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Die Göttinnen. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Die Göttinnen - Heinrich Mann


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Ernüchterung und Furcht sollten an ihrer Seele arbeiten, sie demütig, zahm und mitleidig machen. Nun war sie ihm aus der Hand entschlüpft, ein bunter Vogel, der hoch über ihm auf einem schmalen Zweige saß und zwitscherte, unüberwindlich frei und hochmütig. Pavic verzweifelte. Was konnte er noch tun, um in ihrem Gedächtnisse jene Stunde auszulöschen, da er nicht gestorben war. Er irrte umher und suchte.

      Nach Beendigung ihrer Einkäufe sagte die Herzogin:

      "Morgen Abend sehen wir uns beim Kardinal, Sie sind eingeladen, meine Herren."

      Zur bestimmten Zeit trafen sich die beiden in der Lungara, der zwischen Palästen still dahinziehenden Straße jenseits des Tiber. Sie erstiegen gemeinsam die breite flache Treppe im Hause des Kirchenfürsten. Hinter einem schwarzgekleideten Diener, der fromm geneigten Hauptes einen Armleuchter vor ihnen hertrug, durchmaßen sie eine Reihe von Sälen mit verschlossenen Fensterläden. Das Kerzenlicht riss Lücken in das Dunkel, es enthüllte ein Stück Deckengemälde: große kalte Leiber, berechnete Haltungen und wohlgeordnete Faltenwürfe erstarrten in einem öden Pomp; es streifte verblasstes Gold an weit voneinander getrennten Stühlen, von denen brokatene Fetzen fielen. Dann öffneten sich den Besuchern einige kleinere Gemächer, von Schaukästen eingenommen, auf denen ausgestopfte Vögel mit gewundenen Hälsen, gespreiztem Gefieder, aufgesperrten Schnäbeln sich in der Dämmerung bauchten zu seltsamen Gestalten. Im Bibliothekszimmer stand ein junger Abbate vom Studium auf, verbeugte sich und kehrte zu seinem Schreibzeuge zurück.

      Endlich gelangten sie in das Kabinett des Hausherrn. San Bacco, der ihm bekannt war, nannte ihm Pavics Namen; darauf stellte er sie beide den vier Damen vor, die um die Herzogin von Assy herumsaßen, einer sehr fetten und überaus lebhaften Greisin, der Fürstin Cucuru, sowie ihren zwei schönen blonden Töchtern, und der Contessa Blà, einer noch jungen Frau. Monsignor Tamburini hielt sich, ein pflichtstrenger Adjutant, im Rücken des Kardinals. Graf Burnsheimb lehnte klein, schmächtig und leicht gebeugt, im schwarzen, rot umsäumten Gewande und das rote Käppchen auf dem dünnen weißen Haar, an einem hohen roten Ledersessel. Seine weiße magere Hand ruhte ungekrümmt und lebensvoll auf der gelben Marmorplatte seines Arbeitstisches. Es erhob sich darauf zwischen gehäuften Büchern eine römische Ampel, drei bronzene Schnabelbecken an einem langen Stiel. Sie erhellte von unten das versteckte, feine Lächeln des Kardinals. Er wandte das schmale blasse Gesicht den Damen zu, einer nach der andern, und lud mit kühler langsamer Stimme seine Gäste ein, ihm in die Galerie zu folgen.

      Tamburini schob in der Wand eine Kulisse zurück, sie betraten die lange, ansehnlich breite Wandelhalle, die durch drei Maschinen auf den Garten hinaussah. Er drängte sich hier in der Höhe des ersten Stockwerks, eng und abgezirkelt, an den Abhang des Janiculushügels. Noch hing etwas rosiger Staub, von der Sonne zurückgelassen, in den Taxusmauern. Sie umgaben quadratisch zwei dreieckige Wasserbecken, auf deren niedrigen Einfassungen zwei Tritonen sich räkelten und zwei Faune.

      An beiden Enden der Galerie befand sich eine verschlossene Pforte, überdacht und umflutet von Vorhängen aus grünem Marmor. Aus den mächtig geschwungenen Steinwellen traten zwei weiße, nackte Figuren, ein Knabe hüben, und drüben ein Mädchen. Sie lächelten und legten einen Finger auf den Mund. Die ganze Länge des Raumes trennte sie; zaghaft setzten sie den Fuß an, als wollten sie einander entgegengehen über den spiegelnden Mosaikboden, worauf blaue Pfaue, umkränzt von Rosen, die goldigen Schweife aufrollten. Statt ihrer humpelte die Fürstin Cucuru darüber hin. Sie bot, sobald sie auf den Füßen war, einen überraschenden Anblick. Ihre lahmen Kniee machten sie ungeduldig, sie bestrebte sich ihnen vorauszueilen, mit angelnden Armen und leidenschaftlich stampfendem Krückstock. Sie beugte sich, fast zusammenbrechend unter der Last ihres Fettes, soweit nach vorn, dass der untere Teil ihres Rückens die Schultern überragte. Dadurch ward hinten das Kleid aufgerafft und enthüllte die geschwollenen Beine der Greisin. Ihr ägyptisches Profil, mit platter, auf der Oberlippe fest anliegender Nase, schoss vor sich her den bekümmerten Blick eines die Beute versäumenden Raubvogels. Sie blieb hinter der Gesellschaft zurück und schrie mit gieriger Lockstimme abwechselnd "Lilian!" und "Vinon!"; aber die Hilfe ihrer Töchter verbat sie sich wütend.

      Atemlos und hochrot fiel sie schließlich in einen Fauteuil bei der geöffneten Gartentür. Daneben schob der Kardinal eigenhändig einen zweiten Sitz für die Herzogin. Die Cucuru rief:

      "Nehmen Sie dreist allen Platz, Herzogin! Sie brauchen Kühlung, Sie sind zart. Ich, ich habe überhaupt keine Luft nötig, ich habe eine Gesundheit und eine Kraft! Vierundsechzig bin ich, hören Sie, vierundsechzig, und werde noch hundert werden! Mit Seiner Hilfe!"

      Sie schielte nach oben und murmelte, sich bekreuzigend, etwas Unverständliches.

      "Ja, ja, Anton," so wandte sie sich, noch lauter, an den Kardinal, "Ihr seid natürlich recht froh, dass Ihr die da im Hause habt!"

      Und sie klopfte mit dem Horngriff ihres Stockes die Herzogin kräftig auf den Arm. Der Kardinal sagte: "Genießen Sie unsere Abendkühle, liebe Tochter, hier am Janiculus ist sie zuträglich, und trösten Sie sich, wenn es möglich ist, über die Bitternisse des Exils!"

      "Papperlapapp!" machte die Cucuru, "Freund, was redet Ihr von Exil! Die Frau ist jung, sie kann tätig sein und leben, leben, leben! Geld hat sie, sie weiß kaum wieviel, und Geld, Freund Anton, ist die Hauptsache!"

      "Monsignor Tamburini bestätigte dies mit einem fetten "So ist es!" Die Contessa Blà erkundigte sich:

      "Hoheit, nehmen Sie Ihr Missgeschick schwer?"

      "Ich weiß nicht," erklärte lächelnd die Herzogin, "ich habe mich bisher nicht genau untersucht. Augenblicklich ist es mir gleich, der Garten duftet so frisch."

      Die Blà nickte und schwieg. Aber Pavic, der noch nichts gesagt hatte, lieh sich vernehmen. Die schleichende Rachsucht, die seine Begierde, der Herzogin von Assy zu Füßen zu liegen, jetzt manchmal verdrängte, stieg ihm plötzlich zu Kopf. Seine Stirn war gerötet, er sagte leidselig und dem Auge der Herzogin ausweichend:

      "Eine Unheilsbotschaft; ich weiß nicht, wie ich sie länger zurückhalten soll. Den Assyschen Besitzungen in Dalmatien droht die Konfiskation. Der Staat steht im Begriffe sie einzuziehen. Zu dieser Stunde ist es vielleicht schon geschehen."

      Der Kardinal fragte ruhig:

      "Sie wissen es im Voraus?"

      "Hier ist der Brief meines Vertrauensmannes."

      Pavic trat zurück, befriedigt und dennoch von Schmerz zerrissen.

      Der Kardinal las und reichte das Papier der Herzogin. Dann griff die Cucuru danach. Sie prüfte es und brach, sobald sie es für echt befunden hatte, in Gelächter aus. Vermittels ihres Stockes, den sie unablässig auf den Boden stieß, verstärkte sie ihren Lärm. Dann wurden die Augen der alten Dame wässerig, und ein Stickhusten gestattete ihr nur noch leise Kreischlaute. Monsignor Tamburini maß die Herzogin von der Seite, misstrauisch und entrüstet, wie einen zahlungsunfähig gewordenen Kunden. Sie selbst fragte plötzlich:

      "Der Staat konfisziert meine Domänen? Das soll heißen, Nikolaus nimmt sie mir weg?"

      Pavic antwortete düster:

      "Ja."

      "Ah, Nikolaus … und Friederike und … Phili," sagte sie vor sich hin. Das Vernommene erregte ihr tiefstes Staunen. Es kam ihr keineswegs wie ein Unheil zum Bewusstsein, das sie betroffen hätte; ohne an seine Folgen zu denken, sah sie nur den Akt vor Augen. Der König Nikolaus vollzog in einer Regung väterlicher Unzufriedenheit die gewichtige Urkunde. Friederike stand spitz und entschieden daneben, Phili ganz begossen. Die armen Leute, um ihrem Gegner nahe zu kommen, erfanden sie nichts weiter, als ihm sein Geld zu stehlen. Auch Rustschuk wäre darauf verfallen! Plötzlich hörte sie dicht an ihrem Ohr die Contessa Blà:

      "Nicht wahr, Hoheit, die Sache hat etwas Groteskes?"

      "Etwas … Woher wissen Sie?"

      Sie sah überrascht auf.

      "Ganz recht, ich finde dasselbe. Aber sagen Sie, woher wissen Sie?"

      "Aus den Bildnissen der dalmatinischen Herrschaften. Sie haben etwas so streng, — wie soll ich sagen, so streng Bürgerliches. Sie müssen überaus


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