Die Göttinnen. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.
konnten Sie ihn erzürnen, er ist so ehrwürdig."
"Ehrwürdig, das ist für ihn das Wort!" rief die Herzogin, mit zuckendem Gesicht. Die beiden jungen Frauen begannen gleichzeitig zu lachen. Unwillkürlich reichten sie einander die Hand. Die Blà murmelte: "Natürlich, es sind Bürger …," und zog ihr niedriges Taburett näher heran. Sie setzte sich vor die Herzogin hin, fast zu ihren Füßen.
San Bacco lief, durch die Neuigkeit mächtig aufgerüttelt, in der Galerie hin und her. Er schleuderte, mit den Armen fuchtelnd, aus seinem gärenden Selbstgespräch zuweilen ein lautes Wort ins Freie. Endlich brach er los. Die Verruchtheit dieser elenden Tyrannen hatte also an der Knechtung des Volkes nicht mehr genug, sie erfrechten sich zu Übergriffen gegen alte, erbgesessene Geschlechter!
"Ein tausendjähriger Familienbesitz, wer hat denn ein Recht, ihn mir abzusprechen? Kein Staat und kein König — nur Gott!"
Nach diesem Ausspruche ließ der Revolutionär, der diesseits und jenseits des Meeres alle angestammten Rechte gestürmt hatte, drohende Blicke unter seinen Zuhörern kreisen.
"Ein hergelaufener Monarch, mit dem Reisesack in der Hand ins Land gekommen! Nicht einmal ein Eroberer! Aber ich werde ihn vernichten! Ich werde zu ermitteln wissen, wieviel jünger die Koburg sind als die Assy! Und das werde ich den Blättern mitteilen!"
Pavic ward durch die Heftigkeit des andern an glückliche Tage erinnert. Es war ihm zu Mut, als liefe wieder das Volk von allen Seiten zusammen; es umwogte ihn keuchend, und er fühlte schon die Bretter irgendeines Weinfasses unter den Füßen. Seine Augen begannen zu glänzen, die Hände bebten, und dann redete er. Er hielt eine seiner großen Reden: niemand war darauf gefasst gewesen. Die Damen erschraken, der Kardinal betrachtete gelassen diesen neuen Menschentypus. Monsignor Tamburini verlor vorübergehend sein überlegenes Urteil unter dem Anprall dieser Beredsamkeit und versuchte sich klarzumachen, wieviel sie unter Umstanden wert sei.
Die Herzogin sah unaufmerksam weg; sie war zu oft bei den Proben auf der Bühne gewesen. All mählich blieb sie an den Gesichtern ihrer neuen Bekannten haften. Die Blà, die das Mienenspiel des Tribunen skeptisch studierte, machte den Eindruck einer eleganten Frau ohne Schicksale, fein und gütig. Und obendrein spielte Geist auf der schönen Weiblichkeit ihrer Züge. Vinon Cucuru, die Dunkelblonde, kicherte in ihr Schnupftuch. Sie war mit Stumpfnase und Grübchen ein selbstbewusstes Kind, dem es gar nicht fehlen konnte. Aber ihre Schwester schien alles hinter sich zu haben und gebrochen von allem zurückgekommen zu sein. Lilians Haar war tiefrot, mit violetten Lichtern. Sie hielt den blassen Blick gesenkt, ihre Nase begann vorn sich zu röten, die Hände lagen, wie kranke Mollusken, trostlos im Schoße. Das Mädchen kam dem Fremden ganz weiß und kalt vor von abgestorbenen Schmerzen, die als Leichen in ihrer Brust vergessen waren. Sie ließ davon jeden sehen was er mochte. Keine Gesellschaft war wichtig genug, um ihr etwas zu verbergen.
Im Rücken der Damen und hinter Tamburini und San Bacco, an der langen Wand der Galerie gesellten sich wie auf Balkonplätzen die alten Bilder zu Pavic' undankbaren Hörern. Das Haar in Schläfen und Stirn gestrichen, sann ein junger Mann mit ungleichen Augen zärtlich über den hohen steifen Fältelkragen hinweg. Ein liebliches, reiches Kind hatte über dem Tisch, worauf seine Taschenuhr lag, eine Seifenblase geformt. Sein Papagei floh kreischend, sein Hündchen sprang herzu. Man sah es, der Spitz würde noch Kapriolen machen und der Vogel noch schreien, wenn der Stundenzeiger der Kleinen schon stillgestanden und der bunte Schaum ihrer zehn Jahre geplatzt sein würden. Die todesdüstere Schönheit daneben, in gewellten Haaren, Agraffen und wehen den Schleiern, hielt in Händen ein Sieb. Ihr zugespitzter, üppiger Finger deutete auf den durchlöcherten Behälter wie auf ein Leben, in dem alles vergeblich gewesen wäre und alles bodenlos. Doch Judith, die schmale Jungfrau, trug unter gemmengekrönten Locken das bleiche Antlitz sehr hoch, ohne es je auf ihre starken Hände zu neigen, in denen das Schwert blitzte und der Kopf blutete.
Pavic machte krampfhafte Anstrengungen, um sich in der Täuschung zu erhalten, als umringten ihn Bewunderer. Allmählich versiegte seine Rede in der allgemeinen Gleichgültigkeit. Er stotterte, fasste an die feuchte Stirn und verstummte, beschämt und unglücklich. Die alte Fürstin hatte ihn die ganze Zeit mit offenem Munde angestarrt. Kaum war es füll, so klappte sie das Gebiss zusammen und sprach von etwas anderem.
Zwei leise Diener mit rasierten, friedevollen Lippen reichten Erfrischungen umher. Die Herzogin und die Blà nahmen Zedernschnee. Der Kardinal tat in sein geeistes Wasser ein Stückchen Zucker, San Bacco und Pavic gossen Rum hinein; die Cucuru trank ihn unverdünnt. Ihre Tochter Vinon schleckte Vanillegefrorenes. Monsignor Tamburini bereitete eine Orangeade, wobei ihm der Fruchtsaft über die Finger tropfte, und bot sie der trübseligen Lilian. Sie streckte achtlos die Hand aus; er zog das Glas zurück und bat verzerrten Mundes und mit der Anmut eines schlecht Gebändigten:
"Aber erst ein freundliches Gesicht machen!"
Sie drehte ihm den Rücken zu, doch traf sie den Blick ihrer Mutter und schrak zusammen. Darauf kehrte sie zu Tamburini zurück, lächelte ihm zu wie eine, die auch das noch tun kann, und goss, als habe sie sich zum Giftbecher entschlossen, das Getränk auf einmal hinab.
Die Cucuru hatte sich einen Teller mit Marmelade belegt. Sie schrie den Aufwärter an: "La bouche!" Mit unerwartetem Ruck senkte sie sich so tief seitwärts, als wollte sie den Kopf unter den Stuhl stecken, sie brach sich mit einem Knacken die Kiefer aus und legte sie in die bereitgehaltene Schale.
"Ihr braucht eure Zähne zum Essen, ich meine nur zum Sprechen. Kauen tue ich mit dem Gaumen!"
So heulte sie, mit plötzlich dumpf und uralt gewordener Stimme, angestrengt hinaus in die Galerie, deren edle Maße den feinen Reden bedächtig wandelnder Geistmenschen erbaut waren.
Der Kardinal unterhielt die Herzogin von Münzen und Kameen. Er zeigte ihr in Kasten, die er herbeitragen ließ, eine Abteilung der seinigen.
"Ich habe niemals erfahren, woher diese da stammt. Man erkennt auf einer Seite eine Weintraube und auf der andern unter den Buchstaben Iota und Sigma eine Amphora."
Sie rief überrascht:
"Die kenne ich ja! Sie ist von Lissa, meiner schönen Insel. Ich schreibe dem Bischof; Sie werden mir erlauben, Eminenz, Ihnen mehr von diesen Dingen anzubieten."
"Können Sie das denn noch?" fragte die Cucuru. "Ihre Länder sind Ihnen ja weggenommen."
"Sie haben recht, ich dachte nicht mehr daran."
Sie musste sich besinnen.
"Nun, der Bischof wird mir die Münze aus Gefälligkeit schicken," meinte sie lächelnd.
"Nein, nein, lassen Sie das lieber!"
Die Greisin war unzufrieden. Sie nahm ihr Gebiss wieder an sich und sprach ohne Mummeln.
"Freund Anton gibt sich viel zu viel mit solchen Dummheiten ab, bestärken Sie ihn nicht darin! Er sinnt nur darauf, sein Geld wegzuwerfen, und nichts hat er übrig für tatkräftige Unternehmungen, wobei Familien reich werden. Haben wir Geld, so haben wir Verpflichtungen!"
Der Kardinal wandte leise ein:
"Alles zu seiner Zeit, liebe Freundin."
Er achtete nicht weiter auf die alte Dame, die sich bei Monsignor Tamburini eine Bestätigung ihrer Ansicht holte. Er hauchte auf einen geschnittenen Stein und glitt mit zärtlichem Finger darüber hin. Sie schrie höhnisch:
"Wie er putzt! Wie er verliebt ist in den Firlefanz! Freund Anton, Ihr wart immer nur ein Frauchen!"
Tamburini machte sich von neuem an Lilian Cucuru heran:
"Singen Sie doch etwas," sagte er, und unter dem süßen Schleim, worin er seine Aufforderung einwickelte, grollte etwas Plumpes, wie die Drohung eines Herrn und Besitzers. Sie wand sich, ohne ihn anzusehen. Ihre Mutter rief scharf:
"Du hörst doch, Lilian, man bittet dich zu singen. Wozu bekommst du die teuren Stunden?"
Das Mädchen blickte hilflos auf die Herzogin. Diese fragte:
"Wollen Sie mir eine Freude machen, Prinzessin Lilian?"
Sie erhob sich sofort und ging langsam die