Vom Königsbett zum Schafott. Barbara BeckЧитать онлайн книгу.
in den Adel aufgestiegen war. Ihre Mutter Elisabeth Howard gehörte der englischen Hocharistokratie an. Sir Thomas Boleyn sorgte dafür, dass seine begabte und vielversprechende Tochter Anna eine ausgezeichnete Erziehung am Hof der Statthalterin der Niederlande, Margarete von Österreich, erhielt. Danach kam sie als Hofdame an den französischen Königshof, wo sich bereits ihre ältere Schwester Maria aufhielt. Anna konnte hier ihre Kenntnisse in französischer Konversation, Dichtkunst und Musik sowie in höfischem Benehmen vervollkommnen. Sie spielte mehrere Instrumente und galt als hervorragende Tänzerin. In dieser Zeit wurde auch ihre Vorliebe für französische Mode geweckt. Sie war aber keine oberflächliche junge Frau, sondern interessierte sich auch für religiöse Literatur.
Als Anna Boleyn 1521 nach England zurückkehrte, wo sie ihr Vater vorteilhaft zu verehelichen gedachte, war sie bestens auf das höfische Leben vorbereitet. Wie bereits ihre Schwester Maria wurde sie zur Hofdame von Heinrichs Gemahlin Katharina von Aragón ernannt. Ihr Debüt bei Hof fiel glanzvoll aus. Anna Boleyn war zwar keine große Schönheit, scheint aber über eine starke erotische Anziehungskraft auf Männer verfügt zu haben. Sie beeindruckte vor allem durch ihren Witz, ihre Bildung und Schlagfertigkeit, wodurch sie sich sehr von den meist eher still und unterwürfig auftretenden Damen ihrer Zeit unterschied.
Zunächst interessierte sich Heinrich VIII. mehr für ihre leichtfertigere Schwester Maria, mit der ihn eine zweijährige Affäre verband. Seit dem Karneval 1526 wandte der König seine Aufmerksamkeit jedoch der anmutigen Anna Boleyn zu. Aus den Jahren 1527 und 1528 sind siebzehn eigenhändig verfasste Liebesbriefe Heinrichs in französischer und englischer Sprache an sie erhalten geblieben, obwohl er sonst das Schreiben von Briefen hasste. Von ihrer Hand sind keine derartigen Dokumente überliefert. Anna Boleyn reagierte anfangs zurückhaltend auf die Avancen des Königs. Heinrich versprach ihr daraufhin, sich um keine anderen Frauen mehr zu bemühen, wenn sie ihn erhöre: »Doch wenn Ihr geruht, den Platz einer wahren, treuen Geliebten und Freundin einzunehmen und Euch mit Leib und Seele dem zu schenken, der Euer treuer Diener war und sein will (sofern Ihr es mir nicht streng verbietet), dann verspreche ich Euch, daß Euch nicht nur diese Bezeichnung zusteht, sondern ich Euch als meine einzige Geliebte nehme, alle anderen, die um Euch sind, aus meinen Gedanken und meiner Zuneigung verbanne und nur Euch dienen werde« 3. Die Reserviertheit der jungen Hofdame gegenüber ihrem königlichen Verehrer hing nicht nur damit zusammen, dass sie keine flatterhafte Frau war, sondern findet sicherlich auch seinen Grund in den Schicksalen abgelegter oder verstoßener Mätressen von Fürstlichkeiten, die ihr warnend vor Augen standen. Anna Boleyn lehnte deshalb selbstbewusst den Status einer Geliebten für sich ab und bestand auf einer gültigen Ehe. Außerdem war sie als stolze Frau nicht bereit, sich mit einem Platz hinter der Königin zufriedenzugeben und ihre zukünftigen Kinder mit Heinrich von der Thronfolge ausgeschlossen zu sehen. Dadurch dass sie sich dem König verweigerte, steigerte sie nur noch Heinrichs Liebeswerben, der es sonst nicht gewohnt war, dass seine Wünsche nicht umgehend erfüllt wurden.
Der verliebte König entschloss sich im Mai 1527 zu einer zweiten Heirat und damit für die Möglichkeit, endlich einen legitimen Sohn als Erben zu erhalten. Seit längerer Zeit hatte sich Heinrich VIII. bereits mit der ungelösten Frage der Thronfolge und des Fortbestands seiner erst seit 1485 regierenden Dynastie des Hauses Tudor beschäftigt, da er aus seiner Ehe mit Katharina von Aragón nur eine überlebende Tochter besaß. Als Grundlage für eine Annullierung seiner beinahe zwanzig Jahre währenden Ehe führte er an, dass laut Kap. 20, 21 des 3. Buchs Mose die Heirat mit der Witwe des eigenen Bruders eine Sünde sei und mit Kinderlosigkeit gestraft würde. Katharina von Aragón war vor ihrer Ehe mit Heinrich kurze Zeit mit dessen älterem, aber früh verstorbenen Bruder Arthur verheiratet gewesen. Papst Clemens VII., dem der Fall des Königs vorgebracht wurde, befand sich jedoch in einer Zwickmühle. Abgesehen von den juristischen Schwierigkeiten sah sich der Papst auch dem Druck Kaiser Karls V., dem Neffen von Königin Katharina, ausgesetzt, von dem er abhängig war. Der Papst entschied sich daher für eine Hinhaltetaktik in dieser Frage. Das von zwei päpstlichen Legaten in England geleitete Tribunal zur Annullierung der königlichen Ehe lehnte Königin Katharina als nicht zuständig ab, sondern forderte ihr Fall solle vom Papst in Rom verhandelt werden. Sie pochte auf die Rechtmäßigkeit ihrer Ehe mit Heinrich, da sie noch Jungfrau gewesen wäre, als sie diesen heiratete. Ab 1529 beschäftigten sich verschiedene europäische Universitäten mit der Annullierungsfrage der königlichen Ehe, kamen aber zu keinem einheitlichen Ergebnis. Dass Heinrich VIII. wegen Anna Boleyn auf jeden Fall eine Trennung von Katharina wünschte, war dem kaiserlichen Gesandten Eustace Chapuys nur zu klar: »Des Königs Leidenschaft für die Dame, im Verein mit seinem Starrsinn, war dergestalt, daß keine Möglichkeit blieb, ihn durch Sanftmut oder schöne Worte an sein Pflichtgefühl zu erinnern« 4.
Hatte Heinrich VIII. anfangs den Schein noch aufrecht erhalten, ging er bald dazu über, Anna Boleyn bei Hofe als seine Ehefrau zu behandeln, obwohl er immer noch mit Katharina von Aragón verheiratet war. Er küsste Anna in aller Öffentlichkeit und beschenkte sie reich. Während er ihren Vater zum Grafen von Wiltshire erhob, machte er sie selbst zum Marquis von Pembroke mit dem Recht diesen Titel zu vererben. Außerdem räumte er ihr den Vortritt vor seinen Schwestern ein. Königin Katharina, die auf der Rechtmäßigkeit ihrer Ehe mit Heinrich beharrte, wurde vom Hof verbannt und lebte seit Juli 1531 mit ihrem Hofstaat in ländlicher Abgeschiedenheit. Als sich Heinrich VIII. mit dem französischen König Franz I. im Oktober 1532 in Calais traf, trat Anna Boleyn an seiner Seite als erste Dame seines Hofes auf. Für diesen Anlass hatte ihr die verbannte Königin auf Befehl Heinrichs die königlichen Juwelen übergeben müssen, die Anna Boleyn bei offiziellen Empfängen und auf Festen trug. Wahrscheinlich gab sie kurz nach ihrer Rückkehr nach England Heinrichs Werben endlich nach. Als sie daher im Januar 1533 dem König mitteilte, dass sie schwanger sei, musste der König nun rasch handeln, um eine legitime Geburt seines Kindes sicherzustellen. Am 25. Januar 1533 heiratete er Anna Boleyn heimlich. Da Papst Clemens VII. aber nicht bereit war, Heinrichs Ehe mit der spanischen Prinzessin zu annullieren, wandte sich der König von der römisch-katholischen Kirche ab und gründete die Anglikanische Landeskirche, um so die Heirat mit Anna Boleyn zu ermöglichen. Im März 1533 erließ das englische Parlament ein Gesetz, das es verbot, in Zukunft in kirchenrechtlichen Fragen an den Papst zu appellieren und unterstellte gleichzeitig die geistliche Gerichtsbarkeit der königlichen. Nachdem am 23. Mai Heinrichs erste Ehe mit Katharina von Aragón vom Erzbischof von Canterbury für nichtig erklärt und die Heirat mit Anna Boleyn rückwirkend bestätigt worden war, fand am 1. Juni 1533 Anna Boleyns feierliche Krönung zur englischen Königin statt. Die Londoner brachten der neuen, sichtbar schwangeren Königin jedoch nur wenig Begeisterung entgegen, da Katharina von Aragón in der Bevölkerung beliebt war. Für Anna Boleyn sollte die Krönung trotzdem den glanzvollen Höhepunkt ihres Lebens bilden. Mit der Scheidung Heinrichs VIII. von seiner ersten Ehefrau und seiner zweiten Heirat begann die englische Reformation. Der Vatikan reagierte auf die Ereignisse mit dem Kirchenbann. Daraufhin erklärte sich der König Ende 1534 zum Oberhaupt der englischen Kirche, das alleine über religiöse Fragen zu entscheiden befugt war. Auf die Suprematsakte folgte die Sukzessionsakte, die Heinrichs Tochter Maria aus erster Ehe für illegitim erklärte und von der Thronfolge ausschloss und im Gegenzug die Kinder aus der zweiten Ehe als rechtmäßige Erben postulierte. Hinzu kam noch die Hochverratsakte, die jede Äußerung, die die Stellung des Königs als Oberhaupt der Kirche und das Thronfolgegesetz in Zweifel zog, mit der Todesstrafe bzw. lebenslänglicher Gefängnisstrafe bedrohte. England spaltete sich damit endgültig von der römisch-katholischen Kirche ab. Anna Boleyn, die zum Luthertum hinneigte, begrüßte diese Entwicklung.
Ein erster Schatten fiel bereits auf die Ehe Anna Boleyns mit Heinrich VIII., als sie am 7. September 1533 in Greenwich nicht den heiß ersehnten Sohn zur Welt brachte, sondern von einer Tochter, der späteren Königin Elisabeth I., entbunden wurde. Der enttäuschte König, der für den erwarteten Sohn die Namen Heinrich oder Eduard vorgesehen hatte, blieb demonstrativ der Taufe fern. Ein für die Tauffeierlichkeiten geplantes Turnier wurde von ihm abgesagt. Trotzdem musste Heinrichs Tochter Maria den Titel einer Fürstin von Wales an ihre kleine Halbschwester Elisabeth abgeben, da diese nun als Thronerbin galt. Später unternommene Annäherungsversuche von Anna Boleyn an die zutiefst verbitterte ältere Tochter ihres Ehemanns