Shannon und der Falke von Chihuahua: Shannon 20. John F. BeckЧитать онлайн книгу.
starrten auf den Korb. Zwischen den Trauben und rotbäckigen Äpfeln zischte und knisterte es. Ein dünner Rauchfaden stieg empor. Der berüchtigte Rebellenführer aus der Sierra zog einen schweren 45er Colt unter dem verwaschenen, mehrfach geflickten Poncho hervor. Seine Augen blitzten.
„Schnell, Gringo! Zu den Pferden!“
Entsetzt stoben die Soldados auseinander. Shannon wirbelte Ortega herum, versetzte ihm einen Stoß, der ihn in die frischgeschaufelte Grube warf, und hechtete hinterher. Im nächsten Augenblick krachte es wie ein Kanonenschuss. Staub und Rauch hüllten den Platz ein.
Shannon beendete die Unterhaltung mit dem Capitan mit einem Revolverhieb.
Schreie gellten. Pferde wieherten. Hufe stampften.
Er schnellte aus der Grube. Mündungsfeuer zuckten durch die graugelben Schwaden. Ein Reiter preschte auf ihn zu. Shannon riss den Revolver hoch, da erkannte er Santillo. Der Rebellenhäuptling warf ihm die Zügel eines zweiten reiterlosen Pferdes zu, ohne selbst das Tempo zu drosseln. Wie ein Schatten fegte er an Shannon vorbei.
Der Satteltramp landete mit einem Panthersatz auf dem Pferderücken. Sand und Steine spritzten unter den hämmernden Hufen auf. Santillos wildes Triumphgelächter versank im Dröhnen mehrerer Gewehre. Kugeln pfiffen an Shannon vorbei. Er drehte sich halb und schoss aufs Geratewohl, nur um Zeit zu gewinnen und die Soldaten in Deckung zu zwingen.
Der Lärm blieb zurück. Nur noch das Trommeln der Hufe und das Knarren des Sattelleders begleiteten ihn.
Eine Meile weiter wartete Ramon Santillo hinter einer Gruppe von Felsen. Er trug noch immer die Kleidung eines Peons, aber seine Haltung verriet Selbstbewusstsein und wilde Freude. Der grüne Seidenschirm hing als Trophäe an seinem Sattel.
„Weißt du jetzt, warum sie mich den ,Falken von Chihuahua' nennen, Gringo? Er lachte leise. Sie sind niemals sicher vor mir. Ich stoße wie ein Raubvogel zwischen sie, wenn sie es am wenigsten erwarten. Aber komm! Sie werden wie die Teufel hinter uns her sein. Delgado, dieser Menschenschinder und Schuft von einem Gouverneur, hat zwanzigtausend Pesos auf meinen Kopf ausgesetzt. Ich hoffe, Gringo, du hast nicht die Absicht, sie dir zu verdienen.“
Er lachte wieder, aber Shannon verzog keine Miene.
„Ich verkaufe keinen Mann, dem ich das Leben verdanke.“
„Übertreib nicht, Gringo. Ich glaube, du hättest dir recht gut allein zu helfen gewusst. Aber Ortega, dieser Bastard, hatte schon lange eine Lektion verdient! Er ist der gefährlichste unter Delgados Offizieren, ein Bursche, der wie ein Besessener hinter mir her ist. Nicht nur des Geldes wegen. Er sieht sich schon als Stellvertreter des Gouverneurs in Ciudad Chihuahua einziehen. Tut mir leid. Gringo, dass dir meine Leute diese salzige Suppe eingebrockt haben.
„Mir auch.“
Santillo grinste. Seine Zahnreihen blitzten. Du bist ein harter Bursche. Gringo. Was hältst du davon, in meiner Armee zu reiten, gegen Delgado, den Tyrannen! Für die Freiheit der Provinz Chihuahua!
„Bügel an Bügel mit Kerlen wie Gutierez?“
Santillo zuckte die Achseln. „Felipe ist ein guter Kämpfer, nur das zählt. Du würdest ja nicht für ihn, sondern für mich reiten. Also?“
„Mein Bedarf an Verdruss ist reichlich gedeckt. Nicht nötig, dass ich ihm auch noch nachlaufe.”
„Schade“, meinte der Rebell. Du hättest gut zu uns gepasst, Gringo, wirklich.“
„Nenn mich nicht dauernd Gringo. Ich hab einen Namen. Ich heiße Shannon, Jim Shannon.“
„Macht nichts!“, lachte Santillo. „Gringo gefällt mir besser. Komm endlich! Da hinten sind sie schon.“ Mit einem kehligen Schrei trieb er sein Pferd weiter.
Ein Blick über die Schulter zeigte Shannon, dass Ortegas Soldaten keine Zeit verloren hatten. Eine Staubwolke rollte auf ihrer Fährte heran. Shannon blieb keine Wahl, als hinter Santillo in die Ausläufer der Sierra hineinzujagen. Er hatte kein gutes Gefühl dabei. Etwa so wie am Pokertisch, wenn er mit dem Instinkt des erfahrenen Spielers witterte, dass er trotz eines guten Blattes im Begriff war, in eine Pechsträhne hineinzuschlittern und trotzdem nicht mehr aussteigen konnte.
Shannon konnte stolz auf sein Ahnungsvermögen sein. Doch eine Stunde später war das ein ziemlich armseliger Trost für ihn.
Santillo war ein Stück zurückgeblieben. Sein Ruf stoppte Shannon. Er wendete zwischen den steilen, in der Sonne glühenden Felsmauern und ritt zu dem Rebellenhäuptling zurück. Santillo war abgestiegen, stand lässig neben dem Pferd und trank aus der lederüberzogenen Sattelflasche. Er benahm sich ganz so, als gäbe es weit und breit keine Gefahr mehr. Dabei wusste Shannon genau, dass die Soldados nicht mehr als zwei Meilen hinter ihnen waren.
Santillo grinste.
„Hast du's dir inzwischen nicht doch anders überlegt, Gringo?“
„Nein.“
„Dachte ich mir“, nickte Santillo. zog seinen 45er Colt und richtete ihn auf Shannon. Du bist einer von den wenigen Hombres, die jederzeit zu ihrem Wort stehen. Ich hab ’nen Bück dafür.“
„Willst du mir deswegen 'ne Kugel geben?“
Der Falke von Chihuahua lachte.
„Nur, wenn du dich weigerst, mir dein Pferd zu überlassen, das ja ohnehin Ortega gehört. Tut mir leid. Gringo. Mein Gaul lahmt nämlich. Auf dem schaffe ich keine halbe Meile mehr.“
Der Colthammer klickte. Shannon erkannte die eiserne Entschlossenheit hinter Santillos Grinsen. Es war ein ausgesprochener Pechtag! Wenn schon Verdruss, dann aber gleich richtig! Aber das war kein Grund zum Jammern, auch wenn Shannon wusste, dass die Chancen eines Mannes zu Fuß in dieser Wildnis höchstens eins zu hundert standen. Irgendwie schaffte er ebenfalls ein Grinsen.
„Was hättest du getan, wenn ich mich entschlossen hätte, doch bei euch mitzumachen?“
„Dich trotzdem zurückgelassen!“, gab Santillo unumwunden zu. „Aber so fällt es mir leichter. Du musst das verstehen, Gringo. Ich hab nichts gegen dich, im Gegenteil. Aber die Revolution braucht mich! Meine Leute sind ohne mich ein wilder, zügelloser Haufen, der keine Chance hat, Delgado von seinem selbsterrichteten Thron zu stürzen. Glaub mir, Gringo, ich spaße nicht: Es gibt nur einen Mann, der diesen Schurken und Ausbeuter stürzen kann, und der bin ich.“
Er prahlte nicht, er war felsenfest von dieser Behauptung überzeugt. Sein Handeln war typisch für den Mann, den Leute wie Delgado und Ortega in den tiefsten Höllenschlund verdammten, während die Peones, die Dörfler, die Armen und Unterdrückten ihn als Befreier bejubelten. Zu Recht? Eins war sicher: Santillo mochte viele Fehler haben, aber er war keiner von den vielen Bandenhäuptlingen, die vorgaben, für die Freiheit zu kämpfen und in Wahrheit nur an Beute dachten.
Nachdenklich runzelte Shannon die Stirn.
„Und danach? Auch wenn du es schaffst, die Regierung wird einen anderen Mann schicken, der Delgados Platz einnimmt ...“
„Vielleicht einen besseren. Wenn nicht, dann werden meine Amigos und ich eben weiterkämpfen. Aber ich habe jetzt keine Zeit, mit dir darüber zu streiten, Gringo. Steig ab! Ich brauch dein Pferd. Du kannst dir vielleicht gegen die Soldados eine Chance ausrechnen, nicht gegen mich. Ich warne dich. Ich werde sofort schießen.“
3
Shannon beobachtete von einer schmalen Felsleiste aus, wie kurz darauf die Soldados das zurückgelassene lahmende Pferd fanden. Er lag wie hingeklebt dort oben. Ortega, der wieder mit von der Partie war, gab ahnungslos genau unter ihm mit einer Handbewegung das Signal zum Halten. Er thronte wie ein siegreicher Feldherr im Sattel, dabei krampfhaft bemüht, sich nichts von der Nachwirkung des Hiebes anmerken zu lassen, den Shannon ihm verpasst hatte. Sein junger uniformierter Diener war sofort zur Stelle, um mit einem Rosshaarwedel eifrig den Staub von Ortegas Jacke zu putzen. Bei anderer Gelegenheit hätte Shannon vielleicht über diese Szene gegrinst, nicht jetzt. Wenn einer von den Soldados ihn hier oben entdeckte.