Vom Königsbett zum Schafott. Barbara BeckЧитать онлайн книгу.
außer ihr Mutter kenne. Durch ihr oft herrisches Wesen und ihren zuweilen sarkastischen Humor gewann sich die neue Königin nicht eben viele Freunde bei Hof. Für die brutale Unterdrückung der klerikalen Opposition durch Heinrich VIII. wurde Anna Boleyn von der Bevölkerung verantwortlich gemacht. Im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin Katharina blieb sie unpopulär.
Trotz der Enttäuschung über die Geburt von Elisabeth führte Anna Boleyn zunächst noch eine harmonische Ehe mit dem König. Als im Juli 1534 eine erneute Schwangerschaft der Königin mit einer Totgeburt endete, begann jedoch Heinrichs Liebe zu ihr langsam abzukühlen, da sie seine Hoffnungen wieder enttäuscht hatte. Offenbar ließ auch ihre sexuelle Anziehungskraft auf ihren Mann nach. Ihre Launenhaftigkeit erregte zunehmend sein Missfallen. Hatte er ihre scharfe Zunge und ihren Witz früher als aufregend empfunden, schätzte es der König jetzt immer weniger, wenn er von seiner Ehefrau in der Öffentlichkeit in Dispute verwickelt wurde. Im Unterschied zu Heinrichs erster Gattin tolerierte Anna Boleyn auch nicht seine Seitensprünge, sondern überschüttete ihn stattdessen mit Vorwürfen. Nachdem Katharina von Aragón am 7. Januar 1536 an Krebs gestorben war, verschlechterte sich die Lage für Königin Anna dramatisch. Solange die erste Ehefrau noch am Leben war, konnte sich der König nicht gut innerhalb nur weniger Jahre wieder von der zweiten Gattin trennen. Heinrich VIII. befürchtete wohl auch, dass die Ehe mit Katharina automatisch wieder gültig würde, wenn er seine zweite Ehe für ungültig erklären würde. Als Anna Boleyn am Tag von Katharinas Beisetzung, am 29. Januar 1536, eine zweite Fehlgeburt erlitt, war ihr Schicksal so gut wie besiegelt. Dass sie dies ahnte, beweist ihr Nervenzusammenbruch nach dieser zweiten Totgeburt.
Wie einst Königin Katharina zog sich auch Anna Boleyn Heinrichs Ungnade durch ihr Unvermögen zu, ihm die gewünschten männlichen Thronerben zu schenken. Heinrich VIII., der sich Ende 1535 in Annas Hofdame Jane Seymour verliebt hatte, war im Frühjahr 1536 nicht länger an einer Fortsetzung seiner zweiten Ehe interessiert. Eine erneute Eheannullierung kam jedoch nicht in Frage, da dies Heinrichs Ruf gefährdet hätte. Um sich seiner ungeliebten Ehefrau aber endgültig entledigen zu können, musste diese deshalb mittels eines Todesurteils »legal« aus dem Weg geräumt werden. Anna Boleyns Gegnern am Hof war diese Entwicklung nicht entgangen. Sie bestärkten Heinrich daher in seinen Absichten. Die genauen Gründe für diese vom Hof ausgehende Intrige gegen Anna Boleyn lassen sich nicht mehr feststellen. Bei dem Komplott spielten politische, religiöse und private Gründe eine Rolle. Vermutlich haben die ehrgeizigen Brüder von Jane Seymour zusammen mit dem Lordkanzler Thomas Cromwell die Aktion gegen die Königin geplant und gezielt Gerüchte und Verdächtigungen gegen Anna Boleyn gestreut. Zu dieser mächtigen Clique gehörten auch Oberstallmeister Nicholas Carewe, der Marquis von Exeter sowie Lord Henry Montague. Für Cromwell, der sozusagen die Führung des Komplotts übernahm, stand Königin Anna vor allem der außenpolitischen Wiederannäherung an Kaiser Karl V. im Weg.
König Heinrich VIII. fing an, seine Gemahlin zu beschuldigen, ihn durch Hexenkünste in die Ehe mit ihr getrieben zu haben. Der König steigerte sich regelrecht, wozu er offensichtlich gerne neigte, in pathologisches Selbstmitleid hinein. Seit April 1536 ließ Heinrich daher Informationen gegen Anna Boleyn sammeln, die eine Hochverratsklage unterstützen würden. Er installierte dafür eine Untersuchungskommission unter dem Vorsitz von Annas Onkel Thomas Howard, dem Herzog von Norfolk. Am 1. Mai 1536 traten Anna Boleyn und Heinrich VIII. bei dem Besuch eines Turniers in Greenwich zum letzten Mal gemeinsam in der Öffentlichkeit auf. Der König verließ die Veranstaltung allerdings vorzeitig. Anna Boleyn sollte ihn nie wiedersehen. Einen Tag später wurde sie in Greenwich verhaftet, mit den gegen sie erhobenen Anklagepunkten konfrontiert und danach in den Tower nach London gebracht. Die völlig verängstigte Königin verbrachte die nächsten Tage in einem Zustand nahe dem Wahnsinn, der zwischen verschiedenen hysterischen Gefühlsaufwallungen schwankte. Am 6. Mai schrieb sie einen flehentlichen Brief an Heinrich VIII., wohlwissend dass ihr weiteres Schicksal völlig von der Gnade oder Ungnade ihres Ehemannes abhing: »Kein Fürst hat je eine treuere Gattin in aller Pflicht und aller wahrhaften Zuneigung gehabt, als Ihr in Anne Boleyn gefunden habt. (...) Lasst mich verhören, guter König, aber gebt mir ein gerechtes Gerichtsverfahren, und lasst nicht meine geschworenen Feinde als meine Ankläger und Richter über mich zu Gericht sitzen. Ja, gebt mir ein öffentliches Gerichtsverfahren, denn meine Wahrheit wird keine öffentliche Schande zu fürchten haben. Dann werdet Ihr entweder meine Unschuld gereinigt, Euren Argwohn und Euer Gewissen zufrieden gestellt, die Bosheit und Verleumdung der Welt zum Schweigen gebracht oder meine Schuld öffentlich erklärt sehen, sodass, was auch immer Gott und Ihr über mich beschließen mögen, Euer Gnaden von einer öffentlichen Kritik befreit sein werden, und wenn meine Schuld dann gesetzlich erwiesen ist, wird es Euer Gnaden sowohl vor Gott wie vor den Menschen freistehen, nicht allein gesetzliche Strafe an mir als einer ungetreuen Gattin zu vollziehen, sondern auch Eurer Neigung, die bereits feststeht, zu folgen, um derentwillen ich da bin, wo ich jetzt bin (...) Meine letzte und einzige Bitte sei, dass ich allein das Gewicht von Euer Gnaden Missfallen zu tragen habe und dass es nicht die unschuldigen Seelen der armen Edelleute treffen möge, die, wie ich höre, ebenfalls in strengem Gewahrsam sind um meinetwillen« 6.
Königin Anna wurde des Ehebruchs in fünf Fällen angeklagt sowie des Inzests mit ihrem Bruder Georg Boleyn, Graf von Rochford. Außerdem warf man ihr die Beteiligung an einer mörderischen Verschwörung gegen den König vor. Letzteres erscheint völlig aus der Luft gegriffen, da ihre Position gänzlich von der Person des Königs abhängig war. Weder ihr Onkel Thomas Howard, der den Vorsitz innehatte, noch Thomas Boleyn, der Vater von Anna und Georg, versuchten den beiden Geschwistern bei diesem Schauprozess zu helfen. Das ganze Gerichtsverfahren war eine reine Farce, da die erhobenen Anschuldigungen nicht wirklich bewiesen werden konnten. So stellte etwa Annas Schwägerin, Gräfin Jane Rochford, die ihr feindlich gesonnen war, die Behauptung auf, dass eine »ungehörige Vertraulichkeit« 7 zwischen den Geschwistern vorgefallen sei. Als die Gräfin 1542 selbst hingerichtet werden sollte, bekannte sie, dass sie damals zu Unrecht ihren Mann beschuldigt hatte. Während der Verhandlung trat Anna Boleyn ruhig und gefasst auf und beteuerte ihre Unschuld. Wie vom König gewünscht wurde sie am 15. Mai vor etwa 2000 Zuschauern zum Tode verurteilt. Auch ihre angeblichen Liebhaber, zu denen außer ihrem Bruder noch der Schatzmeister der königlichen Privatschatulle, Sir Henry Norris, die Kammerherren Sir Francis Weston und William Brereton sowie der Hofmusiker Marc Smeaton gehörten, wurden zum Tode verurteilt. Es mutet makaber an, dass sich Heinrich VIII. persönlich um die Vorbereitung der Hinrichtungen kümmerte. Da ihr die erbetene Gnade nicht gewährt wurde, wurde Anna Boleyn am 19. Mai 1536 hingerichtet. Noch vor der Vollstreckung des Urteils wurde ihre Ehe mit Heinrich VIII. durch den Erzbischof von Canterbury mit der Begründung annulliert, dass der König vorher eine Beziehung mit Annas Schwester unterhalten hatte, wodurch angeblich eine verwandtschaftliche Beziehung entstanden sei. Eine neue Sukzessionsakte erklärte außerdem die gemeinsame Tochter von Anna Boleyn und Heinrich VIII., Prinzessin Elisabeth, für illegitim. Am 30. Mai schloss König Heinrich VIII. seine dritte Ehe mit Jane Seymour, mit der er sich geschmackloser Weise bereits am Tag nach Annas Hinrichtung verlobt hatte.
Anmerkungen
1 Zit. nach Antonia Fraser, Die sechs Frauen Heinrichs VIII., 2. Aufl., Hildesheim 1995, S. 286.
2 Zit. nach Ebd., S. 286.
3 Theo Stemmler (Hrsg.), Die Liebesbriefe Heinrichs VIII. an Anna Boleyn, Zürich 1988, S. 95.
4 Zit. nach Fraser, Frauen Heinrichs VIII., S. 186.
5 Zit. nach Ebd., S. 270.
6 Zit. nach Helga Thoma,