Gegendiagnose II. Группа авторовЧитать онлайн книгу.
Entweder ich mache keine Therapie und versuche irgendwie so weiterzumachen oder ich würde mich durchlügen und -mogeln.
Es würde mir vermutlich ganz gut helfen, mich mit einer außenstehenden professionellen Person auszutauschen, aber wie soll mir das helfen, wenn ich nicht ehrlich sein darf?
Ich kann nicht entspannt über mein Leben reden, weil ganz viele Dinge nicht passen. Ich würde permanent in mir die Angst spüren, dass ich mich verquatsche. Unter diesem Druck kann ich das nicht.
Diese Person kann mir eine Tür öffnen, um vielleicht irgendwann eine Haarepilation durch die Krankenkasse finanziert zu bekommen. Diese Person bewacht eine Tür zu einem besseren Gefühl mit mir selbst. Sie reagiert auf Codes, die ich nur teilweise kenne. Ich bin von ihr und ihren Urteilen abhängig.
Wie kann ich für nicht-binär-Sein kämpfen, Menschen in Workshops sensibilisieren und empowern und gleichzeitig bei anderen Personen, die standardbinäre Geschichte erzählen? Und somit den einen Trans*weg, wie über trans* Personen gedacht und geredet wird, weiter zementieren? Dabei zieht es sich in meinem Bauch zusammen.
Es ist ein Dilemma. Manchmal tendiere ich in die eine Richtung, manchmal in die andere. Es gibt Tage, da fühle ich mich mit mir ganz gut und andere, an denen ich alles ändern möchte und es nicht mehr aushalte.
Zum Ende der probatorischen Sitzungen vereinbaren wir Therapieziele. An erster Stelle steht das ›Störungsverständnis‹, dahinter kommt als zweitwichtigstes Ziel, die ›Vorbereitung und Begleitung von geschlechtsangleichenden Maßnahmen‹. Laut ihrer Aussage ist das wichtig für die Krankenkasse und eine Therapie für trans* Personen wird angeblich nur bewilligt, wenn Fragen rund um eine körperliche Transition mit hoher Priorität behandelt werden. Für mich ist es aktuell eine relevante Frage, ob ich demnächst eine Hormontherapie beginnen, also Testo_steron nehmen möchte. Immer wieder habe ich den (schwankenden) Wunsch nach körperlicher Veränderung, um in dieser Gesellschaft weniger als ›Frau‹ eingelesen zu werde.
Dennoch ist der Wunsch nach Testo nicht der einzige Grund, warum ich eine Psychotherapie beginne. Die Entscheidung, offen mit meinem Trans*sein umzugehen, warf mein Leben durcheinander. Bezugspersonen brachen weg. Ich gab mein Studium auf und entschied ziemlich schnell, nach Berlin umzuziehen. Viele Veränderungen in kurzer Zeit. Ich wünsche mir Unterstützung, um damit umzugehen. Ich wünsche mir Unterstützung, Respekt und Annahme, weil mir das in dieser Gesellschaft so oft verweigert wird.
Bei der Antragsstellung wird mir eine Diagnose verpasst. F 64.0: Transsexualismus. Ein Begriff, der sich so weit weg anfühlt, dass er beinahe lustig ist. Würde ich im Alltag nicht einfach lachen, wenn mich eine andere Person als ›transsexuell‹ bezeichnen würde? Der Begriff ist so alt, dass er in meinem Ohren so lächerlich klingt wie ein Song aus den 80ern. Der Begriff ist so alt, dass in ihm so viel Gewalt, Trans*feindlichkeit, Stigmatisierung und Unterdrückung steckt. Nein, ich würde auch nicht im Alltag lachen, wenn mich eine andere Person als ›transsexuell‹ bezeichnet. Der Begriff ist und bleibt für mich eine pathologisierende psychiatrische Fremdbezeichnung, die ich mir nicht aneignen kann und möchte. Und wenn ich mich darüber lustig mache, dann ist das meine vorübergehende, machtlose Umgangsstrategie um mit diesem medizinischpsychotherapeutischen Apparat klarzukommen.
Es überschreitet meine Grenze, dieses Wort zugeschrieben zu bekommen. Vor allem von einer Person, die in diesem System die Definitionsmacht hat. Ich werde zum ›Kranken‹ und ›Anderen‹ gemacht, damit ich Anspruch auf Therapie habe. Es reicht nicht zu sagen: dieses System ist so verdammt anstrengend, zermürbend, belastend und schmerzhaft für Queers und alle weiteren Personen, die sich jenseits von gesellschaftlichen Normen bewegen und täglich Diskriminierung erfahren. Es reicht nicht zu sagen: wir wollen diesen Menschen einen Raum bieten. Einen Raum, wo all die Schmerzen durch die lebenslange, strukturelle Diskriminierung endlich gehört, angenommen und umsorgt werden. Mein Trans*sein ist, war und wird nie das Problem sein, warum ich eine Therapie beginne. Mein Problem ist die Trans*feindlichkeit in diesem System, die ich täglich erfahre. Mein Anliegen ist es, die erfahrenen Verletzungen von Trans*feindlichkeit zu heilen und widerständiger für noch kommende Erfahrungen zu werden. Das ist natürlich kein Therapieziel, das wir gegenüber der Krankenkasse formulieren können. Wieviel Unterstützung kann mir eine Therapie anbieten, die strukturelle Formen von Diskriminierung nicht mitdenken kann und die mich stattdessen pathologisiert?
Einige Probleme und das Niedergeschlagen-Sein, das ich oft spüre, sind auf mein Trans*sein zurückzuführen. Die heteronormative und cisnormative17 Gesellschaft macht mir zu schaffen. Die ganzen kleinen Stiche, die mir jeden Tag zu verstehen geben, dass ich anders bin. Das Versteckspiel in gefährlichen Situationen, z.B. wenn ich in der Männersammelumkleide bin, den Blick auf den Boden gerichtet halte und hoffe, dass meine lackierten Fingernägel nicht auffallen. Währenddessen konzentriere ich mich darauf so schnell wie möglich alles in den Spind zu schmeißen und dann schnell hinauszuhechten. Ich bin dann schon nach dem Umziehen von der ganzen Angst, die in mir aufsteigt, gut aufgewärmt.
Nach dem Training zurück in der Umkleide sprühe ich mich fast mit meinem süßlich riechenden Deo ein, welches ich so sehr mag, kann mich aber gerade noch zurückhalten. Dann lache ich in mich rein und freue mich traurig darüber, dass meine nicht-binäre Super-Agent_innen-Identität nicht aufgeflogen ist und ich weiter sicher in der Unsichtbarkeit bin. Ich komme mir so absurd und verdreht vor und bin erleichtert, als ich auf meinem Fahrrad nach Hause sitze.
In manchen Momenten frage ich mich, was für eine Person ich in einer Gesellschaft geworden wäre, in der queer sein gefeiert wird. Hätte ich mich auch so oft verunsichert oder unwohl gefühlt? Hätte ich mich häufiger als zugehörig zu Gruppen wahrgenommen und weniger diese diffuse Angst gehabt, als Nicht-Frau oder Nicht-Mädchen aufzufliegen? Hätte ich mich als kleiner Mensch öfter getraut, auf andere kleine Menschen zuzugehen und Freund_innenschaften zu knüpfen? Wäre meine Angst ›vergessen zu werden‹ heute genauso groß, wenn mich mehr Menschen in meiner queeren Geschlechtsidentität gesehen hätten?
In einer Sitzung, in der wir über mein Trans*sein sprechen, hakt die Therapeutin nach, woher ich denn gewusst habe, dass ich trans* bin. Am liebsten hätte ich einfach gesagt, dass ich es weiß und dass es vollkommen ausreicht, wenn ich das so sage. Aber die Regeln sind anders und ich unterwerfe mich dem Rechtfertigungszwang. Ich erzähle von dem Unwohlsein in meiner ersten und einzigen Hetero-Beziehung. Es war mir so unangenehm, die Cis-Frauen Rolle in dieser Beziehung auszufüllen und durch Blicke immer wieder darauf reduziert zu werden. Ein Schlüsselmoment war ein Spaziergang mit jener Beziehungsperson und meinem Vater. An jenem Tag trug ich Ohrringe, einen roten, knielangen Cord-Rock, ein schreiend buntes Oberteil und Sandalen mit leichtem Absatz. Mein langes Haar hatte ich zu einem Pferdeschwanz gebunden. Während wir spazierten, spürte ich plötzlich eine so große Distanz zu mir selbst. Ich selbst war unsichtbar. Stattdessen hätte ich genauso gut ein_e Schauspieler_in auf der Bühne sein können, die hier die Rolle der ›Tochter‹, der ›Freundin‹, der ›Cis-Frau‹ übernimmt. Ich war ein buntes, schmuckes Paradiesvögelchen in einer Drag-Performance, mit der ich mich selbst nicht wohlfühlte.
Ich vertraue der Therapeutin mein Unwohlsein und diese Erinnerung an. Und ihre Reaktion: »Wer fühlt sich schon wohl als Cis-Frau?« Mir fällt keine schlagfertige Antwort ein. Heute bin ich noch immer über diesen Kommentar wütend. Natürlich gibt es Personen, die sich als Cis-Frauen wohlfühlen. Und natürlich gibt es auch solche, die es nicht tun, die sexistische Rollenerwartungen einengen und die Zuschreibungen belasten. Aber diese Tatsache macht mich nicht weniger trans* und hat mit meiner Geschichte wenig zu tun.
Ein weiterer Kommentar in dieser Sitzung: »Und vielleicht möchten Sie dann irgendwann Testo nehmen und stellen fest, dass sie gar nicht so queer sind.« Ich habe keine Verteidigung für diese trans*feindlichen Aussagen im therapeutischen Setting. Jedes Mal erwischt mich die Therapeutin auf kaltem Fuß. Oft merke ich erst im Nachhinein, dass hier erneut mein Trans*sein und meine Queerness in Frage gestellt wurden. Ich bin dann tagelang aufgewühlt und suche mir emotionale Unterstützung bei Freund_innen und Beziehungspersonen. In diesen Gesprächen kann ich stückweise aufdecken, warum die Aussagen der Therapeutin mich belasten und verfolgen.
Ich würde den Aussagen der Therapeutin gerne kraftvolle Gegenfragen entgegensetzen: »Was