Sklaverei. Michael ZeuskeЧитать онлайн книгу.
600 Seiten herausgekommen.
Ich strukturierte das Manuskript nach historisch-anthropologischen Gesichtspunkten und großen Weltregionen um (Ozeanen/Meeren, Hemisphären und Kontinenten). Das Buch erschien 2013 und 2019 als Handbuch Geschichte der Sklaverei. Eine Globalgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. Die Globalgeschichte ist ein typisches Grundlagenforschungsbuch und steht in vielen National- und Universitätsbibliotheken. Es ist aber kein Publikumsbuch. Ein Buch zu diesem Thema mit wissenschaftlichem Anspruch, aber eben kurz und lesbar, blieb ein Desiderat. Eine Kollegin hatte in einer Rezension gefordert, ich möge doch einmal in lesbarer Form erklären, was die Hauptergebnisse meiner Grundlagenforschung seien. Also schrieb ich eine kurze und lesbare Synthese. Das Ergebnis war die erste Auflage des vorliegenden Buches.
Dieser Band ist eine Geschichte der Sklavereien, die sich wie eine dichtgewebte Bindungsstruktur extremster asymmetrischer Abhängigkeiten durch die Welt- und Globalgeschichte von den Anfängen bis heute und in allen Gesellschaften ziehen. Werden Wirtschaft, Produktion, Handel, Hierarchien oderHerrschaftsverhältnisse betrachtet, finden sich bei genauer Analyse fast immer Versklavte, Sklavereien und Sklavereiregimes (und ihre Folgen). In vielen Büchern zu Kultur-, Wissens- und Geistesgeschichte, auch in Nationalgeschichten, werden sie oft nicht behandelt - sie werden verschwiegen oder interessieren schlicht nicht. Auf den nachfolgenden Seiten stehen sie im Zentrum. Das vorliegende Buch ist keines über »Freiheit«, Menschenrechte, Widerstand oder Abolitionen (obwohl es ein Kapitel dazu gibt), sondern über Sklavereien, Versklavte und ihren ›Wert‹ sowie ihre Preise in den jeweiligen Sklavereien und Sklavereiregimes. Die Hauptaussage lautet, dass Sklavereien in der Welt- und Globalgeschichte bis heute ubiquitär und in gewissem Sinne alltäglich sind, samt ihren strukturellen Folgen und Nachwirkungen sowie heutigen Wirkungen. Nur merken wir das oftmals gar nicht. Um das handhabbar (und lesbar) zu machen, habe ich die historisch-anthropologische Differenzierung nach Sklaverei-Plateaus (insgesamt sechs für die Geschichte der Menschheit) bei der Gliederung des Bandes angewandt. Das sind keine »Formationen« oder stages (wie es heute in Neudeutsch heißt). Sie beginnen alle an einem gewissen Punkt der Weltgeschichte, hören aber nicht auf, mit relativer Ausnahme des dritten Plateaus zur atlantischen Sklaverei um 1400–1900.
In der Zeit zwischen der Erstpublikation 2018 und der Neuauflage 2021 ist die Sklavereiforschung (weniger die Forschung zu Versklavten) exponentiell gewachsen. Und es gibt Sklavereiforschungszentren, die wichtiges neues empirisches Material vorgelegt haben. Allein schon Deutschland hat sich vom ›Zaungast‹ der Sklavereiforschung mit Fixierung auf die USA-Academia zu einem neuen Zentrum der Sklavereiforschung mit den wichtigsten Standorten Bremen, Frankfurt an der Oder (Vergleichende Europäische Wirtschafts- und Sozialgeschichte), Hannover und Bonn (Bonn Center for Dependency and Slavery Studies, kurz BCDSS) entwickelt. Neben den sehr vielen Einzelergebnissen und Tagungen des BCDSS ist vielleicht das wichtigste bisher erreichte Resultat, dass eine der globalhistorischen Fehlrezeptionen in Deutschland und Mitteleuropa dabei ist, sich aufzulösen – nun ist klar, dass Brasilien das Land mit der umfassendsten Sklavereigeschichte und -forschung weltweit ist.
Deutschland und Mitteleuropa (es gibt auch in der Schweiz starke Forschungen) galten bisher als Hinterland oder Peripherie der dynamischen Wirtschaften der Sklaverei- und Sklavenhandelsnationen (Portugal, Spanien, Großbritannien, Frankreich, Niederlande, Dänemark, Schweden samt ihren Kolonien; mit Abstrichen auch Brandenburg/Preußen). Inzwischen aber wird deutlich, dass diese Regionen daran durchaus beteiligt waren – entweder durch einzelne Unternehmer, Firmen oder durch Teilnehmer am afrikanischen und atlantischen Sklavenhandel sowie Plantagenbesitzer oder in sklavereinahen Jobs wie Mediziner/Arzt, Handwerker, Aufseher/Manager in der Sklaverei, in Sklavereiregimes und -wirtschaften oder durch Besitz und Handel mit Versklavten im deutschen Alten Reich, in der Schweiz oder in italischen Staaten. Dies war vor allem im 18. Jahrhundert und den Zeiten des Biedermeierkapitalismus bis zur eigentlichen Industrialisierung in Mitteleuropa (um 1870) der Fall.
Was einzelne Forschungsergebnisse betrifft, will ich nur auf die aus meiner Sicht wichtigsten verweisen, zumal auf solche, die gerade Gegenstand der Debatte sind: Die Erbauer der Pyramiden waren keineswegs stolz darauf, an einem »Weltwunder« mitgearbeitet zu haben – im Alten Ägypten gab es richtige Sklaven (ein Forschungsergebnis mit Signalwirkung für materielle Kultur und Sozialgeschichte der frühen Staatlichkeit expansiver Imperien). Neue Erkenntnisse gibt es aber auch zu verschiedensten Sklavereien in der Geschichte Chinas sowie Asiens überhaupt, zur globalgeschichtlichen Neujustierung antiker Sklavereien, zur Globalgeschichte (inklusive der Geschichte »vormoderner Sklavereien« sowie other slaveries, d. h. formeller und informeller Sklavereien von Indigenen und unter Indigenen); zu Russland, russischer Geschichte und russischem Reich; zu Afrika als Zentrum der Sklavereigeschichte und der Beteiligung afrikanischer Eliten an der atlantischen Sklaverei; zu den Debatten um Sklaverei als Kapitalismus vor allem in den USA bis 1860, Surinam bis 1863, Puerto Rico bis 1873, Kuba bis 1886 und Brasilien bis 1888 (Second Slavery, New Economic History – vor allem in den USA – und Slavery as Capitalism), zu Sklavereien und Sklaverei-/Sklavenhandels-Regimes am und auf dem Indischen Ozean sowie Randmeeren des Pazifiks und in Südostasien.
Zum Schluss noch ein Blick aufs Politische: memory. Die Erinnerungskultur der Sklaverei bzw. des Sklavenhandels, der Sklavereiregimes und des Lebens von Versklavten und ihrer Folgen (sowie des materiellen Erbes in Städten, Bauten, Institutionen, Banken, Museen – heritage) ist zugleich die Politik von Aktivisten (meist bis heute nationale oder lokal-urbane Politik). Aber memory, sofern es sich nicht um geschichtsblinden Aktivismus handelt, ist auf historische, soziologische und anthropologische Sklavereiforschung angewiesen, speziell auf Forschungen zu Versklavten und Versklavern (Sklavenhändlern, Sklavenhalterinnen und Sklavenhaltern sowie Funktionskräften – also Reedern, Schiffsausrüstern, Versicherern, Investoren, Ärzten, Managern, Administratoren, Notaren, Priestern, auch Kapitänen und Schiffsoffizieren oder Köchen, die die Massen von Versklavten ernährten – und Hilfskräften, also Wachen, Übersetzern, Ruderern, Matrosen, Karawanenträgern etc.
Dekolonisierungs-, Umbenennungs- und Anti-Rassismus-Debatten laufen schon einige Zeit (auch in Bezug auf Museen); wichtige neuere memory-Aktivitäten in der Politik gab es im Nachgang des Todes von George Floyd (25. Mai 2020 in Minneapolis) vonseiten der Black-Lives-Matter-Bewegung. Alle drei Debatten werden uns auch in Zukunft begleiten. Die vorliegende Sklavereigeschichte soll nicht zuletzt dafür eine Basis bilden.
Leipzig, im Februar 2021
Sklaverei – eine sehr alte Schlange
»Welche neue Form wird dieses alte Monster annehmen, in welcher neuen Haut wird diese alte Schlange daherkommen?« (Frederick Douglass, 1865).1
Der Mensch sei frei geboren, aber überall liege er in Ketten, sagte Jean-Jacques Rousseau im ersten Kapitel seines Gesellschaftsvertrags.2 Sklaverei, der Besitz von Menschen, ist heute weltweit verboten, aber es gibt sie immer noch als globales Phänomen, heute genauso wie durch die ganze Weltgeschichte hindurch.3 War ›der Mensch‹ je frei geboren?
Sklaverei bedeutet Gewalt von Menschen über den Körper anderer Menschen, es bedeutet in den allermeisten Fällen körperlichen Zwang zu schwersten und schmutzigsten Arbeiten oder zu Dienstleistungen sowie Mobilitätseinschränkung. Dazu kommen alle Formen und Folgen von Statusdegradierung, wie besonders der entwürdigende Kauf und Verkauf von Menschen. Einzelne der genannten Dimensionen, auch in Kombinationen, existieren weiterhin. Heute sind sie oft nicht mehr begründet mit der falschen, aber wirkungsvollen Theorie von eingefrorener ›äußerer‹ Statusdegradierung, d. h. Rassismus, sondern eher durch andere soziale oder ethnische Rangzuschreibungen. Sexuelle Verfügung ist sogar noch immer verbunden mit einem der Hauptmerkmale formeller Sklaverei – dem Kauf und Verkauf sowie der Kommodifizierung menschlicher Körper, oft im Rahmen irgendeiner Art illegaler Verschleppung oder Entführung. Aber Sklaverei bedeutet nicht nur sexualisierte Gewalt; auch die schlicht durch exzessive Gewalt erzwungene Arbeit für die jeweiligen Halter macht die Opfer zu Sklaven – heute ist das meist keinen Medienbericht mehr wert. Was hingegen nicht mehr existiert, ist die Legitimierung und Institutionalisierung durch formale Rechtssysteme sowie der Anspruch, ein einmal erworbenes Eigentum über das Mutterrecht (»Sklavenbauch gebiert Sklaven«) sozusagen legal zu verewigen. Aber selbst das gilt