihr ins Herz schnitt – fünfundzwanzig Jahre später.
Ist Cameron … Könnte er …?
Nach der neuen Verfahrensweise waren Mordermittler angehalten, mit der Übermittlung von Todesnachrichten zu warten, bis sie so viele Informationen wie möglich gesammelt hatten – ein Vorgehen, das auf der kühlen Berechnung basierte, dass die zu befragende Person ansonsten vor Schock und Trauer zu hilfreichen Auskünften nicht mehr in der Lage war. Carolina Walcott war eine Mordermittlerin, und zwar eine verdammt gute, und alle guten Mordermittlerinnen waren gute Schauspielerinnen. Doch Walcotts Verhalten insgesamt ließ nicht darauf schließen, dass etwas ernsthaft nicht stimmte, mochte sie auch eine noch so gute Schauspielerin sein. Und dennoch war Kate keineswegs beruhigt.
»Worum geht es hier eigentlich?«, fragte sie noch einmal. »Sagen Sie mir, warum Sie gekommen sind, Captain.«
Walcott hob beschwichtigend die Hand. »Möglicherweise … wahrscheinlich ist weiter gar nichts.«
Sie legte die Serviette mit den Plätzchenkrümeln auf das Tablett und beugte sich zu Kate vor, die Ellbogen auf die Schenkel gestützt, die Hände gefaltet. »Es hat mit dem Fall Carter zu tun. Als ich ihn im Januar auf den Tisch bekam, habe ich die Spurensicherung erneut auf den Fall angesetzt und den gesamten Tatort noch einmal auf das Penibelste analysieren lassen –«
»Das hat Joe mir alles erzählt«, unterbrach Kate sie ungeduldig und gab ihrerseits eine Zusammenfassung, damit Walcott sich nicht weiter damit aufhielt. »Kein Sperma, kein Blut, keine Haare, außer ihren eigenen, aber Joe sagte, es habe einen guten Fingerabdruck an der Wand am Kopfende des Bettes gegeben. Er meinte, der Typ habe sich mit einer Hand hinter dem Kopfbrett abgestützt, als er gewaltsam in ihre Kehle eingedrungen ist.«
Walcott nickte. »Sie wissen, wie überlastet das FBI-Labor ist, und keinem Fall wird je Priorität eingeräumt, es sei denn, es klemmt sich jemand Gewichtiges dahinter, und ein LAPD-Captain hat beim FBI kaum Gewicht. Aber ich habe Joe versprochen, am Ball zu bleiben, und zwar höchstpersönlich, und es ihn wissen zu lassen, falls wir einen Durchbruch erzielen. Ich könnte mir denken, dass jemand in Quantico von dem Fall erfahren hat, der selbst eine fünfzehnjährige Tochter hat, denn vor einer Woche habe ich tatsächlich etwas gehört. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Joe mich nicht zurückrufen würde, Kate – nicht nachdem ich ihm die Nachricht hinterlassen habe, dass wir einen Durchbruch in dem Fall erzielt haben – egal, was er tut, egal, wo er auch ist. Und unter keinen Umständen würde er ohne sein Handy unterwegs sein – das wissen wir beide.«
Kate nickte. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Walcott hatte in allen Punkten recht. Joe wäre sofort auf die Nachricht angesprungen.
»Irgendwelche Ideen?« Walcott lehnte sich zurück, legte einen Arm auf die Rückenlehne des Sofas und schlug die Beine übereinander, bereit, die Sache durchzusprechen, wie lange es auch dauern mochte.
»Ja. Vermutlich zu viele. Hat jemand sein Haus überprüft?«
»Ich. Letzte Woche.«
Kate sah sie erstaunt an.
Walcott zuckte die Achseln und schaute ein wenig verlegen drein, als sie sagte: »Ich bin bloß dran vorbeigefahren. Sein Wagen stand da, und noch ein weiterer Wagen, ein Ford Escort mit dem Firmenemblem von Marvel Maids auf der Tür. Ich dachte, wenn er im Haus ist und irgendwas nicht stimmt, dann würde die Putzfrau es doch wohl bemerken.« Sie lächelte flüchtig. »Ich habe ihn vom Auto aus noch mal angerufen. Nichts.«
Cameron war in der Lage, auf sich aufzupassen, versuchte Kate sich zu beruhigen. Bestimmt war alles in Ordnung mit ihm. Es musste eine logische Erklärung geben. »Irgendwas Bemerkenswertes, was seine alten Fälle angeht? Irgendjemand auf Bewährung draußen, der auf Rache aus sein könnte?«
»Nicht dass ich wüsste. Ich kann nicht weiter nachforschen, ohne schlafende Hunde zu wecken. Niemand in seinem beruflichen Umfeld kennt ihn besser als Sie, Kate. Wissen Sie von irgendeinem … persönlichen Problem, das ihn belasten könnte?«
Kate rutschte in ihrem Sessel herum und erwiderte schließlich Walcotts Blick. »Fragen Sie mich, ob ich irgendwas weiß, das Joe veranlasst haben könnte, einen Abgang zu machen?«
»Wissen Sie denn etwas?«
»Nein!«, erwiderte sie nachdrücklich. »Ich meine, selbst wenn es da etwas gäbe, würde er das nicht tun.« Cameron war weitaus hartgesottener als sie, und während sie einige sehr dunkle Stellen in sich barg, vor allem dieser Tage, käme sie doch nie auf diesen Gedanken. »Nein, ganz bestimmt nicht«, wiederholte sie. »Das sähe ihm überhaupt nicht ähnlich.«
»Es sehen auch nicht viele Mörder wie Mörder aus.« Walcotts Ton klang herausfordernd.
Kate schüttelte den Kopf. »Auf keinen Fall, Captain. Sie sagten, Sie sind vor einer Woche dort gewesen?« Der Grund für Walcotts Besuch war nun deprimierend klar: um herauszufinden, was Kate wusste. Was nicht viel war. Was aber immer noch nicht erklärte, warum sie Kate nicht ins Präsidium gebeten oder am Telefon befragt hatte.
»Ich hatte gehofft, Sie würden sich die Sache mal ansehen, Kate. Sehr diskret.«
Kate versuchte ihre Überraschung zu kaschieren und sagte gleichmütig: »Nach allem, was ich gehört habe, würde ich das sowieso. Aber warum diskret?«
»Es ist zwar jetzt schon eine Woche her, aber dennoch gibt es keinen Grund für eine offizielle Untersuchung. Er ist quasi beurlaubt. Unkonventionelles Verhalten ist kein Anlass, Alarm zu schlagen. Wenn es eine vernünftige Erklärung gibt