Die Göttinnen. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.
"Du gehst vor uns her. Aber wer ist die andere?"
IV
Die Einwohner von Palestrina liefen hinunter auf die alte Straße, die ihre Bergstadt mit Rom verbindet. Es trieb sie an, von weitem auszuschauen nach dem Kardinal. Endlich sollte er Besitz ergreifen von dieser suburbanen Diözese, die der neue Papst ihm verliehen hatte. Er trug einen deutschen Namen, den keiner behalten konnte.
Der schwarze Wagen rollte schwerfällig herbei; aus den Gärten, den Abhang hinauf, winkten ihm Tücher und grüßten ihn Kränze. Er schlich, vom Volke umringt, das Hoch schrie, mühsam den steilen Platanengang hinan, und er rasselte auf den geschmückten Platz. Böllerschüsse krachten; da sah man einen noch jungen Mann aussteigen. Wo war sein rotes Käppchen und wo die Scharlachstreifen an seinem Kleide? Die Gemeinde schwieg enttäuscht. Aber sie wartete auf Feuerwerk, Konzert und Lotto. Darum fand sie sich darein, dass statt des Kardinals nur sein Vikar erschienen war, der Monsignor Tamburini.
Sie geleiteten ihn durch die engen Treppengassen hinauf zu den Kapuzinern, bei denen er übernachtete. Am nächsten Morgen besuchte er, auf Schritt und Tritt von schmetternder Musik begleitet, das Nonnenkloster. Die Oberin empfing ihn in dem kühlen Hofe, wo von den arabischen Säulchen junge Rosen hingen. Nach der Begrüßung schob sie die Gartenpforte zurück und lud den Vikar in die Vigne. Unter dem schweren Blau des Augusthimmels woben die Weinblätter ihren schwanken Schatten über einen schmalen Felsgrat hin. Am Ende des Weges, wo jäh die Wand abfiel, stand ein Marmortisch, und es saß eine Dame davor, das Gesicht auf die Landschaft gerichtet. Sie sah rechts aus einem Gewoge blauer Kuppen den Soracte emporsteigen. Geradeaus dämmerte ein Wall von grauem Duft, näher und entfernter, den Horizont entlang: Albaner- und Volskergebirg. In der Lücke zwischen ihnen glitzerte weiß eine Ahnung des Meeres. Die braune Campagna dehnte sich in sommerlicher Verlassenheit, fieberglühend bis in jene Ferne.
Der Vikar flüsterte neugierig:
"Wen habt Ihr dort, eine Dame?"
"Sie ist es eben," erwiderte die Oberin, "wegen derer ich Monsignor hierher führe. Sie ist uns eines Abends ins Haus geschneit, und geht nicht mehr fort. Was sollen wir tun?"
"Zahlt sie?"
"Sehr gut."
"Wie heißt sie?"
"Sie hat einen Namen genannt, den sie später selbst wieder vergessen hatte. Ich möchte schwören, dass es nicht der ihrige war."
Monsignor Tamburini lächelte.
"Ein Roman? Was Ihr für ein Glück habt, hochwürdige Mutter. Bekommt sie Briefe?"
"Einmal war am Tore ein Mann aus Rom und brachte ein Paket Wäsche. Ich habe es untersucht, es war Geld darin, aber nichts Schriftliches. Es ist alles sehr geheimnisvoll und fast ängstlich."
"Wir werden sehen," sagte selbstbewusst der Vikar. Er raffte seine Soutane über die Füße hinauf, dass die violetten Strümpfe zum Vorschein kamen, und durchmaß mit großen Schritten, sich kräftig räuspernd, die Vigne. Die Fremde wandte sich nach ihm um und dankte ihm für seinen Gruß. Ihre Züge dünkten ihm eigentümlich bekannt. Er stellte sich vor und fragte:
"Nicht wahr, gnädige Frau, der Anblick dieses Landes fesselt uns wochenlang."
Die Dame versetzte:
"Es ist schön, aber ich bin nicht deswegen hier. Ich bin die Herzogin von Assy."
Er fuhr zusammen.
"Ich hätte es fast erraten!" stotterte er. "Man kennt ja Euere Hoheit aus den illustrierten Blättern!"
Indessen er sie anstarrte, dachte er: "Die Oberin, das furchtsame Gänschen, hat also recht, wir erleben Abenteuer". Er sammelte sich.
"Welch seltsames Zusammentreffen! Hier im weltfernen Klostergarten finde ich die hohe Frau, die Heldin und die Märtyrerin, deren großartigem Kampf für eine heilige Sache wir alle voll atemloser Angst gefolgt sind…!"
Er redete mit eherner Stimme, seine mächtigen Hände griffen aus. Er hatte die niedrige, durch eine Haarsträhne geteilte Stirn, die kurze, gerade Nase und das starke Untergesicht des Römers, und stand bieder und massig vor sie hingepflanzt; doch unter ihren schweren Lidern prüften seine kleinen Augen sie, beweglich und tiefschwarz. Die Herzogin lächelte.
"Heldin — kaum. Märtyrerin — ich weiß nicht. Jedenfalls keine besonders tapfere, da ich mich hier verkrochen habe. Aber, glauben Sie mir, Monsignore, die Langeweile verleiht Mut. Bevor Sie kamen, hatte ich gerade fünfmal gegähnt, und kaum erblickte ich Sie, war ich entschlossen, mich Ihnen zu erkennen zu geben."
"Sie haben Furcht gehabt … vor…?"
"Ganz recht. Vor der Auslieferung."
Er hatte sich nicht denken können, was sie fürchtete. Sie hielt sich also für verfolgt? Wie unnötig! Die Machthaber in ihrem Lande waren gewiss sehr froh, sie los zu sein. Seither war es dort beinahe still geworden, wusste sie das nicht? Er öffnete den Mund, um es ihr zu sagen, schwieg aber und wiegte den Kopf. Wenn sie Furcht hatte, warum wollte er sie ihr nehmen? Aus der Furcht eines andern ließ sich immer irgendein Vorteil ziehen. Er sagte fett und überzeugt: "Hoheit, ich verstehe das."
Er hatte nachgedacht und belebte sich.
"Die jetzige räuberische Regierung Italiens ist stets zu jeder Schandtat bereit. Die Tyrannen Ihres Heimatlandes brauchen bloß in Rom den Wunsch zu äußern, und Sie, Frau Herzogin, werden schonungslos ausgeliefert."
"Sie glauben?"
"Da gibt's keinen Zweifel. Solange Sie allein und schutzlos sind, heißt das."
"Wer sollte mich schützen?"
"Das kann nur…"
"Wer?"
"Die Kirche!"
"Die Kirche?"
Er ließ sie nachdenken.
"Warum nicht," äußerte sie schließlich.
"Vertrauen Sie sich der Kirche an, Frau Herzogin! Die Kirche vermag mehr, als Sie ahnen. Was ohne sie fehlgeschlagen ist, vielleicht — vielleicht gelänge es mit ihrem Beistande!"
Sie überhörte seine gedämpfte Andeutung.
"Ich könnte dann in Rom frei umhergehen?" fragte sie.
"Frei und sicher, ich bürge dafür."
"Nun dann — meinetwegen. Und rasch, Monsignor, rasch! Sie sehen, ich langweile mich."
"Sofort, Frau Herzogin. Heute Abend, nach Beendigung des hiesigen Festes. Ich hole Euere Hoheit in meinem Wagen ab."
Er verabschiedete sich mit geistlichem Anstande. Draußen erwartete ihn das Orchester. Unter Marschgebläse gelangte er zum Dom und zelebrierte das Hochamt. Am Abend, als vom Stadtplatz zum stahlblauen Sternenhimmel Raketen schossen, hielt sein Wagen an der Klosterpforte. Sie öffnete sich halb, die Herzogin bestieg das Gefährt. Sie reichte der knicksenden Oberin die Hand, das Gesicht der Alten ruhte elfenbeinfarben im Frieden ihrer weißleinenen Flügelhaube. Hinter den kleinen Öffnungen in der kahlen gotischen Fassade spähten die müden Augen junger Nonnen.
Der Vikar erreichte mit seiner unverhofften Begleiterin auf einem Seitenwege die Campagna. Die Pferde mussten laufen; um elf Uhr waren sie beim Tor, kurz darauf auf dem Monte Celio. Dort stand das kleine Haus eines Prälaten, der plötzlich nach dem Orient entsandt war. Es war vollständig möbliert zu vermieten. Die Herzogin übernachtete darin. Am Morgen war sie entschlossen, dazubleiben.
Das Häuschen lag auf dem Rücken des verlassensten der römischen Hügel, in der Tiefe eines verwilderten Gartens. Davor, auf dem von zerbröckelnden Mauern eingehegten, ungepflasterten Platze sonnte sich die Navicella, das bemooste, geborstene Brunnenbecken in Schiffsgestalt. Es träumte von Tagen, als drüben Trinitarierritter klirrend auf die Schwelle ihres Hauses traten. Noch erhob sich über der verschlossenen Tür das Sinnbild des Ordens, ein weißer und ein Mohrensklave, die zur Rechten und zur