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Die Göttinnen. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Die Göttinnen - Heinrich Mann


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das waren auch seine Züge, nur die Haare fehlten auf den blassen Wangen. Pavic warf sich plötzlich in die Brust, sein gestärktes Hemd krachte; er hielt sein Glas hin. "Sie!" Und er ließ es von dem jungen Menschen füllen.

      Kurz darauf war der Lakai verschwunden. Pavic ward nachträglich von Zweifeln befallen, die ihm keine Ruhe ließen. Er musste mit irgendjemand über die Sache reden. Man lachte ihn aus: Prinz Phili als Bedienter! Ob er denn an Gesichtstäuschungen leide. Aber Pavic wollte vom Thronfolger bei Tische bedient worden sein; er war nicht geneigt, sich dies nehmen zu lassen. Am nächsten Tage glaubte es die halbe Stadt. Man erfuhr auch, dass der König Nikolaus die Geduld verloren und seinen Erben geohrfeigt habe. Phili blieb geraume Zeit unsichtbar. Als er wieder zum Vorschein kam, war sein Bart noch sehr kurz.

      Die Geschichte ward viel zu stark gefunden, sie brachte manchen zur jähen Erkenntnis der Lage. Das Spiel, das die Herzogin und ihre Leute mit der bewährten Dynastie Koburg, mit dem ehrwürdigen König Nikolaus trieben, galt nun als unwürdig. Viele verließen die Partei Assy.

      Sodann folgte der Zwischenfall mit dem jungen Brabanzine. Dieser achtzehnjährige Edelmann hatte gerade die klösterliche Erziehungsanstalt verlassen und saß in einer Vorstellung von Frou-Frou. Beate Schnaken betrat ihre Loge: das Geschick des Jünglings war entschieden. Er suchte sie auf und stammelte zu ihren Füßen seine erste, ungeschickte Begierde. Beates reifes Herz trank dankbar dieses seltene Elixier; doch konnte sie unmöglich einem jugendlichen Stürmer zuliebe von ihren langjährigen Grundsätzen abweichen. Innerhalb der Landesgrenzen durfte nichts vorkommen. Sie verständigte hiervon ihren Verehrer, mit dem Hinzufügen, zu einer Reise ins Ausland lasse ihr die Politik keine Zeit.

      Zwei Tage später ertrank der arme Brabanzine bei einer Bootfahrt. Gleichzeitig erhielt Beate Schnaken von ihm einen Brief, den sie im ersten Schmerz ihrer Umgebung zu lesen gab. Dieses beklagenswerte Ereignis brachte es erst wieder allen zum Bewusstsein, wie sympathisch Beate sei. Am Grabe ihres unglücklichen Liebhabers wurde sie von seiner Mutter in die Arme geschlossen. Sie trug dabei einen großen, schwarzen Crepeschleier, und die Musik spielte etwas aus einer Oper. Die gemeinsamen Tränen der beiden Frauen, der Mutter des jungen Mannes und der Geliebten, um derentwillen er gestorben war, kamen jedermann unsäglich rührend vor. Sie gewannen der Dynastie Koburg unzählige Neigungen zurück.

      Die Herzogin begriff Beate vollkommen; nur die Mutter war ihr unverständlich. Sie zog sich innerlich fremd und feindlich zurück von solcher melodramatischen Seelengüte, bei der mit dem Zorn auch der Stolz abdankte, und bei der den Toten ein Unrecht geschah. Sie sprach es aus und wurde für neidisch gehalten.

      Indessen war sie der Meinung, ihr Glück sei über solche Wechselfälle längst hinausgewachsen. Es beunruhigte sie gar nicht, wenn sie unzufriedene Gesichter im Volke sah. Sie nahm sich vor, ihm gelegentlich in aller Freundlichkeit die Wahrheit zu sagen.

      Ende Mai verbrachte sie einige Morgenstunden im Harem des Paschas, bei Madame Fatme, seiner Gemahlin, an der sie ein oft befremdetes und oft verwandtes Wohlgefallen fand. Fatme war ein Kind, das in Pariser Toiletten mit sich selbst wie mit einer Puppe spielte: in ihrem innersten Bewusstsein behielt sie immer weite, seidene Beinkleider an. Sie träumte scheu und lüstern von allen Männern, denen sie in der Gesellschaft begegnete, und hielt alle frei einhergehenden Frauen für Hetären. Sie war überaus volkstümlich gesinnt und kannte unter Menschen keine Abstände. Ein türkischer Bettler hockte am Wege, wo die Herzogin von Assy und Prinzessin Fatme vorüberkamen. Er aß eine Schüssel Bohnen und sagte grüßend sein gewohntes heimisches "Sei mein Gast!" Die Prinzessin hatte Hunger, das Gericht duftete nach gutem Öl. Sie ließ es sich reichen und führte den Löffel des Bettlers an den Mund. Sie legte keinen großen Wert auf Menschenleben und hielt es für wichtiger, dass ein jeder zu seiner Unterhaltung alles tue, was er könne. Sie erzählte ihrer Freundin:

      "In Smyrna hatte mein Mann eine Menge kleiner Mameluken, die im Palast aufwuchsen. Und auf der Balustrade unseres Balkons standen große Marmorkugeln. Manchmal ließ der Pascha die Mameluken auf den Balkon kommen und maß sie. Wer niedriger war als die Marmorkugeln, bekam ein Goldstück. War aber einer höher, dann: — Kopf ab."

      Sie zwitscherte hell.

      "Das Spiel hatte mein Mann selbst erfunden."

      Die Herzogin blieb ernst. Sie sann, und sie fand nicht, ob solch gleichgültiges Hantieren mit dem Tode scheußlich sei oder groß.

      Es war warm. Die beiden Damen saßen in Wolken von süßem Rauch auf niedrigen Diwans, drei alabasterne Stufen über dem Parkett. Das Zimmer hatte kein Fenster, die Tür stand offen, auf den grell besonnten Hof hinaus; es hingen Rosenranken davor, die der Eintretende zurückschlagen musste. Draußen schlichen fettig schwarze Mohren, rote Binden um die Lenden, über die Marmorplatten. Sklavinnen, weißer als die Säulen hinter denen sie vorbeiwandelten, und in mattfarbenen Seiden sich wiegend, trugen auf den Köpfen bronzene Schalen, an deren Rand sie eine Hand legten. Der gestreckte Arm schimmerte mit gewölbten Muskeln. In den Achselhöhlen glitzerte es goldig. Eine von ihnen brachte auf Schalen aus Lapislazuli Seker Lokum und Rochat Lokum, köstliche "Bissen der Ruhe", die auf die Zunge, wo sie schmolzen, einen milden Vorgeschmack des Paradieses legten. Eine andere hinterließ, auf rosigen Zehen rasch durch das Zimmer gleitend, wundersame Wohlgerüche; sie schienen aus ihren Fingerspitzen zu sprühen.

      Die Herzogin befand sich wohl in diesem vergessenen Winkel, wo Farben, die wie in künstlicher Sonne standen, und tanzmäßig abgemessene Bewegungen sich traumselig vermischten. "Wenn draußen nicht so vieles zu tun wäre!" dachte sie plötzlich. Ihre Freundin seufzte.

      "Fatme ist recht unglücklich. Ihre Sehnsucht wird nie gestillt."

      "Was für eine Sehnsucht, kleine Fatme?"

      Die Türkin raunte ihr ins Ohr:

      "Neulich habe ich einen Mann hier gehabt!"

      "Nicht möglich. Wen denn?"

      "Zwar nur Prinz Phili. Weil er gerade keinen Bart hatte, weißt du. Ich hatte ihn angezogen wie ein schönes Mädchen. Ich dachte an den Pascha und erstickte fast vor Vergnügen. Aber, nun natürlich — er hat versagt. Endlich ein Mann im Harem, und da versagt er!"

      "Phili hat … versagt?"

      "Ganz und gar."

      "Wie schade. Also ein anderes Mal. Hast du es denn durchaus nötig, deinen Mann zu betrügen?"

      "Er hat ja behauptet, im Harem würde es mir nie gelingen. Muss mich das nicht kränken? Und er selbst gibt das, was mir gehört, allen Sklavinnen. Ah! Ich gewöhne es ihm noch ab. Sieh dir einmal die große Blonde an, dort drüben bei der Palme. Sie ist neu, sie gefällt dem Pascha. Vorgestern nachts will er zu ihr, er schämt sich und schleicht im Dunkeln. An der Ecke des langen Ganges, wo sie alle schlafen, passe ich ihm auf und setze ihn, mit einem Stoß, gerade in den Brunnen hinein. Er prustet und schreit. Als die Eunuchen mit Lichtern kommen, bin ich längst in meinem Bett. Und ihm, du begreifst wohl, war alle Lust vergangen."

      Die Herzogin stellte sich den hilflosen Mann vor, auf dessen liebeglühenden Wanst der Springquell niederplätscherte. Sie lachte schallend, unerschöpflich.

      "Früher waren wir nicht so harmlos," erklärte Fatme. "Wir duschten nicht, sondern gaben Gift. Kennst du die Alte, die im Hofe sitzt?"

      Eine flitterbunt behangene Alte kauerte gekrümmt in der Sonne, die gelben Füße über einem silbernen Kohlenbecken. Sie wackelte beängstigend mit einem entfleischten, enthaarten Schädel, von dem der Unterkiefer herunterklappte.

      "Das war die große Suleika, des Paschas Mutter. Wie viele Nebenbuhlerinnen hat sie wohl vergiftet, damit sie ein Kind bekommen und ihr Kind Pascha werden konnte! Und ob sie Männer im Harem gehabt hat! Keiner hat etwas verraten, denn am Morgen schlug sie ihm den Kopf ab."

      "Immer den Kopf ab," sagte achselzuckend die Herzogin, und verabschiedete sich.

      Wie sie am Gemüsemarkt vorbeifuhr, war eben ein Mörder abgeführt worden. Das Volk stand in dichten Gruppen umher und erzählte sich, was geschehen war. "Der Bäcker zahlt ihm seinen Lohn aus. Zwei Franks zehn, sagt er. Ich soll doch zwei Franks fünfzehn haben?


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