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Sklaverei. Michael ZeuskeЧитать онлайн книгу.

Sklaverei - Michael Zeuske


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sind offenbar ein nicht-evolutionäres Phänomen der Welt- und Globalgeschichte. Ich komme auf dieses fundamentale Problem noch mehrfach zurück. Hier gilt es zunächst festzuhalten, dass Sklaverei zwar in bestimmten Gesellschaften eine stärkere Einbindung in vorherrschende Wirtschaftssektoren (wie Hauswirtschaft, Bergbau oder Plantagen), Institutionalisierung und Verrechtlichung erfahren hat in Form von sogenannten »hegemonischen Sklavereien«, aber nicht-institutionalisiert oder in anderen Formen der Institutionalisierung in allen Gesellschaften bis heute existiert hat und weiterhin existiert. Sklavereien und unfreie Arbeit treiben eher, wie ein Motor aus menschlichen Körpern, die Dynamiken von Wirtschaft und Reichtum an. Es gibt insofern keine evolutionistische Epoche der »Sklavereigesellschaft«; es gibt nur Gesellschaften mit mehr oder weniger ausgeprägten, mehr oder weniger institutionalisierten Sklavereien. Oder eben mit Sklavereiplateaus, wie ich es in vorliegendem Buch vorschlage. Besagte Plateaus setzen in der Welt- und Globalgeschichte irgendwann einmal ein; sie hören aber nicht auf und existieren auch unterhalb oder neben den jeweils späteren Plateaus (mit Ausnahme des weiter unten behandelten dritten Sklavereiplateaus). Ich bin auch nicht ganz sicher, ob wir nicht besser immer im Plural von Sklavereien sprechen sollten. Bei den Gesellschaften mit stärker ausgeprägten Sklavereien handelt es sich, möglicherweise seit der Bronzezeit, aber einigermaßen sicher seit der Uruk-Zeit im 4. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung, jeweils um staatlich oder imperial organisierte Gesellschaften oder um solche, die sich gegen Expansionen wehren bzw. auf Raub und Menschenjagd spezialisiert sind (räuberische Gesellschaften oder militaristic slaving societies).4 Erst seit dem 14. Jahrhundert verbanden sich Sklavereien, zuerst in Weltregionen, die mehr und mehr als »Westen« bezeichnet wurden, mit Institutionen und Firmen, deren Gesamtheit seit 1900 als »Kapitalismus« bezeichnet wird (siehe das dritte Plateau unten).

      Sklaverei ist nur scheinbar tot. Bei näherem Hinsehen wird schnell klar, dass die großen und klar erkennbaren Sklavereien sich zu illegalen, meist kleinen und getarnten Sklavereien gewandelt haben. In diesem Wechsel des Aggregatzustandes der Sklaverei von groß und fest zu eher flüssig und klein sowie oft opportunistisch liegt der Bruch, den ihre formalen Abschaffungen im »Westen« oder auf seinen Druck hin 1792–1970 weltweit langfristig bewirkt haben. Die große Mehrzahl anderer, sagen wir ›kleinerer‹, verdeckter und mobiler Sklavereien, existiert weiter oder entwickelte sich neu. Prozesse der Versklavung und Zwangssysteme haben, vor allem seit dem ambivalenten Prozess von Abolitionen und Abolitionsdiskursen, zwar einen anderen historischen Aggregatzustand angenommen. Alle Sklavereien sind heute, wie bereits gesagt, illegal, aber es gibt mehr Versklavte als je zuvor in der Geschichte (zumindest was die geschätzten, bekannten und absoluten Zahlen betrifft).

      Um das Rätsel der sich immer wieder häutenden Schlange Sklaverei zu lösen, will ich zunächst auf der Ebene von Welt- und Globalgeschichte Definitionen von Sklaverei darstellen und analysieren. Danach folgen, in einer sehr weiten historischen Perspektive, die Plateaus oder Stratifikationen von Sklaverei auf diesem Globus. Im Grunde ist dies ein anthropologisch-historischer Versuch, die genannten Aggregatzustände von Sklavereien in chronologische Schichten zu ordnen. Es wäre auch eine räumliche Ordnung von Sklavereitypen möglich, dann würden sich aber zu viele chronologische Sequenzen innerhalb einzelner Räume wiederholen. Die übergreifende räumliche Ordnung ist an Ozeanen und Hemisphären ausgerichtet.

      Für mich gibt es eine relativ simple Zäsur zwischen Welt- und Globalgeschichte – ohne dass ich damit sagen will, dass bestimmte Imperien, Staaten, Kulturen oder gar Individuen nicht auch heute noch Weltgeschichte schreiben, dafür sorgt schon die sogenannte New Imperial History (die natürlich von britischen Historikern lanciert worden ist). Die Zäsur ist 1522. In diesem Jahr kehrte eines der Schiffe, mit denen Fernão de Magalhães, spanisch Fernando de Magallanes (dt. Magellan), 1519 aus Sanlucar bei Sevilla aufgebrochen war, nach fast genau drei Jahren im September 1522 nach Spanien zurück. Das Schiff hatte den Erdball umrundet. Damit war der Beweis für die Theorie des Globus erbracht. Im 16. Jahrhundert beginnt Weltgeschichte, die den Globus umfasst – reale Globalgeschichte. Und es entsteht der enge historische Zusammenhang von europäischem Kolonialismus, Massensklavereien, Imperien und Kapitalismus, verbunden und vorangetrieben durch neues Wissen, die Massenproduktion (von Nahrungs- und Genussmitteln wie Zucker, Kakao, Kaffee, Tabak, Drogen, Opium, Farben, Gewürzen, Kautschuk, Trockenfrüchten), Technologien (wie dem Schiffbau und Transport) sowie Transkulturationen. Seit die Spanier 1565 Manila auf Luzón gegründet hatten, waren alle vier großen, bis dahin in Europa bekannten Landmassen (Amerika, Asien, Afrika und Europa) durch Segelschiffe verbunden. Auf all diesen Kontinenten existierten lokale und indigene Formen von Sklaverei. Damit begann die globale Phase der Weltgeschichte, die bis heute anhält. Nur Australien wurde erst durch britische Sträflingstransporte Ende des 18. Jahrhunderts einbezogen. Das sind Fixpunkte der wirklichen Globalisierung, natürlich nicht des ideellen Raumsphären- und Globendenkens (da sei Peter Sloterdijk vor).

      Die Weltgeschichte vor und nach dem 16. Jahrhundert sowie die Globalgeschichte seit dem 16. Jahrhundert sind durch Sklavereien geprägt, oft unter dem Dach von Imperien oder räuberischer Regimes bzw. militaristischer Menschenjagdgesellschaften. Meist aber, und das dürfte für viele neu sein, verbirgt sich Sklaverei in der Tiefe der Geschichte in Häusern und Gebäuden, d. h. die sogenannte Haussklaverei konnte und kann auch in Tempeln, Jurten, Hausbooten, Zelten oder Palästen stattfinden.

      Was war Sklaverei? Zunächst sollten wir uns darüber klar sein, dass das deutsche Wort ›Sklaverei‹ für eine Institution steht, ein bereits existierendes Gewaltsystem, das in einer Gemeinschaft mit herausragenden Anführern oder einer Gesellschaft mit Staatsstrukturen (sozialen Hierarchien, Herrschaft, Armee, Recht, Bevölkerung, Territorium) durch Rechtsregeln und Gewohnheit der Mitglieder der Gesellschaft abgesichert ist, meist sogar durch Religion. Wenn also nach Sklaverei als Institution gefragt wird, ist die antike Sklaverei im römischen Imperium und Sklaverei in der Tradition des »römischen« Rechts wahrscheinlich die am besten definierbare Sklaverei der Welt- und Globalgeschichte. Auf jeden Fall aber ist sie die am häufigsten in der Geschichtsschreibung dargestellte Sklaverei. Sklaverei als voll entwickeltes soziales System bedeutet aber mehr – sie besteht mindestens aus den sozialen Elementen Versklavte (die absolute Mehrheit), Sklavenhalter, ›Sklavenproduzenten‹ und -jäger sowie Sklavenhändlern und ihren jeweiligen Hilfskräften (Bewacher, Matrosen/Ruderer, Ärzte/Heiler, Köche, Übersetzer, Schreiber/Notare, Priester).

      Um diese Elemente in der Breite der Globalgeschichte und der Tiefe der Weltgeschichte zu erforschen und darzustellen, reicht es nicht, die Rechtsregeln und -texte einer Institution in einer gegebenen Gesellschaft und deren geschichtliche Entwicklung und Rezeption anzuschauen. Sklaverei als Institution war und ist ein rechtlich erlaubtes System der Gewalt (coercion/violence), der Nutzung menschlicher Körper als Kapital und der Herrschaft einer Person über den Körper einer anderen Person, meist zum Zweck der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft und/oder ihres Körpers.5 Die sehr lakonische Kurzform einer Definition des Verhältnisses von Gewalt und Kontrolle menschlicher Körper stammt von Peter Kolchin: »Born in violence, slavery survived by the lash«6. Das erfasst nachgerade paradigmatisch auch das Ubiquitäre und Alltägliche von Gewalt. »Ubiquitär« bedeutet in diesem Zusammenhang, dass Sklaverei und Gewalt immer und überall anzutreffen waren und auch heute noch zusammengehören.

      Ich spreche lieber von Sklavereien, weil eine Sklaverei immer das innere Bild eben dieser gerade skizzierten »römischen« Sklaverei evoziert. Um die sprachliche Konstruktion von etwas Festgefügtem und Unveränderlichen zu vermeiden, bezeichne ich mit Joseph Miller »slaving als historischen Prozess«7. Im Kern geht es um die Verfügbarkeit der Körper von Menschen oder von Teilen der Körper von Menschen. Diskursiv umhüllt und repräsentiert waren diese verfügbaren Körper in der meisten Zeit, indem man ihnen niedrigste Ränge der jeweiligen Gesellschaft oder Gruppe (Verwandtengemeinschaft) zusprach oder sie sogar ganz ausschloss (Orlando Patterson nennt das social death).8 Das ist für die bisherigen, eher rechts- oder wirtschaftshistorisch ausgelegten Geschichten der Sklaverei eine völlig neue Herangehensweise an Sklavereipraktiken.

      Sklavereien und, mehr noch, slaving als Strategie hat es in der Welt- und Globalgeschichte bei allen Clans, Völkern, Stämmen und Gruppen gegeben, vor allem um und in Feuer- und Wohnstätten, Siedlungen, Häusern, Tempeln sowie Palästen. Die frühen Sklavereien existierten lokal und weltgeschichtlich zugleich in dem Sinne, dass es sie überall


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