Die Welfen. Barbara BeckЧитать онлайн книгу.
Viktoria Luise von Preußen, Herzogin von Braunschweig
Friederike von Hannover, Königin der Hellenen
Vorwort
Die Welfen gelten als eines der ältesten Fürstenhäuser Europas. Schon unter Karl dem Großen sind sie nachweisbar. Im 12. Jahrhundert erreichte die Dynastie mit Besitztümern im ganzen Heiligen Römischen Reich einen ersten Machthöhepunkt. Nachdem sie neben den Staufern maßgeblich die Geschicke des Reichs gelenkt hatten, verloren die Welfen nach dem Sturz von Herzog Heinrich dem Löwen im Jahr 1180 an Bedeutung. Das Adelsgeschlecht, das sich in mehrere Linien aufteilte, war danach auf den norddeutschen Raum beschränkt und spielte für die Reichspolitik keine entscheidende Rolle mehr.
Der Linie Braunschweig-Lüneburg, für die bald die Bezeichnung Hannover üblich wurde, gelang 1692 mit dem Erwerb der Kurwürde und 1714 mit der auf dem Heiratsweg errungenen Thronfolge in Großbritannien wieder die Rückkehr zu alter Größe. Dank des kolonialen Weltreichs der britischen Krone kommt dem Haus Hannover eine sogar über Europa hinausweisende Bedeutsamkeit zu. Indem sie in Personalunion über ihre deutschen Stammlande und das britische Reich regierten, stellten die Hannoveraner auch ihre großen Konkurrenten im norddeutschen Raum, die Hohenzollern in Brandenburg-Preußen, in den Schatten. Die Personalunion ging 1837 wegen unterschiedlicher Thronfolgeregelungen zu Ende. In Großbritannien begründete Königin Viktoria, die letzte Welfin auf dem britischen Thron, durch ihre Heirat mit dem deutschen Prinzen Albert das Herrscherhaus Sachsen-Coburg-Gotha, das sich während des Ersten Weltkrieges in Windsor umbenannte. Im Königreich Hannover führte dagegen Viktorias Onkel Ernst August die Herrschaft des Hauses Hannover fort. Als eigenständiger Staat ging Hannover nach dem Deutschen Krieg 1866 unter. Die königliche Familie emigrierte nach Österreich, um 1913 nochmals für kurze Zeit auf den Thron im Herzogtum Braunschweig zurückzukehren. Mit der Revolution endete 1918 die welfische Herrschaft endgültig. Der letzte regierende Hannoveraner, Herzog Ernst August von Braunschweig, dankte als erster der neunzehn deutschen Fürsten für sich und seine Nachkommen ab und zog sich ins Privatleben zurück.
Der vorliegende Band spürt diesem zweiten glanzvollen Aufstieg der Welfen in den Machtzenit nach, als das Haus Hannover zu den einflussreichsten Dynastien Europas zählte. Das Buch spannt den zeitlichen Rahmen vom 17. bis zum 20. Jahrhundert. Das Hauptgewicht liegt dabei auf der Zeit der 123 Jahre dauernden Personalunion zwischen Großbritannien und Hannover, einer für Europas Geschichte historisch äußerst bedeutsamen Epoche. In 21 Kurzporträts werden bekannte und interessante Mitglieder des Herrscherhauses vorgestellt, die der Autorin als besonders bemerkenswert erscheinen. Der Reigen beginnt mit Herzog bzw. Kurfürst Ernst August, der nicht nur den Kurhut für sein Haus erwarb, sondern zusätzlich seinem Geschlecht durch seine Ehe mit Sophie von der Pfalz, einer Enkelin des Stuart-Königs Jakob I., den britischen Thronanspruch verschaffte. Mit der 1981 verstorbenen griechischen Königin Friederike, die als momentan letztes Mitglied des Hauses Hannover auf einen Thron gelangte, endet die Reihe der Lebensläufe. Ergänzt werden diese Kurzporträts durch mehrere überblicksartige Einführungstexte, die den jeweiligen historischen Hintergrund näher erläutern sollen. Um der Leserschaft vielfältige Einblicke in das Thema zu bieten, sind kleine »Exkurse« zur Vertiefung einzelner kulturgeschichtlicher bzw. geschichtlicher Aspekte eingefügt worden.
Das Kurfürstentum Hannover
Das Kurfürstentum Hannover ging aus dem welfischen Teilfürstentum Calenberg-Göttingen-Grubenhagen hervor. Dieses Teilfürstentum war Bestandteil des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg, das 1235 neu gegründet und nach seinen beiden wichtigsten Städten benannt worden war. Das Herzogtum spaltete sich bald in mehrere Linien auf. Bis 1665 verursachten Erbfälle zahlreiche territoriale Teilungen und Wiederzusammenführungen. Mit dieser Zersplitterung des welfischen Territoriums und Aufspaltung in mehrere Linien ging gleichzeitig auch ein machtpolitischer Bedeutungsverlust innerhalb des Gefüges des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation einher. Erbrechtliche Vereinbarungen zwischen den Linien stellten allerdings sicher, dass beim Aussterben einer Linie deren herrschaftlicher Besitz an die verbleibenden Linien überging und so letztlich die Einheit des Herzogtums gewährleistet wurde. Die Zusammengehörigkeit des welfischen Hauses drückte sich auch in der Titulatur aus; denn unabhängig von dem Landesteil, über den sie jeweils regierten, traten alle Fürsten als »Herzöge von Braunschweig und Lüneburg« auf. Gemeinsam war den welfischen Territorien außerdem, dass sich in ihnen im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts der Protestantismus weitgehend durchgesetzt hatte.
Das anlässlich einer Erbteilung im Jahr 1495 geschaffene Fürstentum Calenberg-Göttingen kam 1635 im Zuge von Erbauseinandersetzungen an die sogenannte jüngere Linie des Hauses Braunschweig-Lüneburg. Die beiden anderen Territorien, die aus dieser Aufteilung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg hervorgingen, waren das Fürstentum Lüneburg und das Fürstentum Wolfenbüttel. Herzog Georg, der neue Landesherr von Calenberg-Göttingen seit 1636, entschied sich dafür, die Stadt Hannover gegen den Widerstand ihrer Bürger zu seinem Regierungssitz zu machen, und verlegte ein Jahr später auch seine Residenz hierher. Georg bestimmte in seinem Testament von 1641 für die jüngere Linie, dass die Fürstentümer Lüneburg und Calenberg nie in einer Hand vereinigt werden sollten, solange noch zwei legitime männliche Nachkommen vorhanden wären. Dem älteren Erben fiel dabei das Optionsrecht zwischen den beiden Fürstentümern zu. Diese Wahlmöglichkeit ergab sich für seine vier Söhne Christian Ludwig, Georg Wilhelm, Johann Friedrich und Ernst August, als ihr Onkel Herzog Friedrich, der über Lüneburg regiert hatte, 1648 starb. Nacheinander wechselten sie sich in der Nachfolge in Calenberg-Göttingen ab, da im jeweiligen Erbfall der ältere Bruder immer das einträglichere Lüneburg vorzog. Bei der letzten großen Erbteilung 1665 wurde das Fürstentum Grubenhagen von Lüneburg abgetrennt und endgültig an Calenberg-Göttingen angegliedert.
In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts stieg das Fürstentum Calenberg-Göttingen zu einer Regionalmacht im Norden des Reichs auf. Die Voraussetzungen hierfür wurden unter Herzog Johann Friedrich geschaffen, der im September 1665 die Regierung in den Fürstentümern Calenberg-Göttingen und Grubenhagen übernahm. Zwar war er 1651 aus religiöser Überzeugung zum katholischen Glauben konvertiert, doch der evangelische Bekenntnisstand des Landes wurde davon nicht berührt. Unter Johann Friedrich zeichnete sich im Sinne des Absolutismus eine Entwicklung zu Zentralbehörden ab, um die staatliche Macht zu konzentrieren. Wie schon sein Vater und seine Brüder bemühte er sich darum, den Einfluss der Stände zu beschneiden und ihnen politische Mitspracherechte zu entziehen. Vor allem baute Johann Friedrich das Stehende Heer aus, wodurch das Fürstentum zu einem politischen Faktor wurde. Ohne Subsidien, ausländische Geldmittel für militärische Unterstützung, waren die Vergrößerung und der Unterhalt der Armee letztlich nicht möglich. Besonders deutlich zeigte sich diese Abhängigkeit von Hilfsgeldern etwa zu Beginn der Regierungszeit von Johann Friedrichs Neffen, Kurfürst Georg Ludwig. Als wegen des Friedens von Rijswijk 1697 die auswärtigen Zahlungen unterblieben, löste dies in Hannover eine förmliche Finanzkrise aus. Die finanziell kritische Situation endete erst mit dem Spanischen Erbfolgekrieg, der wieder englische und holländische Subsidien zur Folge hatte.
Nach Johann Friedrichs söhnelosem Tod trat 1679 sein jüngster Bruder Ernst August die Nachfolge in Hannover an. Sein Herrschaftsgebiet umfasste zu diesem Zeitpunkt in der Hauptsache die Fürstentümer Calenberg-Göttingen und Grubenhagen sowie die Grafschaft Diepholz. Hinzu kam die Anwartschaft auf das Fürstentum Lüneburg, die ihm sein älterer Bruder Georg Wilhelm 1675 zugesichert hatte, als Ernst August seine Zustimmung zur nachträglichen Legitimierung von Georg Wilhelms unebenbürtiger Ehe mit Eléonore d’Olbreuse gab. Im Inneren setzte Herzog Ernst August die zentralistische, am Aufbau einer effektiven Verwaltung orientierte Politik seiner Vorgänger fort. Die im Februar 1680 erlassene Regimentsordnung förderte die Einrichtung