Gegendiagnose II. Группа авторовЧитать онлайн книгу.
mit all meinen bisherigen Erfahrungen, annehmen könnte.
Und ich dachte an die Setzkästen, erinnerte mich an meine Sorgfalt und die Begeisterung, mit der ich sammelte und anordnete, die kleinen Objekte pflegte und mit ihnen in Beziehung blieb, auch wenn sie schon länger bei mir waren; wenn die Steine ihren Glanz verloren oder von den getrockneten Blättern Teile abbrachen. Ich habe nie eines der Objekte aussortiert. Aber plötzlich habe ich keinen Setzkasten mehr, die gesammelten Dinge sind nicht mehr bei mir, einzelne habe ich über die Jahre behalten, andere müssen wohl verloren gegangen sein.
Fallen lassen
Küche
-If there’s nothing missing in my life, then why do these tears come at night?
-Ich weiß auch nicht. Ich mache ja alles auch mit, weißt du? Ich gehe auf Parties und ich mache mir die Haare und studiere tagsüber. Ich gehe einkaufen und koche. Wenn es nur jemanden gäbe, der alles von mir sehen könnte. Diesen Teil von mir, der nach Hause kommt, die Einkaufstaschen abstellt und weint. Zwei Stunden. Immer wieder, einen ganzen Tag lang. Und dann wieder aufsteht und Essen macht. Wenn es jemanden gäbe, um das zu sehen. Dann würde es vielleicht realer werden, diese Teile.
-Warst du schon beim Arzt?
-Nein, aber ich überlege jetzt schon öfters, hinzugehen. Vielleicht kann der mir was verschreiben. Vielleicht erklärt der mir, was los ist.
Arztpraxis
-Sie können also nicht schlafen?
-Manchmal nicht. Mein Kopf dreht einfach immer weiter.
-Brodelt es in Ihnen? Würden Sie sagen, Sie sind unruhig? Wühlt da etwas?
-Ja, da wühlt was. Ich kann Ihnen nur leider nicht genau sagen, was. Wissen Sie, manchmal fällt mir die Gabel aus der Hand, und ich hasse mich so sehr dafür, dass ich es nicht mehr aushalte, ich selbst zu sein. Manchmal gehe ich ganz geschäftig durch den Tag und nichts passiert, alles läuft so, wie ich mir das vorgestellt habe, und dann wieder bricht es herein, dieses Unvorhergesehene, die Gedanken, die ich nicht stoppen kann, das Gefühl, dass ich mich auflöse. Letztens hatte ich einen Weinkrampf, ich saß auf dem Bett, habe zum Fenster geschaut und konnte nicht mehr feststellen, ob ich hier aufhöre, wo ich sitze und mich festhalte, oder ob ich vielleicht bis zum Fenster reiche. Ob das Fenster ein Teil von mir ist. Wie kann ich das feststellen? Vor zwei Monaten, da hat mir jemand auf der Straße an den Hintern gefasst. Ich habe mich umgedreht und habe gesagt: ich möchte das nicht. Der ist mir gefolgt, an der Ampel musste ich stehenbleiben, und wieder war da die Hand an meinem Po. Ich habe mich umgedreht und ihm eine Ohrfeige gegeben. Er hat zurückgeschlagen. Mit voller Wucht. Ich habe zu schreien begonnen, ich war so fassungslos. Ich konnte kaum stehen, weil ich gezittert habe. Vor Wut und Schmerz. Er hat auch geschrieen. Er hat geschrieen, dass ich verrückt bin. Dass ich schreie wie verrückt. Er hat sich umgedreht und ist gegangen.
Wie soll ich denn feststellen, wo ich aufhöre und wo ich beginne? Wie soll ich denn herausfinden, wie sich mein Körper anfühlt? Es ist so viel leichter auszuchecken. Es ist so viel leichter, auf die Schmerzen nicht mehr zu reagieren. Schicht um Schicht haben sie sie aufgestapelt, ich will ja auch nicht mehr fühlen. Ich stelle mir das schön vor, nichts mehr zu fühlen.
-Ich verschreibe Ihnen was. Und ich gebe Ihnen eine Liste mit Therapeuten. Sie suchen sich einen aus. Medikamente alleine helfen nicht.
Küche
-Und dann hat er mir den Befund in die Hand gedrückt und da stand »mittelschwere Depression«. Ich frage mich, wie er das festgestellt hat. Ich bin froh, dass ich keine »leichte Depression« habe. »Mittelschwer« klingt schon ernster. »Schwer« wäre noch besser. Dann könnte ich.. dann hätte ich kein schlechtes Gewissen mehr, mich ins Bett zu legen und nichts mehr zu tun.
-We never thought that we get caught up, stuck in the teenage waste.
-Aber echt. Weißt du, meine Wohnung sieht jetzt mehr nach Jugendzimmer aus als damals. Ich wusste, ich durfte nicht auseinanderfallen. Ich hätte auch nicht gewusst, wie. Alles war so eng. Auch das Ritzen, darüber haben wir Scherze gemacht, als wir in der Pause Cola kaufen waren. Es gab keinen Ort, an den wir hätten gehen können.
-Dann hast du die Zeit vielleicht verpasst, um es dir mal richtig schlecht gehen zu lassen. Jetzt bist du erwachsen. Ich dachte, Erwachsene kommen klar. Meinst du, Erwachsene kommen gar nicht klar?
-Wenn alle Leute das so machen, dass sie erst zu weinen beginnen, wenn die Wohnungstür hinter ihnen zugefallen ist, dann kann man das ja nicht sagen.
-Hast du mit deiner Mutter gesprochen?
-Ja, sie hat mich gefragt, ob ich mein Medikament regelmäßig nehme. Als ich das letzte Mal zu Besuch war, hat sie mir Geld gegeben, damit ich mir neue Sachen zum Anziehen kaufe. Ich habe ganz schön viel eingekauft. Ich dachte, ich kann ja wenigstens gut aussehen, wenn ich schon depressiv bin. Danach war ich irgendwie leer. Ich habe geweint, als ich im Zug zurück saß.
Schlafzimmer
-Hallo?
-Hey. Sorry dass ich anrufe. Ich kann nicht schlafen. Du hast bestimmt geschlafen.
-Ja. Was ist denn los bei dir?
-Ich weiß nicht. Ich kann nicht schlafen. Ich gehe in der Nacht verloren. Ich habe Angst, dass ich nicht wieder ich bin, wenn ich einschlafe. Dass ich aufwache und ein wichtiger Teil von mir verloren gegangen ist. Ich spüre mich nicht mehr. Ich würde dir auch noch gerne erzählen, dass mein Schlafzimmer alles ist, was es noch gibt, und dass ich mich in dem Zimmer verirrt habe, auch wenn es nur eines ist, mit 15 Quadratmetern. Ich würde dir sagen, dass ich nicht mehr weiß, was hier drin zu mir gehört. Ich würde dir erzählen, dass ich darauf warte, dass die Antidepressiva zu wirken beginnen, denn der Arzt hat gesagt, dann kann ich schlafen. Ich versuche an Fight Club zu denken, denn die Hauptfigur da kann ja auch nicht schlafen. Daraus entsteht Tyler Durden und daraus entsteht diese revolutionäre Truppe, das ist doch was Gutes. Den Film haben wir zusammen geschaut, und du hast meine Haare mit einer Häkelnadel gehäkelt, weißt du noch? Wir waren 15. Ich war so verliebt in dich und ich glaube, du wusstest es und hast darum getrauert, dass du nicht in mich verliebt warst, nie.
-Das klingt, als wärst du traurig. Ich bin ganz müde, ich weiß nicht, was ich noch sagen soll. Vielleicht kannst du versuchen zu schlafen. Wir sehen uns bald, okay?
-Ja. Sicher.
Straße
-Klopf klopf. Die Welt ist zurück!
-Und was soll ich jetzt machen?
-Setz einen Fuß vor den anderen. Der Gehweg ist stabil, da schwankt nichts.
-Das bedeutet, ich schwanke. Bist du dir sicher mit ›einen Fuß vor den anderen‹? Schau mal, der Baum schwankt ja auch.
-Komm, du hast gerade zehn Stunden geschlafen. Vielleicht ist das einfach so, wenn die Antidepressiva wirken.
-Ich habe gestern… ich habe gestern… ich habe mit meiner Mutter telefoniert und sie sagte, eine Bekannte hat ihr erzählt, dass ist wie in Watte gepackt sein. Ganz weich eingepackt. Nichts dringt so richtig durch. Ich frage mich, ob das bei mir auch so… und jetzt? Ich stehe unter dem schwankenden Baum. Ich weiß nicht mehr, was ich hier wollte.
-Du wolltest zu Penny. Du hast gesagt, einkaufen wäre gut und essen wäre dann auch gut. Irgendwas schnelles, was fertiges, dann legst du dich wieder hin. Du hast dein Handy auch gar nicht eingeschalten. Die Rollos aber hast du zumindest hochgezogen und mal gelüftet. Das Wäsche waschen hast du übrigens auf morgen verschoben. Ich erinnere dich dann daran.
-Ich weiß nicht, ich glaube, die Straße schlägt Wellen. Nicht so große, nur ganz leicht. Warum soll ich das Handy auch einschalten? Niemand ruft an.
-Komm, erst mal einkaufen. Dann hast du den Tag auch schon fast geschafft.
-Ich schmecke nichts, es ist egal, was ich kaufe.
-Einen Fuß vor