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Die Göttinnen. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Die Göttinnen - Heinrich Mann


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gebe … Er weint manchmal in meinem Schoß und klagt mir, — aber was wollen Sie, er ist schwach. Sehr schwach…"

      Sie grub ihren starren, blassen Blick in das Gesicht der anderen. Flehentlich, mit versagender Summe wisperte sie:

      "Ich weiß, er stellt Ihnen nach. Bleiben wenigstens Sie kalt und standhaft! Eine anständige Frau … Wie wollte ich Sie achten!"

      Der Herzogin blieb keine Zeit zu antworten. Sie spürte noch einmal den Druck von kalten Fingern auf ihrem warmen Arm, dann hatte Friederike sich ihren horchenden Höflingen zugewendet. Phili war sogleich bei der Herzogin.

      "Hat sie Ihnen über mich vorgejammert?" flüsterte er. "Natürlich! So ein Kreuz mit der Frau. Kann sie denn gar nicht gemütlich sein? Soll sich doch ein Beispiel an meiner Mama nehmen! Die hat erst neulich dem Papa das lebensgroße Porträt von der Beate geschenkt. Aber meine Mama ist auch nobel, wirklich äußerst nobel, finden Frau Herzogin nicht?"

      "Ah! Die Königin hat Seiner Majestät das Porträt seiner Freundin geschenkt!"

      Sie sah weg; unvermutet empfand sie es, wie weit sie getrennt war von diesen Menschen und ihrem Seelenleben.

      "Sie waren heute Abend still, königliche Hoheit?" fragte sie. "Hoffentlich nicht in trüber Stimmung?"

      "Was denn sonst! Hier bei meiner Frau bekomme ich ja nur Tee, das ist doch zum Weinen. Wenn ich keinen Kognak habe, Frau Herzogin, dann denk' ich gleich an meinen unbefriedigten Ehrgeiz, und was für ein verfahrener Karren ich bin. Dann möchte ich meinen weißen Kragen umlegen."

      "Ihren weißen Kragen?"

      "Frau Herzogin wissen noch nicht? Meinen Infantenkragen, weiß mit Goldstickerei und Hermelinfutter. Ja, Frau Herzogin, ganz wie der Don Carlos. Ah! Den Don Carlos lieb' ich wie meinen leiblichen Bruder. Sind wir nicht Brüder? Sein Schicksal ist doch meines. Der unbefriedigte Ehrgeiz, die Pfaffen, alles gerade so. Ich hab' meinen Hinnerich, er seinen Roderich. Nur mit der Stiefmama hapert's. Ich will die Beate ja gar nicht; sie will bloß mich … Aber das Infantenkostüm ist wirklich chic, finden nicht, Frau Herzogin? Wenn ich mich Ihnen mal darin zeigen könnte. Da hätt' ich eine Bitte…"

      Er hob sich auf die Fußspitzen und hauchte ihr seine zitternde Sehnsucht ins Gesicht.

      "Frau Herzogin, gewähren's dem Don Carlos den Schlüssel zu Ihrem Kabinett!"

      Sie zog den Kopf aus dem Bereiche seines Atems. Sie hatte seine Werbung nicht verstanden und redete gleichgültig den Baron Percossini an, der herzutrat. Der Thronfolger versank in Sinnen.

      Der Kammerherr sagte:

      "Bei unserm ernsten Meinungsaustausch über die Behandlung des Volkes werden Hoheit sich allerlei gedacht haben. Nicht wahr, jedes Wort schmeckte nach seiner Provinz. Alles so wichtig und so zweifellos. Nun, man tut eben mit … aber heimlich lächelt man, wie in Paris gelächelt wird."

      Er lächelte fein.

      "Hoheit werden mich mit meinen hiesigen Freunden nicht verwechseln."

      Sie erwiderte:

      "Natürlich nicht. Und sagen Sie bitte auch den Herren Paliojoulai und Tintinovitsch, sowie den Damen dieser Herren, dass ich sie mit niemand verwechsele."

      Darauf verabschiedete sie sich von der Prinzessin. Phili wollte hinter ihr aus der Tür schlüpfen, doch ein schwerer Blick seines Adjutanten lähmte ihm den Fuß.

      Die Herzogin war kaum draußen, als die eben verlassenen Gesichter ihr entfielen, wie zurückgetaucht in einen dicken Nebel von Langerweile und Beschränktheit. Sie erinnerte sich, müde und verstimmt, einiger unbestimmt lungernder Gestalten, zwischen denen Lakaien umherschlichen mit Teetassen und Bonbons. Während der folgenden Tage dachte sie mit Vergnügen an Pavic: seine Worte kehrten ihr ins Ohr zurück, sie klangen fast bedeutend. Sie schrieb ihm.

      Er stellte sich sogleich ein, im strenggeschnittenen Salonrock. Sein Schlapphut war draußen geblieben. Sie meinte: "Er könnte ein Staatsmann sein."

      "Sie haben schon einmal im Kerker gesessen," sagte sie. "Das können Sie leicht wieder erleben. Man will Ihnen gar nicht wohl."

      Er beschrieb, während er sich setzte, eine wuchtige Gebärde, alles zermalmend unter einer Last von Verachtung.

      "Nein, kein Staatsmann," überlegte die Herzogin. "Aber beinahe ein Künstler."

      Pavic versetzte:

      "Hoheit, in der Gefahr bin ich am stärksten. Bevor damals die Schergen Hand an mich legten, lebte ich in einem Rausch von Kraftgefühl. Ich redete täglich mindestens zweimal zum Volke, ich wies keinen der Mühseligen und Beladenen von meiner Schwelle, — und dennoch hatte ich gerade damals meine todkranke Frau zu pflegen. Ich kann sagen, Hoheit, von Dolchen umzückt, habe ich mein Weib beweint."

      Er machte einige feste Schritte; es ward ihm schwer, stille zu sitzen. Sein Organ mäßigte sich in der intimen Umgebung. Draußen tönte es weit ins Land hinein, hier schmiegte es sich behutsam in Stofftapeten und verlor sich in schattigen Winkeln. Nur seine Bewegungen blieben groß, als würden sie am Meeresstrande, in weiten Ebenen vollführt und sollten von den hintersten der zehntausend Zuschauer erkannt werden:

      "Ihre Frau ist gestorben?"

      "Von ihrer Leiche rissen sie mich fort. Ich las in der Bibel. Denn —"

      Er nahm Platz.

      "Denn ich pflege in der Bibel zu lesen."

      "Warum eigentlich?"

      Er sah sie an, tief erstaunt; er stotterte:

      "Warum … Warum … Nun … es beglückt mich … und es hilft, Hoheit, es hilft. Wie oft habe ich in Gefahren gebetet, bei Wanderungen durch die Felsschlünde des Velebit und über seine steilen Mauern. Noch ganz kürzlich, während einer Überfahrt mit dem Baron Nustschuk. Wir fuhren in Geschäften, es war der wütende Nordwind: Hoheit erinnern sich. Unser Boot wollte umschlagen, eine übermächtige Woge rollte auf uns zu. Ich sah sie nicht an, ich sah zum Himmel auf. Die Welle überschlug sich, dicht bevor sie uns erreicht hatte. Ich wandte mich nach dem Juden um, er war fahl. Ich sagte nur: ich habe gebetet."

      Sie betrachtete ihn.

      "Von Ihnen, Herr Doktor, erfahre ich lauter neue Dinge. — Und lauter Dinge, die ich Ihnen nicht zugetraut hätte."

      Er lächelte schmerzlich:

      "Nicht wahr? Der Revolutionär darf kein Herz, der Tribun kaum ein Privatleben haben? Ich aber bin der fromme Sohn armer Leute, ich liebe mein Kind und spreche mit ihm das Nachtgebet. Das Gemütsleben meines Volkes, Hoheit, das ist's, was sie niemals verstehen werden, die Fremden, die unter uns wohnen."

      "Schon wieder die Fremden. Sagen Sie, war Pierluigi von Assy, der Proveditor der Republik Venedig, in diesem Lande ein Fremder?"

      Er stutzte, er erkannte seinen Fehler.

      "Ich bin weder Italienerin noch Morlakin. Ihr Volk interessiert mich nicht, lieber Doktor."

      "Aber … Die Liebe eines ganzen Volkes! Hoheit, Sie wissen nicht, was das bedeutet. Sehen Sie mich an, um mich spinnt sich ein gutes Stück Romantik."

      "Das sagten Sie schon einmal … Wofür ich mich erwärmen konnte, das wäre der Gedanke, in diesem Lande die Freiheit, die Gerechtigkeit, die Aufklärung, den Wohlstand einzuführen."

      Sie machte lange Pausen zwischen diesen vier Worten. Diese vier Begriffe schienen, während sie redete, in ihr zu entstehen, zum ersten Mal in ihrem Leben. Sie setzte hinzu:

      "Das ist meine Idee. Ihr Volk ist mir, wie gesagt, gleichgültig."

      Pavic war wortlos.

      "Hier herrscht eine Clique von kleinen Leuten," sagte die Herzogin, "Provinzadeligen, die in Paris lächerlich wären. Bei Hofe begegnen sich Halbwilde mit bürgerlichen Pendanten und überbieten sich an Rohheit. Es ist ein unerquicklicher Anblick, darum möchte ich's abschaffen."

      Sie


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