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Die Göttinnen. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Die Göttinnen - Heinrich Mann


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hätte sie demütigen sollen, ihr klar machen, dass das Geschehene besteht und niemals verloren gehen kann! Tut sie nicht, als sei gar nichts vorgefallen?"

      Er machte sich vergeblich Mut: ihm selbst war es, als sei gar nichts vorgefallen. Es war ihm unmöglich, sich die Herzogin von Assy noch einmal in seinen Armen zu denken. Und jetzt erst quälte ihn die Lust. Damals war es ein unvorhergesehenes Wagestück gewesen, ein berauschter Tribünenerfolg.

      Pavic genoss nur halb all das Große, das jetzt eintrat.

      Am fünfzehnten Januar ward die Schutzheilige der Diözese Zara durch eine Prozession geehrt. Der Zug bewegte sich vom Dom der heiligen Anastasia durch die lange, gerade Straßenlinie bis zum Sankt Simonsplatz. Eingebogen auf die Piazza Colonna machte der Klerus Halt, um die Zurückgebliebenen nachrücken zu lassen. Den Mönchen und den geschmückten Schulkindern folgte eine Abteilung Militär. Dahinter gingen städtische Korporationen und auf ihren Absätzen marschierten wieder Soldaten. In feierlichem Abstande schwankte der Baldachin des Erzbischofs daher; er schritt zwischen zwei Vikaren. Nach ihm kam als Vertreter des Königs Nikolaus Prinz Phili, barhäuptig inmitten seines Hofstaates. Abermals stampften Infanteriereihen das Pflaster. Und eine ungeordnete Menge verstopfte, unablässig nachdrängend, die Zugänge des weiten Platzes.

      Man wartete; die Geistlichen hörten auf zu singen. An ihrer geöffneten Terassentür, abseits von ihren Gästen, stand die Herzogin von Assy. Kaum drei Minuten vergingen, bis alle, so viele ihrer den Raum füllten, den Blick zu ihr erhoben hatten. Zuletzt merkte der Erzbischof, wie es ringsumher still ward, und sah lächelnd hinauf.

      Da liefen von dahinten, wo ein letztes Gebetemurmeln versiegte, andere Laute durch die langen Menschensäulen. Es war ein Ruf, der die Bürger und die Krieger ergriff. Sie einigten sich in ihm, ihre Reihen vermischten sich und sie versprachen sich mit Händen und Augen, keiner wolle ferner seine Söhne hinausschicken, um auf die Väter der andern zu schießen; keiner wolle die Faust gegen den uniformierten Sohn eines Freundes erheben. Die Trauer der jüngsten Ereignisse hatte plötzlich alle der Sache jener Frau zurückgewonnen; sie riefen: "Es lebe die Herzogin von Assy!" Sie riefen es mit Feuer, manche unter Schluchzen.

      Die Rechte auf der Brüstung des Balkons, sah die Herzogin auf die tausend zurückgebogenen Gesichter hinab, die die Sonne verklärte. Die Banner der Kirchen und Klöster erfüllten die blendende Luft mit dem Prunk ihrer Goldstickereien. Das rotgoldene Zeltdach des Kirchenfürsten stieg wie die Wiege eines Gottes vom blauen Himmel herab. Die Helme blitzten. Zarte Engelsflügel schimmerten an den Schultern kleiner Mädchen, die der Herzogin mit den Fingern Küsse zuwarfen. Das Volk schnellte Arme, Mützen und Liebesschwüre zu ihr in die Höhe; es jauchzte und wogte bunt. Plötzlich flammte ein Degenstahl auf: in der Umgebung des Prinzen hatte ihn jemand gezogen. Gleich darauf grüßten alle Schwerter; es war wie der Flug eines Silbervogels durch das Mittagslicht. Phili selbst sandte Kusshändchen hinauf, gleich den Schulkindern.

      Die Herzogin verneigte sich; die Sonnenstrahlen glitten über ihre schmalen Schultern. Die Prozession zog weiter, sie sah ihr zu, in einem gelassenen Machtgefühl.

      Sie war damals einundzwanzig. Von der Wölbung des schwarzen Haars, das in schwerer Welle zurückgeschlagen war, fiel auf ihre Stirn ein bläulicher Schatten. Im Nacken bogen sich die vollen Flechten. Die Brauen zogen schwache Linien, der Mund lag unbestimmt da, mit leise aufeinander geschmiegten, blass gefärbten Lippen. Aber das Kinn und die Biegung der feinen, großen Nase sagten entschiedene Dinge. Der Kopf war farbenarm, doch reich vom Silberzauber des Lichts. Sie hob die breiten Lider: ein fester, stahlblauer Glanz fand den Weg fernher, von großen Meeren.

      Pavic zeigte sich hinter ihr, in Frack und weißer Halsbinde, unbeweglich und ein wenig unaufmerksam, als ein Schöpfer, der nicht geruht merken zu lassen, das alles sei sein Werk. Er zerbiss sich die Lippen und legte zwei Finger an die Nasenwurzel, gegen die Blendung oder gegen den Druck eines trüben Gedankens. Alle Fenster der zwei herrschaftlichen Stockwerke waren von den Freunden der Herzogin besetzt. Rustschuk, von schönen Frauen umringt, verbeugte sich unermüdlich. Er tupfte sich mit dem gelbseidenen Schnupftuch elegant auf den Mund; er zog die Camelia aus seinem Knopfloch und warf sie unter das Volk.

      Den ganzen Tag wurden die Salons des Palais Assy nicht leer. Hunderte trieb es heute an, sich der mächtigen Dame ins Gedächtnis zu rufen. Andere Hundert waren erst heute von der Notwendigkeit durchdrungen, zu wählen zwischen den Koburg und ihr. Sie bestellte alle auf denselben Abend; sie wollte noch am gleichen Tage bei einem umfassenden Rout die Parade der Ihrigen abnehmen. Es gab eine Überfülle zu tun, sie griff nach dem ersten besten, um ihn auf Botengänge zu schicken. Einmal, als sie das Vorzimmer öffnete, fiel ihr ein riesiger Offizier entgegen. Er verbeugte sich rasselnd.

      "Major von Hinnerich!"

      Dieser treue, strenge Mensch, der gute Engel des armen Phili! Sie war doch überrascht, ihn hier zu finden. Kam er ehrlichen Herzens? Einen Augenblick zögerte sie. Aber von Hinnerich sah sie mit rotem Gesicht, bärbeißig und zutunlich an. Er strömte Mannentreue aus. Er hatte lange mit sich gekämpft; jetzt war er ihr gewonnen, unverbrüchlich. Sein Glück hatte gewollt, dass seine Begeisterung für die Herzogin von Assy gerade an dem Zeitpunkt durchgebrochen war, wo ihre Sache am günstigsten stand.

      Empfangsabende wechselten jetzt mit Bällen ab, unablässig. Das Palais Assy lieh allabendlich seinen roten Festglanz der ganzen Stadt. Rustschuk, der früher Revolten bezahlt hatte, kaufte nun dem Volke einen beständigen Freudenrausch. Musik zog durch die bunt beleuchteten Straßen, der Wein floss kostenlos in den Schenken, im Hafen glitten bekränzte, bewimpelte Kähne durch die glückliche Nacht. Niemand konnte sich erinnern, dass die Welt je so schon gewesen wäre; nur ein paar sehr Alte meinten, es sehe aus, als sei die Republik Venedig wiedergekehrt.

      Auf der Piazza Colonna lagerte beim Schmause eine dankbare Menge und schaute zu, wie die Wagen der Gäste heranrollten. Über die Stufen des Portals ging immerfort Seidenrauschen und Degenklirren. Prinz Phili trieb sich ohne Begleiter in der Umgegend herum und hielt die Leute an, um tränenden Auges nach den Vergnügungen im Hause seiner Feindin zu fragen. Warum er nicht dabei sein dürfe! Er könne sich ja gar nichts Lieberes denken, als von solch einer Frau depossediert und in den Kerker geworfen zu werden!

      Die Freunde der Herzogin trafen, um sich die dalmatinische Revolution anzusehen, aus Paris und Wien ein, als führen sie zu einem Derby oder zu einer Premiere. Sie gerieten in einen Tanzsaal, wo niemand an die nahen Ereignisse zu denken schien. Die Herzogin selbst besann sich zuweilen darauf. Sie spürte dabei denselben leichtfertig prickelnden Vorgeschmack des Triumphs wie sonst, wenn sie eine alte Marquise im Whist besiegte. Sie hatte dann die entscheidende Karte noch einen Augenblick in der Hand behalten und der ratlosen Greisin zugeblinzelt. So blinzelte sie jetzt, des Ausganges der Dinge gewiss, nach dem Königsschlosse hinüber, wo Nikolaus und Beate, gänzlich vereinsamt, durch die schlecht beleuchteten Säle irrten. In einem Winkel fror Friederike.

      Bei einem Frühstück in engem Kreise hörte die Herzogin ganz entzückt dem türkischen Gesandten Ismael Iben Pascha zu; der beleibte, lebenslustige Mann plauderte von der Rechtspflege in seinem Lande.

      "In Smyrna wird mir ein Schwarzer vorgeführt; er ist wie ein Narr aus einer Moschee herausgesprungen und hat einem zufällig vorübergehenden Europäer ein langes Messer in den Bauch gerannt. Er rollt weiße Augen und schwört, der Prophet habe ihm im Gebete befohlen, den ersten Ungläubigen, der ihm begegne, zu toten. Ich erwidere: ,Und mir befiehlt der Prophet, dich aufhängen zu lassen!

      Der Gesandte leerte ein Glas Sekt.

      "Was wollen Sie, Hoheit, gegen den Propheten hilft nur der Prophet. Und ein rasches Urteil ist besser als ein weises. Eine arme Frau soll Milch getrunken haben, die ihr nicht gehörte. Ich sage nur: ,Aufschneiden!'"

      Pavic, der an der andern Seite der Tafel saß, ward auf einen kleinen, jungen Lakaien aufmerksam. Die andern schlichen mit Platten und Flaschen geschäftig um den Tisch, jener aber stand ungeschickt da, horchte auf die Gespräche und ließ den Blick nicht vom Gesicht der Herzogin. Aus einer Schüssel, die er schief hielt, tropfte Sauce auf den Teppich. "Sie!" raunte der Hausfreund verweisend. Der Diener sah ihn an, und Pavic zuckte heftig zusammen. War das … das war Prinz Phili! Er wandte sich nach seinen Nachbarn


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