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Das Haus der Freude. Edith WhartonЧитать онлайн книгу.

Das Haus der Freude - Edith Wharton


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unempfindlich für seinen Zauber, ebenso wenig wie für die Tatsache, dass ihre Gegenwart diesen noch steigerte, aber sie war es nicht gewöhnt, die Freuden der Einsamkeit zu genießen, außer in Gesellschaft, und die Verbindung eines hübschen Mädchens und einer romantischen Szenerie schien ihr zu gelungen, als dass man sie so verschwenden durfte. Es erschien jedoch niemand, um die Gelegenheit wahrzunehmen, und nach einer halben Stunde fruchtlosen Wartens stand sie auf und ging weiter. Sie fühlte langsam das Gefühl von Müdigkeit aufsteigen; der Funke, der sie belebt hatte, war erloschen, und der Geschmack des Lebens wurde schal auf ihren Lippen. Sie wusste kaum, was sie denn gesucht hatte, und warum das Misslingen ihrer Suche so sehr das Licht an ihrem Himmel ausgelöscht hatte; sie war sich nur des vagen Gefühls bewusst, versagt zu haben, und einer inneren Isolation, die tiefer ging als die Einsamkeit um sie herum.

      Ihre Schritte erlahmten, sie hielt an und starrte teilnahmslos vor sich hin, wobei sie mit der Spitze ihres Sonnenschirms in den farnbewachsenen Wegrand stach. Bei dieser Beschäftigung hörte sie Schritte hinter sich und fand Selden an ihrer Seite.

      »Wie schnell Sie gehen!«, bemerkte er. »Ich dachte, ich würde Sie nie einholen.«

      Sie antwortete fröhlich: »Sie müssen ja völlig außer Atem sein! Ich sitze seit einer Stunde unter dem Baum dort.«

      »Und warten auf mich, hoffe ich«, gab er zurück, und sie sagte mit einem unbestimmten Lächeln:

      »Nun ja – ich habe gewartet, um zu sehen, ob Sie wohl kommen würden.«

      »Ich verstehe Ihre Unterscheidung, aber sie macht mir nichts aus, denn das eine ist mit dem anderen verbunden. Aber waren Sie nicht sicher, dass ich kommen würde?«

      »Wenn ich lange genug gewartet hätte – aber sehen Sie, ich hatte nur begrenzte Zeit für das Experiment zur Verfügung.«

      »Wieso begrenzt? Begrenzt wegen des Mittagessens?«

      »Nein, wegen meiner anderen Verabredung.«

      »Ihrer Verabredung, mit Muriel und Hilda zur Kirche zu gehen?«

      »Nein, aber mit jemand anderem nach dem Gottesdienst heimzukommen.«

      »Ah, ich verstehe, ich hätte mir denken können, dass Sie über genügend Alternativen verfügen. Und der andere Jemand kommt auf diesem Weg heim?«

      Lily lachte wieder. »Das ist genau das, was ich nicht weiß, und um es herauszufinden, ist es meine Aufgabe, die Kirche zu erreichen, bevor der Gottesdienst vorüber ist.«

      »Genau, und meine Aufgabe ist es, Sie daran zu hindern, in welchem Fall der andere Jemand über ihre Abwesenheit verstimmt den verzweifelten Entschluss fassen wird, im Pferdewagen zurückzufahren.«

      Lily nahm das mit wiedererwachender Empfänglichkeit auf; seine Albereien erschienen ihr wie das Ubersprudeln ihrer inneren Verfassung. »Ist es das, was Sie in solch einem Notfall täten?«, erkundigte sie sich.

      Selden sah sie mit ernster Miene an. »Ich bin hier, Ihnen zu beweisen«, rief er aus, »zu was ich in einem Notfall fähig bin!«

      »Eine Meile in der Stunde zu gehen – Sie müssen zugeben, dass der Pferdewagen da schneller wäre!«

      »Ah, aber wird er Sie schließlich und endlich auch finden? Das allein ist der Beweis für den Erfolg.«

      Sie sahen einander an und weideten sich an genau demselben Vergnügen, das sie empfunden hatten, als sie solche Absurditäten an seinem Teetisch ausgetauscht hatten. Aber plötzlich veränderte sich Lilys Gesichtsausdruck, und sie sagte: »Nun, wenn das so ist, hat er Erfolg gehabt.«

      Selden folgte ihrem Blick und erkannte eine Gruppe von Leuten, die von einer entfernteren Windung des Weges auf sie zukamen. Lady Cressida hatte offensichtlich darauf bestanden, den Rückweg zu Fuß zu machen, und die übrigen Kirchgänger hatten es für ihre Pflicht gehalten, mit ihr zu gehen. Lilys Begleiter sah schnell von einem Mann der Gruppe zum anderen; Wetherall, der respektvoll an Lady Cressidas Seite ging mit seinem versteckten Blick nervöser Aufmerksamkeit und Percy Gryce, der mit Mrs. Wetherall und den Trenors die Nachhut bildete.

      »Ah – jetzt verstehe ich, warum Sie Ihr Wissen über Amerikana auffrischen wollten!«, rief Selden im Ton ehrlichster Bewunderung, aber das Erröten, mit dem seine Neckerei beantwortet wurde, gebot jedweder Ausführung, die er noch hatte machen wollen, Einhalt.

      Dass Lily Bart etwas dagegen haben könnte, wegen ihrer Verehrer aufgezogen zu werden, oder sogar nur wegen der Mittel, mit denen sie diese für sich einnahm, war Selden so neu, dass ihm blitzartig eine ganze Reihe überraschender Möglichkeiten aufging. Aber sie bemühte sich tapfer, ihre Verwirrung zu verbergen, und sagte, als die Ursache dafür näher kam: »Deswegen habe ich ja auf Sie gewartet – um Ihnen dafür zu danken, dass Sie mir so viele Hinweise gegeben haben!«

      »Ah, diesem Thema können Sie in so kurzer Zeit kaum gerecht werden«, sagte Selden, als die Trenor-Mädchen Miss Bart entdeckt hatten, und während sie auf ihr stürmisches Grüßen hin ihnen zuwinkte, fügte er noch schnell hinzu: »Wollen Sie nicht Ihren Nachmittag dafür opfern? Sie wissen, dass ich morgen zurückfahren muss. Wir könnten spazieren gehen, und Sie könnten mir in aller Ruhe danken.«

      VI

      Es war ein vollkommener Nachmittag. Eine tiefere Stille erfüllte jetzt die Luft, und der strahlende Glanz des amerikanischen Herbstes wurde durch einen Dunstschleier gemildert, der sich mit der Helligkeit vermischte, ohne sie zu vermindern.

      In den waldigen Niederungen des Parks begann es schon ein wenig kühl zu werden, aber mit ansteigendem Gelände wurde die Luft leichter, und als sie die weiten Hänge auf der anderen Seite der großen Straße hinaufstiegen, erreichten Lily und ihr Begleiter einen Bereich, in dem der Sommer noch lebendig war. Ihr Weg wand sich durch eine Wiese, auf der hier und dort ein paar Bäume standen, dann senkte er sich und wurde zu einem Durchgang zwischen fedrigen Astern und sich purpurrot verfärbendem Dornengesträuch, von wo aus man durch das leise zitternde Eschenlaub hindurch die Landschaft in pastoralen Farben sich verlieren sehen konnte.

      Weiter oben umstanden den Weg üppige Büsche von Farnkraut und den glatten Bodenpflanzen, die man auf beschatteten Abhängen findet; dann kamen Bäume mit überhängendem Geäst, und schließlich vertiefte sich der Schatten zum wechselnden Dämmer eines Birkenhains. Die Baumstämme standen in ziemlicher Entfernung voneinander, zwischen ihnen lag nur ein zartfedriger Teppich aus Bodengewächsen. Der Weg wand sich am Waldesrand entlang, gab dann und wann den Blick frei auf eine Wiese im Sonnenlicht oder auf einen Obstgarten, der mit Früchten übersät war.

      Lily verfügte nicht über ein echtes Gefühl der Vertrautheit mit der Natur, aber sie hatte geradezu eine Leidenschaft für das Angemessene und war überaus empfänglich für eine Szenerie, die den passenden Hintergrund für ihre eigenen Gefühle abgab. Die Landschaft, die sich vor ihr ausbreitete, erschien ihr wie die Erweiterung ihrer gegenwärtigen Stimmung, und sie fand etwas von ihrem eigenen Wesen in der Ruhe, der Größe, der freien Weitläufigkeit der Landschaft. Auf den näher gelegenen Hängen flackerten Zuckerahornbäume wie Freudenfeuer, weiter unten lag eine Ansammlung grauer Obstgärten, und da und dort hielt sich noch das Grün eines Eichenhains. Ein paar rote Bauernhäuser lagen schläfrig unter Apfelbäumen, und der weiße Holzturm einer Dorfkirche lugte hinter der Schulter eines Hügels hervor, während ganz weit unten in einem Dunstschleier sich die Hauptstraße ihren Weg zwischen den Feldern bahnte.

      »Kommen Sie, setzen wir uns hier hin«, schlug Selden vor, als sie einen offenen Felsvorsprung erreicht hatten, über dem zwischen moosigen Steinen hoch und steil die Birken wuchsen.

      Lily ließ sich auf dem Felsen nieder; sie glühte warm von dem langen Aufstieg. Still saß sie da, ihre Lippen noch geöffnet von der Anstrengung der Kletterei, während ihre Augen friedlich über die durchbrochenen Weiten der Landschaft wanderten. Selden streckte sich zu ihren Füßen im Gras aus, er zog seinen Hut in die Stirn wegen der schrägfallenden Sonnenstrahlen und faltete die Hände hinter seinem Kopf, an die Seite des Felsblocks gelehnt. Er hatte kein Bedürfnis, Lily zum Reden zu bringen; ihre schnellatmende Schweigsamkeit schien ein Teil der allgemeinen Ruhe und Harmonie der Welt um sie herum zu sein.


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