Die Göttinnen. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.
tut der König? Man sagt mir, er gibt Almosen. Im Kreise der Prinzessin ist viel die Rede von Suppen und wollenen Westen, was ich zu billig finde. Übrigens ist ein König fast überflüssig, — oder wird überflüssig werden. Ein freies Volk (sehen Sie nach Frankreich!) gehorcht sich selbst. Selbst Gesetze, — ich weiß nicht, ob sie notwendig sind, aber sie sind verächtlich."
Pavic sagte ganz erstarrt:
"Hoheit sind Anarchisten."
"Ungefähr. Meinetwegen soll jemand da sein, der über der Freiheit wacht. Nur deswegen also ein König. "
Er atmete tief auf vor Genugtuung, denn er meinte, er habe ihre Menschlichkeit entdeckt.
"Oder eine Königin." versetzte er bedeutsam.
Sie wiederholte, die Schultern hebend:
"Oder eine Königin."
Dann stand sie auf.
"Kommen Sie wieder, Herr Doktor. Wir haben uns noch mehr zu sagen."
"Hoheit, ein Befehl von Ihnen genügt zu jeder Stunde, mich herzuführen."
"Durchaus nicht. Sie haben zu arbeiten, ich sitze untätig. Kommen Sie, sobald Sie Zeit haben."
Er ward von einer freudigen Regung erfasst. Das Gefühl, gewürdigt zu werden, machte ihm Mut zu einem langen, dankbaren Handkuss. Und er entfernte sich, wie auf Wolken getragen von dem Bewusstsein, er habe mit den Lippen das Fleisch der Herzogin von Assy berührt.
Sie erfuhr von Pavic, dass ihre Pläne viel Geld kosten würden, und erstaunte darüber.
"Es wird eine unerhörte Agitation nötig sein und klingende Ermunterungen nach allen Seiten."
"Das muss eine neue Eigentümlichkeit des Volkes sein. Dafür, dass man ihm Freiheit, Gerechtigkeit, Aufklärung, Wohlstand gibt, verlangt es auch noch Trinkgeld."
Der Tribun senkte den Kopf.
"Aber ich habe nichts dagegen," erklärte die Herzogin.
Darauf schlug er ihr für alle finanziellen Operationen den Baron Nustschuk vor.
"Dieser Rustschuk ist bereits in sämtlichen Donaustaaten verkracht und in Wien, wo es ihm ebenso erging, auf geradezu glänzende Weise freigesprochen. Jetzt schätzt man ihn auf zehn Millionen."
Die Herzogin machte eine Bewegung. Pavic besann sich; die Bewunderung des Advokaten für den erfolgreichen Financier wurde rasch unterdrückt durch die sittliche Missbilligung, die er bei dem Volksmanne erregte.
"Ich lasse Sie, Hoheit, über die Moralität des Rustschuk nicht im Zweifel. Nur ungern bringe ich unsere Sache, die heilige Sache meines Volkes in Berührung mit dieser anrüchigen Persönlichkeit. Ich mache mir schwere Gewissensbisse … indessen…"
"Warum denn. Er scheint fähig zu sein."
"Fähig und gefährlich. Zurzeit hält er sich ruhig, aber ich, der ich geschäftlich mit ihm zu tun habe, weiß, welcher Ehrgeiz an ihm zehrt. Er will Minister werden, Minister in einem der Länder des europäischen Asiens, wo er in contumaciam verurteilt wurde: sie sollen sich vor seinem Glanze beugen. Wenn Hoheit mich ermächtigen wollen, ihm inzwischen einen Ministerposten hier in diesem Lande anzubieten … Er ist ja allerdings ein höchst verwerflicher Charakter…"
"Was macht das?" so entschied sie. "Wenn er uns nur nützen kann. Die ihn verurteilt haben, sind natürlich nicht besser als er. Wen sollte man schließlich verwenden?"
Sie ließ ihn sich vorstellen. Rustschuk war ein unendlich eleganter Herr mit stark gerötetem, aufgeblättertem Gesicht, dick bedeckt von wolligem schwarzen Haar. In seiner schön gemusterten Hose schüttelte ein weicher Bauch hin und her, und seine dünnen Arme zerteilten behände und eckig die Luft. Er begann, sobald er der Herzogin gegenüber saß, vom Jammer des armen Volkes zu reden, und von glücklichen Ländern unter weisen und schonen Königinnen, und er duftete dabei nach Moschus. Als sie nichts erwiderte, rieb er sich die Hände und ließ merken, dass sie mit Kölnischem Wasser gewaschen waren. Sodann öffnete er sein Schnupftuch; es war, als habe er einen Veilchenstrauß aus der Tasche gezogen. Er klopfte sich auf die Weste und schwenkte den Bauch wie ein Räucherfass: es entstieg ihm eine Patschuliwolke.
"Gefährlich?" dachte sie. "Er ist ja grotesk."
Um durch eine schnelle Laune ihr Glück zu erproben, betraute sie ihn auf der Stelle mit der obersten Aufsicht über die Verwaltung aller ihrer Besitzungen, der weiten, über ganz Dalmatien sich erstreckenden Domänen des verstorbenen Herzogs, der Inseln Busi, Lissa, Curzola mit ihren wertvollen Fischereirechten. Und an die Spitze dieses ungeheuren Vermögens getreten, gewann Rustschuk sofort an Sicherheit. Beim Fortgehen sagte er, freundlich belehrend:
"Das Geld muss also immer mehr werden und uns immer mehr Freunde machen."
Bevor das Jahr zu Ende ging, hörte man von einer bedeutenden Zunahme des Räuberwesens. Die Malviventi waren in größerer Anzahl als sonst von den Bergen gestiegen. Den Italienern wurden die Ernten angezündet und die Ölbäume gefallt. Wenn ihre Weinbeeren noch klein und hart waren, fanden sie eines Tages alle Reben zerschnitten. Im Winter 72 brachen zwei Regimenter Landesschützen von Zara nach Süden auf: in den Bocche, zwischen den Klippen und auf den Felseninseln kämpften die aufständischen Slaven für die Freiheit, die eine unbekannte Frau ihnen versprach, eine ferne, nie erblickte Königin, von der sie träumten, über die sie betrunken in den Wirtshäusern einander vorlogen, und an die sie ihre klagenden Gebete richteten. Auf der Straße fühlte die Herzogin, wie gespannte, ernst gewordene Blicke zu ihr in den Wagen drangen. Unter ihren Fenstern vernahm sie häufig schlürfende Tritte. Es waren die Bundschuhe von acht oder zehn mageren, braunen Kerlen, die die Hände in den Ziegenfellhosen, scheu und gebannt an ihren Säulen hinaufstarrten.
Eines Tages verkündete Pavic mit feierlicher Miene die Ankunft des Marchese di San Bacco. Einen Augenblick klopfte ihr Herz stärker; denn wo immer in der Welt der alte Sturmvogel erschien, da drohte ein Aufstand, eine Umwälzung, ein politisches Abenteuer. Er hatte seine Begeisterung und seine Faust den Griechen geliehen, den Polen und den Unabhängigkeitskämpfern Südamerikas, der französischen Kommune, Jungrussland und der italienischen Einheit. "Freiheit" war das Stichwort, auf das er losbrach, so oft es erscholl. Er hatte es als Knabe vernommen und war der Familie entlaufen, für das junge Italien eingekerkert und über Gefängnismauern nach Amerika entkommen, zu Garibaldi, seinem Helden. Er hatte als Korsar die kaiserlich brasilianischen Schiffe geplündert und als Diktator über exotische Republiken geherrscht, er hatte von raffinierten Barbaren lächerliche Torturen erduldet, in den Lagunen von Riesenflüssen ein vogelfreies Brigantenleben geführt, Kühe geraubt und Reiche herausgefordert: alles im Namen der Freiheit. In Italien, wohin er seinem Meister folgte, bewahrte noch jeder Fußbreit Landes die Spuren des Ringenden. Um sie für den Samen der Freiheit zu pflügen, hatte er jede Scholle seiner Heimaterde mit seinem Schwerte umgewendet.
Jetzt, mit fünfzig Jahren, focht er in der Kammer zu Rom, hitzig und gebieterisch, für den Willen des roten Generals. Er war schlank und spannkräftig, mit großen türkisblauen Augen. Das rote Kinnbärtchen tanzte bei allen Grimassen der ungeduldigen Lippen, das Haar wirbelte schlohweiß über der schmalen Stirn in die Höhe.
Er lud sich bei der Herzogin zu Gaste; die Hotels passten ihm nicht, sagte er. Er war sehr arm, denn er hatte die Freiheit des Menschengeschlechtes ebenso gut mit seinem Vermögen bezahlt wie mit seiner Jugend.
Sofort begann er, Pavic auf seinen Agitationsfahrten über Land zu begleiten. Er gebrauchte größere Worte als der Tribun, schrie noch lauter, schäumte, warf die Glieder, reizte zum Aufruhr, veranlagte Prügeleien und wanderte, nach einem Widerstande auf Tod und Leben, zwischen zwei Dorfpolizisten auf irgendeinen Gendarmerieposten, wo er mit verächtlich gekrümmten Lippen seinen Namen hinwarf: Marquis von San Bacco, Oberst der italienischen Armee, Commendatore des Ordens der Krone von Italien, Abgeordneter zum Parlament in Rom. Ein Telegramm aus Zara befreite ihn. Er kehrte heim und stieß, vor der Herzogin rastlos hin und her schreitend, mit hoher gequetschter Kommandostimme zerhackte Reden aus:
"Es