Kugelhagel auf Sylt: Ein Kubinke Krimi. Alfred BekkerЧитать онлайн книгу.
Sie die Verzögerung! Normalerweise würde ich ein Meeting vorher absagen oder einen Termin verlegen, wenn ich anderweitig gebunden bin. Aber in diesem Fall liegt die Sache etwas anders. Die kurzfristig angesetzten Telefonate haben mit dem Fall zu tun, dessen Aufklärung ich Ihnen gleich übertragen werde.”
„Wir sind ganz Ohr”, sagte ich, nachdem wir uns gesetzt haben.
„Sagt Ihnen der Name Raimund Engelmeyer etwas?”, fragte Kriminaldirektor Hoch.
„Wir haben auf der Fahrt in den Radionachrichten von seiner Ermordung erfahren”, sagte Rudi.
„Engelmeyer wurde gestern Nachmittag von einem bisher unbekannten Täter im Garten seiner Villa erschossen”, berichtete Kriminaldirektor Hoch. „Kurz bevor er das Manuskript seines geplanten Enthüllungsbuchs über die Machenschaften der Polizei beim Verlag abgeben wollte.”
„Ich gehe davon aus, dass es eine Kopie davon gibt”, sagte ich.
„Engelmeyers Laptop ist verschwunden. Niemand weiß, wo das Manuskript ist, geschweige denn, wo Engelmeyer seine Recherche-Daten aufbewahrt hat, was noch wichtiger sein dürfte. Aus den bisherigen öffentlichen Verlautbarungen ist bekannt, dass sich Engelmeyers Buch mit zahlreichen Fällen von Schlamperei, Amtsmissbrauch und Korruption bei unseren Kollegen in beschäftigen sollte. Unsere Pressesprecher hier in der Zentrale versuchen sich schon seit längerem auf den Tag X vorzubereiten, wenn das Buch im Handel ist. Wann das der Fall sein wird, steht nun natürlich in den Sternen.”
Dies war natürlich ein klassischer Fall für den Einsatz von BKA-Kriminalinspektoren wie Rudi und mich. Schließlich gab es innerhalb des LKA-Büros in Kiel mit Sicherheit eine ganze Reihe von Personen, die selbst unter Umständen ein Motiv gehabt hätten, Engelmeyer umzubringen, falls nur ein Bruchteil der Anschuldigungen in dem Ausmaß zutraf, wie Engelmeyer das in seinen Werbeauftritten in den Medien behauptet hatte. Ein paar Karrieren, die bis in unsere Reihen reichen könnten, wären sicherlich mit dem Erscheinungstag des Buches beendet gewesen. Und gegenüber der Öffentlichkeit wäre es kaum vertretbar gewesen, wenn man die Ermittlungen den Akteuren vor Ort überlassen hätte.
„Engelmeyer hat sich tatsächlich sehr viele Feinde gemacht”, sagte Kriminaldirektor Hoch. „Und zwar nicht nur bei unseren Kollegen vom BKA und LKA, sondern wahrscheinlich noch viel mehr bei verschiedenen einflussreichen Personen innerhalb des organisierten Verbrechens. Schließlich hat er ja in der Vergangenheit immer wieder die Verflechtungen krimineller Organisationen aufgedeckt - und das kann denen kaum gefallen haben.”
„Wie weit können wir mit dem LKA vor Ort zusammenarbeiten, ohne eventuell die Unabhängigkeit unserer eigenen Ermittlungen zu gefährden?”, fragte ich.
„Ein heikler Punkt”, gab Kriminaldirektor Hoch zu. „Ich will es mal so zusammenfassen: Das überlasse ich ganz Ihrer Sensibilität. Ich vertraue Ihnen da voll und ganz.”
„Danke”, sagte Rudi.
„Ich will Ihnen aber auch sehr deutlich vor Augen halten, was passieren kann, wenn Sie sich dabei verschätzen sollten: Dann fliegt uns nämlich womöglich ganz am Ende der Fall um die Ohren. Spätestens, wenn es zu einem Prozess kommt, wird die Gegenseite eine Batterie von Anwälten auffahren, die nichts unversucht lassen werden, ein Haar in der Suppe zu finden. Und wenn auch nur der Hauch des Anscheins erweckt wird, dass Sie bei Ihren Ermittlungen eine übergroße Rücksicht auf die Kollegen, die auf Sylt tätig sind, genommen haben, dann wird das auf das BKA insgesamt zurückfallen.”
„Dessen sind wir uns bewusst”, versuchte ich.
„Das Problem für Sie ist: Niemand weiß bis jetzt, was Raimund Engelmeyer wirklich in seinem virtuellen Recherche-Giftschrank aufbewahrt hat und wem sein Buch hätte schaden können”, erklärte Kriminaldirektor Hoch. „Und gerade das lässt natürlich die Spekulationen nur so ins Kraut schießen.”
„Was ist mit dem Verlag?”, fragte ich. „Die müssten doch so ein Buch normalerweise von ihren Anwälten gegenchecken lassen, um am Ende teure Verleumdungsklagen zu verhindern.”
„Ja, das tun die auch. Ich habe vorhin mit dem Verleger persönlich gesprochen. Man weiß dort angeblich von nichts. Die rechtliche Prüfung hätte unmittelbar nach Eintreffen der MS-Datei begonnen. Übrigens sollte ein Vorabdruck in einem großen Nachrichtenmagazin erscheinen. Mit dem Chefredakteur habe ich in einer halben Stunde eine Telefonkonferenz, an der auch noch ein paar andere wichtige Leute teilnehmen werden. Und Sie können darauf wetten, dass ich vermutlich einer der wenigen Teilnehmer an dieser Konferenz sein werde, die kein Jurastudium hinter sich haben. Übrigens habe ich heute Morgen auch schon mit dem Dienststellenleiter Richard Karaman gesprochen. Er wird alles tun, um Ihre Ermittlungen zu unterstützen und ist sehr froh, dass Sie in Kürze eintreffen werden.”
Richard Karaman war der Chef des LKA in Kiel in Kiel. Wir hatten schon einmal in einem anderen Fall mit ihm zusammengearbeitet. Und auch da war es um Unregelmäßigkeiten im Rahmen von Ermittlungen gegangen.
„Das heißt, Karaman wird nichts tun, um seine Leute eventuell zu decken”, stellte ich fest.
Kriminaldirektor Hoch nickte.
„Ich denke, dass wir uns auf ihn verlassen können.” Meine nächste Frage ahnte unser Chef voraus und fuhr daher fort: „Falls Sie allerdings auch nur den geringsten Verdacht haben sollten, dass Sie eigenes Personal für die kriminaltechnischen oder gerichtsmedizinischen Untersuchungen benötigen, dann können Sie jederzeit unser Ermittlungsteam Erkennungsdienst in Quardenburg nach Sylt beordern. Dieser Fall hat oberste Prioritäten, und gegebenenfalls müssen die Kollegen aus Quardenburg dann andere Dinge erst einmal zurückstellen.”
Ich nickte.
„Das ist gut zu wissen”, sagte ich.
4
Am Nachmittag saßen wir in einem für uns bereitgestellten Flieger nach Sylt.
Inzwischen wussten wir zumindest, dass es wohl so schnell keine Chance gab, an Engelmeyers Manuskript und vor allem an das zugrunde liegende Recherchematerial heranzukommen. Kriminaldirektor Hochs Telefonkonferenz hatte dazu ein paar sehr ernüchternde Erkenntnisse ergeben. Demnach hatte tatsächlich weder bei seinem Buchverlag noch in der Redaktion des Nachrichtenmagazins, mit dem er zusammenarbeitete, irgendeine Ahnung davon, wo sich dieses Material befinden mochte. Angeblich hatte Engelmeyer einen Cloudspeicher in einem sicheren Server benutzt, um seine Daten aufzubewahren. Und angeblich war dieser Speicher extrem gut gesichert. Aber letztlich war das alles nur Hörensagen, basierend auf Stellungnahmen, die Engelmeyer gegenüber seinen jeweiligen Geschäftspartnern angegeben hatte.
Was davon tatsächlich der Wahrheit entsprach und was nur Gerede war, das vielleicht auch den Sinn hatte, Verwirrung zu stiften oder dem Verlag plausibel zu machen, weshalb man erst im letztmöglichen Moment das Manuskript liefern konnte, würden wir selbst herausfinden müssen.
„Wenn Engelmeyer so offen über seine Sicherheitsmaßnahmen gesprochen hat, dann verstehe ich nicht, wieso der Täter den Laptop gestohlen hat”, meinte Rudi. „Er musste doch wissen, dass man damit nichts anfangen kann.”
„Vorausgesetzt, er hat auf dem Laptop nicht doch irgendetwas gespeichert”, gab ich zu bedenken.
„Dann wäre Engelmeyer extrem unvorsichtig gewesen.”
„Kann doch sein,