Sklaverei. Michael ZeuskeЧитать онлайн книгу.
Die rechtliche Dimension bleibt erst einmal außen vor, weil sonst immer gleich das »römische« Recht oder auch die legalistische Tradition Chinas in den Vordergrund drängen. Es geht mir zunächst um Gewalt, und zwar weniger nach dem Motto »na, Prügel haben wir ja alle bekommen« (was selbst im heutigen Deutschland für fast alle über Fünfzigjährigen noch gilt).
Vielmehr interessiert mich die wirklich die Oberfläche eines individuellen Körpers markierende oder verstümmelnde Gewalt, die die Lebenssituation, Lebensweise und das Leben individueller Versklavter komplett durchdringt und überformt. Selbst die andauernde Androhung solcher Gewalt wirkt lebensverändernd. Diese Dauereinwirkung von Gewalt, monotoner Arbeit (die die Körper von Menschen stark beeinflussen kann), Angst vor Gewalt (oder vor intensiverer Gewalt), zum großen Teil auch sexualisierter Gewalt, Repression, Stress und andere Faktoren (Überarbeitung, schlechte Ernährung, Krankheiten) wirkt sich bis auf die Körperhaltung, die Gesundheit und die Knochen aus. Oft sind Mutilationen, wie etwa Brandzeichen (carimbos) oder Tätowierungen im Gesicht oder auf den Schultern, das rituelle Zeichen, der »Ausweis« von Sklaven. Sie sind allerdings schon kurz nach dem Tod der entsprechenden Person nicht mehr nachweisbar (d. h. archäologisch nur selten fassbar).
Gewalt ist grundlegend als »einseitige Macht, Drohung, Gewalt«27 zu verstehen: erstens als direkter Zwang auf individuelle Körper, meist durch profane Prügel mit Peitschen oder Stöcken. Sie ist in gewissem Sinne »messbar« an den Verletzungen oder Mutilationen einzelner Körper oder Körperteile, etwa der Haut des Rückens, Verletzungen, um Flucht zu verhindern (Blendung, Füße abhacken, Fußsehnen durchtrennen), Verstümmelung von Ohr(en) oder Nase sowie durch entwürdigende Tätowierungen im Gesicht und Brandzeichen (carimbo). Zweitens ist die strukturelle Gewalt der Sklaverei als Institution sowie ihrer Infrastrukturen zu nennen, legitimiert und oft legalisiert durch »den Staat« oder staatenähnliche Gebilde (coercion). Das ist das Hauptelement von weiträumigem Sklavenhandel, Sklaverei und Sklavenstatus (z. B. in der Atlantic slavery). Eine dritte Form von Gewalt ist nicht so direkt, aber umfassender und möglicherweise die historische Ursache aller Sklavereien (vor allem in quantitativer Hinsicht und weil sie bis tief in die Prähistorie reicht). Kurz gesagt ist es die Angst vor dem Tod, speziell vor dem Verhungern. Ordnen sich Menschen dieser Gewalt unter, hat sie folglich auch eine Schutzfunktion – sie verspricht etwas mehr Sicherheit vor Tod, Hunger oder zusätzlicher Gewalt. Viertens muss noch der Gewaltpegel von Gesellschaften und Kulturen in die Analyse einbezogen werden.
Was den Gewaltpegel angeht, scheint das periphere lateinische Europa von 500 bis 1500 sich durchaus hervorgetan zu haben mit der »Völkerwanderung« sowie den Expansionen der Franken, Slawen, Ungarn, Wikinger/Normannen usw., aber auch mit dem Widerstand kleinerer vom Raub lebender Stämme oder Völker gegen imperiale Expansionen, den unendlichen Fehden, dem Fehlen eines dämpfenden Zentralismus, den Razzien, Kriegen, Religionskonflikten, Belagerungen und Rebellionen. Dieser hohe Gewaltpegel verbreitete sich durch die atlantische Expansion weltweit. In der politischen und demografischen Zerstörung eigenständiger Imperien und Gesellschaften in der Neuen Welt scheint die alles durchdringende Gewalt einen neuen globalen Höhepunkt gefunden zu haben. Der zweite Gewaltexzess unter Beteiligung an sich schon gewaltbereiter und -gewöhnter Europäer galt verschleppten Menschen vor allem aus Afrika. Am Anfang betraf das einfach nur cativos – Kriegsgefangene. Der massive und systematische Terror auf dem Atlantik und – seit der Expansion der Portugiesen im 15./16. Jahrhundert auch auf und am Indischen Ozean sowie darüber hinaus in den Pazifik hinein – gegen große Gruppen »anderer« Menschen hatte wiederum Auswirkungen auf die Gewaltintensität der Geschichte Europas.
Parallel zu dieser Gewaltgeschichte verläuft die Geschichte der Individualisierung des »Selbst«, der Klassenbildungen und der Globalisierung der europäischen Konsumtion (sowie anderer Weltteile – siehe das Vordringen amerikanischer Nutzpflanzen nach China und Indien) –, was wiederum aufs engste mit dem Nutzen außereuropäischer Massensklavereien zur Produktion von Luxus zu tun hat. In einigen Imperien, deren Kultur in einer Religion wurzelte und sich auf eine legale Tradition (wie die des »römischen« Rechts) berief, kam es auch zu Kodifizierungen der Sklavenhaltung (wie den Leyes de Indias im spanischen Imperium). Die »legale« Erlaubnis, Gewalt auszuüben (»Befugnis«), ist eine wesentliche und in Texten regulierte Dimension von Gewalt und als solche nur graduell unterschieden von anderen Formen der Sklaverei wie modern slavery, serfdom, debt bondage, indentured service, serviciais und convict labour (penal servitude).28 Sklaverei nach »römischem« Recht ist aber durch die Verschriftlichung sowie Fassung in Gesetzen besser nachweisbar.29
Die eher anthropologische Dimension der Verfügung über den Körper, die sehr wohl für individuelle Versklavte und für einzelne Gruppen weltweit empirisch erforscht werden kann, spielt dagegen kaum eine Rolle. Dahinter steht selbstverständlich auch die methodische Schwierigkeit, dass in vielen Gesellschaften mit Nah- und Schuldsklavereien (wie Asien und Afrika) Versklavte, vor allem Kinder- und Haussklavinnen (speziell Mädchen) so ubiquitär wie unsichtbar waren – da sie im Haus (Gebäude, Wohneinheit, Tempel) verborgen blieben. Andere Sklaven, vor allem in kollektiven Sklavereien im 19. und 20. Jahrhundert, wurden und werden in Lagern vor der Öffentlichkeit verborgen. Seit Sozialgeschichte etwas aus der Mode gekommen ist, spielt auch die Analyse von Sozialordnungen mit ihren jeweiligen Körperordnungen sowie Verräumlichungen keine große Rolle mehr. Im Marxismus hieß das Ganze noch Klassenanalyse – auch wenn Versklavte kaum jemals eine Klasse bildeten und Karl Marx Schwierigkeiten mit Sklaven und Sklavinnen hatte.30
Eine Welt- und Globalgeschichte, die Sklaverei und die sozialen Gruppen, die sie konstituieren (Versklavte, Sklavenhalter, Sklavenhändler und Personal) als Ordnungsprinzip nutzt, soll nicht zur Inflation eines ›europäischen‹ Begriffs beitragen. Sklavereien sowie Versklavte (und weitere Gruppen) können in gegebenen Gesellschaften durchaus empirisch lokalisiert und erforscht werden. Wenn dabei der Eindruck entsteht, alles sei Sklaverei gewesen (ich übertreibe etwas), so ist dieser Eindruck generell nicht ganz falsch. Es gibt einen wahren Kern – in allen Gesellschaften der Welt hat es Versklavte gegeben und in vielen Gesellschaften sogar Massen von Versklavten, die globalgeschichtlich meist nicht nach europäisch-westlichen Rechtsformen definiert waren. Und sie waren oft für global operierende Europäer oder »Westler« und »Westlerinnen«, die Quellen wie Briefe, Tagebücher oder Reiseberichte schrieben, einfach nicht als Sklavinnen und Sklaven erkennbar. Der Eindruck entsteht aber auch, weil oftmals die Frage nach globalen Sklavereiformen überhaupt nicht gestellt worden ist und – zusätzlich – viele Gesellschaften, Individuen und Institutionen lieber den Schleier des »forgetting« darüber wallen lassen würden. Dazu kommt, dass sich eine Welt- und Globalgeschichte der Sklaverei und der Versklavten sowie Versklaver eben auf ihren Gegenstand zu konzentrieren hat.
Wie eine ganze Reihe von Historikern subsumiert der Konstanzer Globalhistoriker Jürgen Osterhammel Sklaverei unter servitude:
»Servitude umfasst neben (1) Sklaverei mindestens vier weitere Formen: (2) Leibeigenschaft (serfdom), (3) Indentur (indentured service), (4) Schuldknechtschaft (debt bondage) und (5) Zwangsarbeit im Strafvollzug (penal servitude)«.31
Allerdings ist fraglich, warum man für globale Sklavereiformen unter Einbeziehung der heutigen Formen ›moderner‹ Sklavereien diskursiv übergeordnete Ersatzworte wie Servilität, bondage oder servitude sowie »Leibeigenschaft«, »Schuldknechtschaft«, »Zwangsarbeit« oder »Knechtschaft« nutzen soll und welcher Erkenntnisgewinn für eine globale Weltgeschichte der Sklaverei in solchen anderen Begriffen liegen könnte. (Gleichwohl können Letztere als Differenzierungen im konkreten lokalen Rahmen, in legalen Systemen oder innerhalb eines Forschungsfeldes durchaus sinnvoll sein.) Die Ablehnung des Wortes Sklaverei als Oberbegriff wird meist mit Rechtsformen begründet, beruht aber historisch oft auf Diskursstrategien wie einer gezielten Politik des »Schweigens« über Sklaverei bzw. Sklaven. Oder sie wurzelt in einer gezielten »Nichtsichtbarmachung« – man verzeihe mir das Wortungetüm – von Versklavten sowohl gerade wegen der Existenz von Versklavten in Realzeit (wie im Heiligen Römischen Reich im 18. Jahrhundert)32, aber auch in Bezug auf »the work of forgetting slavery« in Großbritannien nach 1808 (Abolition des Sklavenhandels auf britischen Schiffen) und 1838 (Abolition der Sklaverei in britischen atlantischen Gebieten).33 Gezieltes forgetting ging und geht weltgeschichtlich