Wüstenfeuer. Katherine V. ForrestЧитать онлайн книгу.
kann ich nicht ins Bild setzen – Sie wissen, dass Joes neuer Partner ein Frischling ist. Ich setze noch kein Vertrauen in ihn oder sein Urteilsvermögen. Ihnen jedoch vertraue ich voll und ganz. Abgesehen davon würde Paul Rasmussen nichts anderes tun, als das, was ich bereits getan habe – er würde ihn wegen der neuen Entwicklung des Falles anrufen. Ich habe ihn beiläufig gefragt, ob Joe irgendwelche Pläne für seinen Urlaub hat, aber er meinte, Joe hätte in der Richtung nichts verlauten lassen. Was ich sagen will: Ich möchte, dass die Sache unter uns bleibt, bis wir mehr wissen. Denn ich arbeite daran, dass er von der Sonderermittlung Mord in der RHD übernommen wird.«
Kate nickte heftig. Sie freute sich für Cameron. »Er wäre die perfekte Besetzung.« Die Stellen in der Robbery-Homicide Division waren hoch angesehen und sehr begehrt, umso mehr weil endlich ein neues Präsidiumsgebäude im Bau war, um das veraltete Parker Center zu ersetzen, und eine Neustrukturierung innerhalb der LAPD im Gange war, um die besten Einsatzkräfte in Elite-Ermittlungsteams zu bündeln.
»Was seine Karriere angeht, steht er makellos da«, sagte Walcott. »Bei all den Ecken und Kanten, die er hatte, als er bei der Mordkommission anfing, ist dieses Wunder in erster Linie Ihnen zu verdanken. Ich möchte nicht, dass die Gerüchteküche jetzt irgendwas in die Welt setzt, das womöglich an ihm haften bleibt.«
»Verstehe. Wann genau, sagten Sie, waren die Marvel Maids da?«
Walcotts Grinsen verriet, dass sie wusste, worauf Kate hinauswollte. »Cameron verdient nicht weniger als die beste Ermittlerin, die er kennt. Wenn wir davon ausgehen, dass sein Haus jede Woche gereinigt wird –«
»Wird es. Da ist er ziemlich pingelig.«
»Dann also morgen. Als ich vorbeifuhr, war es ungefähr halb zwölf.«
Was bedeutete, dass Walcotts heutiger Besuch zeitlich exakt geplant war. »Ich checke die Lage und melde mich bei Ihnen.«
Walcott stand auf, als sei die Sache damit erledigt, aber statt zur Wohnzimmertür zu gehen, wandte sie sich dem Balkon zu.
Was nun?, fragte Kate sich. Sie folgte Walcott durch die geöffneten Schiebetüren nach draußen.
Walcott stützte sich mit beiden Armen auf die Balkonbrüstung und blickte auf die dunstverhangenen Hollywood Hills in der Ferne; dann ließ sie den Blick aus der Höhe des zweiten Stockwerks über die Kings Road schweifen. »So viele prächtige Bäume«, sagte sie voller Bewunderung, und ihr Gesicht wurde weicher vor Freude. »Eine schöne Straße, eine schöne Gegend, viele guterhaltene, wunderbare alte Häuser. Parkmöglichkeiten am Straßenrand – eine Seltenheit heutzutage. Sie haben es sehr gut getroffen, Kate.«
»Ich hatte einfach sehr viel Glück, Captain. Ich bin ’94 nach West Hollywood gekommen – also bevor die Gegend beschloss, sich zu einem sehr viel besseren Viertel zu wandeln.« Kate trat neben sie an die Brüstung und schaute mit neuer Wertschätzung auf die Fülle von stattlichen Bäumen, eine Mischung aus Pappeln, Lorbeeren, Kiefern und verschiedenen Palmenarten, welche den zwei- bis dreistöckigen Apartmenthäusern an ihrem Abschnitt der Kings Road Schatten spendeten.
»Ich wünschte, ich wäre schlau genug gewesen, von Simi Valley hierherzuziehen«, fuhr Walcott fort, »ehe in L.A. nur noch Verkehrschaos herrscht.« Sie beobachtete zwei junge Männer, die vorüberschlenderten und einen Kinderwagen schoben. »Und ehe das LAPD von den Scheißkerlen der Rampart Division gegen die Wand gefahren wurde.«
Kate nickte und schwieg. Walcott warf ihr einen kurzen Blick zu und sagte dann ruhig: »Ich habe für Sie getan, was ich konnte, Kate. Ich hoffe, das wissen Sie.«
»Ja, das weiß ich, Captain«, antwortete Kate ebenso ruhig. »Ich bin froh, die fünf Jahre gehabt zu haben. Auch wenn es aus den falschen Gründen war. Ich schätze mich aus einer ganzen Reihe von Gründen glücklich.«
»Dann sind wir schon zwei. Schlimm genug, dass Sie in der Abteilung ›Internal Affairs‹ tätig werden mussten, aber Sie und Torrie hätten auch als leitende Ermittlerinnen bei dem verdammten Fall eingesetzt werden können. Und ich hätte auch früher, statt später versetzt werden und die Verantwortung übertragen bekommen können.«
Walcott schwieg. Sie schien in das Treiben auf der Straße versunken zu sein, und Kate hing ihren eigenen Gedanken nach. Nicht mal eine Romanschreiberin hätte sich ausmalen können, dass die Ermordung eines Rap-Stars auf offener Straße im März 1997 – wie aufsehenerregend dies damals auch gewesen war – sich zu einem zehn Jahre währenden Tumult für die Wilshire Division und das gesamte LAPD auswachsen würde. Der Mord an Notorious B.I.G., der in seinem SUV an einer roten Ampel aus einem anderen Wagen heraus auf dem Wilshire Boulevard erschossen worden war – aus Rache für die Ermordung des Rap-Stars Tupac Shakur in Las Vegas, munkelte man –, hatte ein Kreuzfeuer von wechselseitigen Beschuldigungen ausgelöst, die zwei korrupte Cops in der CRASH Unit der Rampart Division, die das Straßengang-Unwesen bekämpfen sollte, als Verdächtige in dem Mordfall erscheinen ließen. In der Rampart Division herrschte gesetzwidriges Verhalten; Beweismaterial wurde gefälscht und untergeschoben, Fälle mussten neu aufgerollt werden, und schließlich befasste sich das FBI mit den Untersuchungen, während gleichzeitig endlose Gerichtsverfahren angestrengt wurden und die Wilshire Division beschuldigt wurde, die Ermordung des Rappers vertuschen zu wollen. Die Moral war im Keller, die Demütigung wegen der FBI-Ermittlungen saß tief. Der Korruptionsskandal zerstörte etliche Polizeikarrieren und Reputationen, und Kates hätte ohne weiteres dazugehören können.
Kate teilte den Zorn und die Beschämung ihrer Kolleginnen und Kollegen angesichts der Ereignisse und Entlarvungen, nicht jedoch deren Frustration. Für sie hatte sich aus dem Desaster eine Verlängerung ihrer Dienstzeit ergeben – fünf Jahre über die übliche Spanne von dreißig Jahren hinaus. Man hatte in der angespannten Situation nicht auf sie verzichten können, und der Polizeichef persönlich hatte die Verlängerung ihrer Dienstzeit im DROP-Programm, dem ›Deferred Retirement Option Program‹, befürwortet und unterzeichnet. Doch nach dieser Verlängerung war keine weitere möglich gewesen, und so war Kates Pensionierung im Dezember amtlich geworden.
Kate musterte Walcotts finstere Miene und griff nach dem einzigen hoffnungverheißenden Strohhalm, der sich ihr bot: »Ich habe den Eindruck, dass die Dinge sich ändern, Captain. Dass die Welt sich schließlich zum Besseren wendet. Ist es nicht wunderbar, dass wir heute einen afroamerikanischen Präsidentschaftskandidaten haben und dass er tatsächlich sogar eine Chance hat?«
Walcotts Lächeln verscheuchte den Grimm aus ihrem Gesicht. »Das glaube ich erst, wenn ich’s erlebe. Aber ja, man spürt die Hoffnung in der Stadt, Kate. Und im Land.« Sie wandte sich von der Brüstung ab und kehrte in die Wohnung zurück.
Kate folgte ihr. Sie sah zu, wie Walcott in ihrem Wohnzimmer umherspazierte und die gerahmten Erinnerungen an den Wänden betrachtete. Walcott verschwendete niemals Zeit; sie hatte noch weitere Dinge auf ihrer Agenda. Aber sie ging es gemächlich an und betrachtete kommentarlos die Fotos aus Kates Polizeikarriere – Kate in Uniform bei offiziellen Anlässen, informelle Fotos im Dienstraum ihrer Abteilung, Fotos aus der Los Angeles Times von Kate und ihren Kolleginnen und Kollegen an verschiedenen Tatorten, Beförderungsurkunden, Preise und Auszeichnungen, den kleinen Schaukasten mit dem Replikat von Kates goldener Polizeimarke mit ihrer Dienstnummer, das Aimee vor Jahren für sie hatte anfertigen lassen.
Walcott sah sie nicht an, als sie fragte: »Seit wann trinken Sie wieder, Kate?«
Kate fühlte sich augenblicklich in die Enge getrieben. Sie spürte, wie ihr Gesicht zu brennen anfing und heißer Zorn in ihr aufstieg. Cameron. Er hat es ihr gesagt.
»Wieso?«, fauchte sie. »Ich bin im Ruhestand. Was geht Sie das an?«
Walcott wandte sich zu ihr um, die Arme vor der Brust verschränkt. »Es gibt Menschen, denen Sie am Herzen liegen, Kate. Außerdem sehen Sie furchtbar aus.«
»Wie ich aussehe und was ich tue, ist allein meine Sache.«
»Wo ist Aimee?«
»Meine Sache.«
»Hat sie Sie verlassen?«
Kate hatte Mühe, ihren Zorn im Zaum zu halten und die Frau nicht hochkant hinauszuwerfen.