Die Welfen. Barbara BeckЧитать онлайн книгу.
Landes, nämlich die Nordpfalz, zurückerhielt und mit der neugeschaffenen achten Kurwürde ausgestattet wurde. Sophie, die trotzdem keinerlei Aussicht auf eine stattliche Mitgift und so auf eine glänzende Heirat hatte, lebte seit 1650 am Heidelberger Hof ihres Bruders. Sie kümmerte sich liebevoll um die beiden Kinder Karl Ludwigs aus dessen zerrütteter Ehe mit Charlotte von Hessen-Kassel. Vor allem ihre Nichte Elisabeth Charlotte, die später berühmte Liselotte von der Pfalz, stand Sophie zeitlebens sehr nahe.
Nachdem sich verschiedene Heiratsprojekte zerschlagen hatten, kam es 1656 zu Sophies Verlobung mit Herzog Georg Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg. Auf Druck seiner Landstände hatte sich der vergnügungssüchtige Welfe zu guter Letzt zu einer standesgemäßen Ehe durchgerungen. Da er sich jedoch vermutlich in Venedig eine Geschlechtskrankheit zugezogen hatte, wich er der bevorstehenden Heirat aus. Im sogenannten »Brauttausch« trat der Herzog seinem jüngsten Bruder Ernst August die Hand Sophies ab. Georg Wilhelm verpflichtete sich dafür im April 1658 schriftlich, »die noch übrige Zeit seines Lebens in coelibatu gänzlich hinzubringen«. Außerdem sollten Ernst August und seine Nachkommen nach Georg Wilhelms Tod das gesamte Fürstentum Lüneburg mit der Residenz Celle erben. Der Pfälzer Prinzessin blieb nichts anderes übrig, als sich mit diesem sonderbaren Handel einverstanden zu erklären, weil ihre Chancen auf dem fürstlichen Heiratsmarkt inzwischen nicht mehr groß waren. Über ihre tatsächlichen Gefühle ließ die nüchtern eingestellte Sophie nichts verlauten, sondern heiratete Ernst August im Oktober 1658 in Heidelberg.
Zu Sophies Überraschung entwickelte sich ihre allein aus Vernunftgründen geschlossene Ehe zunächst ausnehmend positiv. Ihrem Bruder schrieb sie, sie erlebe »das Wunder dieses Jahrhunderts: ihren Ehemann zu lieben«. Bald musste sie aber erkennen, dass ihr Ehemann von Monogamie nicht viel hielt. Die stets beherrschte Sophie bewahrte Haltung und arrangierte sich mit den Affären und häufigen Abwesenheiten ihres Gatten. Aus ihrer Ehe mit Ernst August stammten sechs Söhne und eine Tochter. Im Gegensatz zu ihrer Mutter hing Sophie sehr an ihren Kindern. Seit ihr Schwager und einstiger Bräutigam Georg Wilhelm entgegen seinem Versprechen 1665 die nicht ebenbürtige Hofdame Eléonore d’Olbreuse in einer Art »Gewissensehe« geheiratet hatte, sorgte sich Sophie um die standesgemäße Versorgung ihrer Kinder. Da mit der Legalisierung der Ehe Georg Wilhelms durch den Kaiser 1675/76 die Erbfolge für Sophies Familie im Fürstentum Lüneburg gefährdet zu sein schien, befürwortete die intelligente Herzogin trotz ihres ausgeprägten Adelsstolzes die 1682 geschlossene Ehe ihres ältesten Sohnes Georg Ludwig mit Georg Wilhelms Erbtochter, Sophie Dorothea, weil dadurch das Celler Erbe endgültig gesichert wurde.
Als Herzog Ernst August 1662 die Regierung als »weltlicher« Bischof des Hochstifts Osnabrück antreten konnte, lebte er mit seiner Familie zuerst in Schloss Iburg, bevor das aus eigenen Mitteln neu erbaute Schloss in Osnabrück bezogen werden konnte, das besser dem gesteigerten Repräsentationsbedürfnis des Herzogspaars entsprach. Über den 1680 nötigen Umzug nach Hannover wegen des unerwarteten Erbanfalls des Fürstentums Calenberg-Göttingen-Grubenhagen zeigte sich Sophie anfänglich wenig glücklich. Schon bald strebte der ehrgeizige und zielbewusste Ernst August die Erlangung der Kurwürde für sein Haus an. Die dafür erforderliche territoriale Einheit setzte die Einführung des Erstgeburtsrechts und damit den Ausschluss der nachgeborenen Söhne von der Erbfolge voraus, was bisher bei der jüngeren welfischen Linie nicht üblich gewesen war. In dem darüber ausgebrochenen, fast 20 Jahre dauernden Familienstreit stand Sophie auf der Seite ihrer jüngeren Söhne. Vermutlich wusste sie annähernd über die Verschwörung des Prinzen Maximilian Wilhelm gegen seinen Vater 1691 Bescheid. Ihre Mitwisserschaft isolierte die Herzogin noch stärker von ihrem ihr seit langem entfremdeten Ehemann. Sophie entschuldigte ihr an Landesverrat grenzendes Verhalten damit, dass sie »zu viel Liebe« für ihre jüngeren Söhne empfunden habe. 1692 bekam Herzog Ernst August dank seiner Geld- und Militäreinsätze für den Kaiser die erwünschte Kurwürde übertragen. Sophie reagierte darauf zwar mit gemischten Gefühlen, dennoch führte sie den kurfürstlichen Titel von dem Zeitpunkt an in jeder Briefunterschrift.
Seit Ernst August als Landesherr in Hannover residierte, engagierte sich Sophie für die Ausgestaltung der herzoglichen Sommerresidenz in Herrenhausen. Unter ihrer Leitung wurde der Große Garten, der sich bis zu ihrem Tod in seiner Ausdehnung vervierfachte, von dem Landschaftsgärtner Martin Charbonnier neu gestaltet. Der prächtige Barockgarten stellte für sie einen Lebensinhalt dar. 1713 konstatierte sie: »Nur mit dem Herrenhäuser Garten können wir prunken.« Wichtig wurde für die vielseitig interessierte Fürstin zudem der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz, der in Hannover als Hofrat und Bibliothekar wirkte. In dem Universalgenie fand sie nicht nur einen bedeutenden Gesprächspartner und Berater in politischen Fragen, sondern auch einen lebenslangen Freund. Der von Leibniz angestrebten Ökumene der christlichen Konfessionen stimmte sie zu; denn Sophie war keine Freundin von »Pfaffengezänk«. Auf seinen Vorschlag hin begann sie im Winter 1680/81, als sie sich in einer persönlichen Krise befand, mit der Abfassung ihrer Memoiren zu beschäftigen, um über ihre Melancholie hinwegzukommen. Sie gehört damit zu den ersten Frauen aus dem deutschen Hochadel, die ihre Lebenserinnerungen niederschrieben, aber selbstverständlich verfasste sie diese wie auch den Großteil ihrer umfangreichen Korrespondenz in Französisch, das damals als Sprache der Gebildeten und des Hofes galt. Eine Veröffentlichung plante sie nicht.
Erst gegen Ende seines Lebens hatte der nach mehreren Schlaganfällen immer hinfälligere Kurfürst Ernst August seine Ehefrau wieder ganz an seine Seite zurückgeholt. Er wollte fast nur noch Sophie um sich haben, während er seine langjährige Mätresse, Gräfin Clara Elisabeth von Platen, nicht mehr sehen wollte. Nach Ernst Augusts Tod im Januar 1698 übernahm seine Witwe am Hof des ältesten Sohnes, der nach seiner Scheidung keine standesgemäße Ehe mehr eingegangen war, die Position der Ersten Dame mit den dazugehörigen Repräsentationspflichten. Kurfürst Georg Ludwig besprach mit seiner Mutter allerdings nie persönliche oder politische Themen.
Dass es für die Welfen in der Tat »keine von höherer Geburt zu wählen« gab als Sophie, wie sie im Rückblick stolz vermerkte, erwies sich 1701, als das englische Parlament den »Act of Settlement« erließ, der festlegte, dass von nun an allein protestantische Erben den englischen Thron besteigen durften. Die Enkelin des Stuart-Königs Jakob I. und mit ihr ihre protestantischen Nachkommen rückten dadurch in unmittelbare Nähe der Thronfolge auf, da Sophie nach der 35 Jahre jüngeren Anna Stuart, Tochter Jakobs II., die nächste Anwärterin auf die Krone war. Mit ihren Versuchen, den Anspruch Hannovers abzusichern, erregte die verwitwete Kurfürstin jedoch bei Königin Anna, die selbst keine überlebenden Kinder hatte, heftiges Missfallen, indes konnte die Thronfolge der Welfen nicht mehr vereitelt werden. Zwar verstarb Sophie einige Wochen vor Anna, doch ihr ältester Sohn konnte als erster Welfe 1714 den britischen Thron besteigen. Mit König Georg I. begann die bis 1837 bestehende Personalunion zwischen Großbritannien und Hannover. Sophie starb hingegen nach den Worten von Leibniz den Tod, »den sie sich gewünscht hatte«. Am 8. Juni 1714 erlag sie auf ihrem gewohnten Abendspaziergang im Garten von Herrenhausen den Folgen eines Schlaganfalls.
Sophie Charlotte von Hannover
* 1668 in Iburg bei Osnabrück
† 1705 in Hannover
Königin in Preußen
»Die Kurfürstin ist eine der schönsten Frauen von Deutschland. Ihr Teint, ihre Augen, ihr Mund – alles an ihr ist entzückend. Dabei ist die Schönheit noch die geringste ihrer Eigenschaften. Ihr Verstand ist lebhaft und angenehm, glänzend, kräftig und gerecht. Sie weiß viel, sie liest täglich drei bis vier Stunden, aber keine Schmöker, sondern die besten Autoren. Sie spricht gut italienisch und liebt die Kunst. Ihr Wissen macht sie nicht trocken, sie ist eine Gelehrte, aber in der Art einer Fürstin. Sie liest nicht, um ihr Gedächtnis vollzustopfen, sondern um sich ein Urteil zu bilden, und sie drückt sich sehr gut aus. (…) Sie ist kokett und möchte gefallen, aber alle Leute, die sie seit ihrer Kindheit kennen, loben ihre Tugendhaftigkeit.« Derartige Elogen auf die spätere erste preußische Königin Sophie Charlotte wie jene aus der Feder des französischen Diplomaten de La Rosière aus dem Jahr 1693 finden sich nicht selten. Echte Popularität erlangte die intellektuelle Welfin trotzdem nie in Brandenburg-Preußen, wozu sicherlich der Umstand beitrug, dass sie sich mit ihrer neuen