Krampenfieber – Im Fangarm der Pimperbrille. Tobie SchmackЧитать онлайн книгу.
1-1-2 anrufen, keine Frage. Nein, erst Tacko, danach die Bullen. Mit drei kräftigen Hieben schlage ich mir mit der flachen Hand in den Nacken in der Hoffnung, aus einem ganz bekloppten Traum aufzuwachen. Nein, ich sitze nicht in einer Traumebene fest. Das hier ist vollkommen real und verfickt noch mal richtig scheiße. Nachdem ich mit voller Wucht die Fingerknöchel meiner Rechten an die massive Mittelwand meiner Null-Komma-Nichts-Galerie geschlagen habe, krame ich nach meinem Handy, das sich alle Mühe zu geben scheint, in meiner Tasche unentdeckt zu bleiben. Schwarze Gehäuseschale in schwarzer Tasche. Wer denkt sich sowas aus? Mode! Gut, dann eben auskippen.
»Macht meene bessere Häfte och immer so, Herr Thomas«, bestätigt mir das Hausmeisterchen engagiert und stochert mit seinen zugekniffenen faltigen Guckerchen durch das bunt bestellte Beet an Fundstücken. »Was issn des? Va-gi-nal-pilz-cre-me?«
»Wie? Vagi... was?«
Na klar! Reviermarkieren 2.0 – danke, Delia! Ich probiere es erst gar nicht zu erklären, was einer wie Meier, der sich seine Hanni Kittelschürze wohl noch vor Erfindung des Faustkeils direkt aus der Bärenhöhle gerissen haben würde, mit der Tube anstellen könnte. Und das muss ich auch nicht, denn ich habe gefunden, wonach ich noch eben völlig entnervt gesucht habe. Blitzschnell fahre ich übers Telefon.
»Tacko, komm schon, geh ran! Bitte!«
Durch die weit offen stehende Eingangstür vernehme ich einen prolligen Klingelton. Die Schritte sind bestimmt und in unangenehm gut gelauntem Grundrhythmus. Noch bevor ich auch nur einen Körperteil erahnen kann, baut sich vor mir ein fantastisch durchgestylter Typ in hautenger Jeans, Kapuzenjacke und voll verspiegelter Magnum-Brille auf. Unbelievable! It’s him! Tacko!
»Na Alter! Geil, oder?«
Achtung, mein Lieber, das wird doch nicht wieder so eine Film-Quiz-Scheiße, bei der ich am Zitat den Titel reißen soll.
»Geil!?«
Geil ist jetzt ja wohl überhaupt nicht das, was ich als ersten Kommentar erwartet hätte, aber in Anbetracht der aktuellen Leere in meinem Kopf und in Kenntnis seiner exzessiv gelebten Selbstliebe ist mir klar, dass er mit »geil« wohl nur mal wieder sich selbst hypen mochte.
»Japp, siehst gut aus, Tacko! Na ja, wie immer eben, ne!«
Sein postwendend abgeschicktes, überzogen verlachtes »Du aber auch, Schmucker! Du auch!« als willkommen heißendes Wiedersehens-Hallo nehme ich sofort dankbar an. Etwas Gutes, das die nunmehr geräumige Wohnung mit ein wenig Gefühl auffüllt. Hey, ich nehm jetzt echt, was ich kriegen kann, und wir umarmen uns herzlich. Die Schläge auf den Rücken sind wie Balsam. Der feste Männergriff von meinem besten Kumpel wird von meiner Verwirrung aufgesaugt wie Penicillin von einem Schwerstkranken. Tacko nimmt die Brille commerciallike mit dramatischem Seitengriff von der einen Schläfe zur anderen ab und lässt diesen »Ich würd mich am liebsten selbst bespringen«-Blick auf mich niederregnen.
»Hab doch gesagt, auf mich kannste dich verlassen. Sauber! Echt gründlich! Ach hier, der neue IKEA!«
Ich muss mich kurz schütteln und versacke in einem komplett wirren Gedankensalat. Was? IKEA? Was soll ich denn mit ’nem Katalog? Irgendwelche bis dato ungenutzten Hirnregionen machen plötzlich einen auf Teambildung und kotzen lustig kleinere Erkenntnisbrocken aus, die sich über mir zu einer gewaltigen, übel stinkenden Gewissheitswolke zusammenpappen.
»Nee nicht, oder!«
Der will mir doch …! Moment, so lange war ich nun nicht weg, dass hier ein fetter Aprilscherz in der Luft liegt. Wir haben Sommer!
Mit einem nüchternen Handschlag haut Tacko mir einen knittrigen Hunni in die Linke. »Hier, die Auslöse, war weniger wert, als ich dachte, aber du hättest das ja eh alles weggekloppt.«
Völlig bedeppert betrachte ich den Schein, als wäre er mein lang ersehntes Begrüßungsgeld. Ich weiß nicht, ob ich mich nun hier wie ein naiver Ossi nach der Maueröffnung freuen oder eher wie ein von Schulden zerfressener Grieche komplett austicken soll.
»Tacko, du bist doch mein Freund …?«, frage ich mit preisverdächtiger Zurückhaltung, dabei aber überdeutlich artikuliert, als wäre er gerade im Integrationskurs »Deutsch für Anfänger« – Basislevel, versteht sich.
»Auf jeden, Henry. Auf jeden!«
»Gut! Dann … schauen wir uns doch mal hier um? Und was fällt uns da ein klitzekleines bisschen auf, was nicht so ganz normal sein könnte?«
»Ähm, na ja, wenn du so fragst. Ich hätte als dein Freund ja nix gesagt, aber … du riechst aus’m Schritt. Musst ja ordentlich gedödelt haben, wenn die Dusche das Einzige ist, was du nicht benutzt hast. Könnte wetten, Delia läuft nur noch Gangnam Style, was?«
Keine Ahnung, ab wann Blut kocht, aber über diesen Punkt bin ich mehr als hinaus.
»JA, MIR STINKT’S! UND ICH HAB SEIT MONATEN NICHTS ›GEDÖDELT‹, HERR TACKO! Was, verdammte Scheiße, ist hier los? Du solltest Blumen gießen? Meine bekloppten Blumen gießen! BLUMEN … verstehste! Und ›gießen‹ … nur ›gießen‹! Nicht umtopfen, nicht beschneiden, nicht besudeln und schon gar nicht weghauen … wie alles andere hier. WO IST MEINE WOHNUNG? Wieso sieht’s hier aus, als hätte ich im Wahn die ganze Hütte entkernt?«
»Na, weil du das so wolltest. Hey, wenn einer extra aus dem Urlaub den Obama macht, dann schmeiß ich mich rein.« Mit einem in Dessau nur vom Zaziki-Tempel an den Sieben Säulen bekannten Service-Grienen setzt er nach: »Aber nur für meine guten Freunde.«
»O-B-A-M-A?«
»Na hier, ›Change is coming‹. Und ich bin dabei. FREEDOM FOR HENRY! Keine Ursache!«
Nein, mir ist jetzt nicht nach Freundschaft feiern und einer lockeren Ouzo-Ziehung mit meinem selbst ernannten Heiland, obwohl hier kein Zweifel besteht, dass TACKOBAMA wie Katrina-Wirbelsturm über meinem bis dato liebevoll eingerichteten Lebensraum gewütet hat. Nennen wir es einfach Schockstarre, aus der ich mich ganz im Sinne von Tackos Gesundheit besser noch nicht lösen sollte.
»Was hab ich! Was? Hör mal, mein Gepäck ist in Amsterdam, ich habe meine Beziehung mit Delia im Bordklo versenkt und nun noch selbst meine Bude blankgezogen? Erklär’s mir, Tacko. Egal wie! Aber erklär’s mir! Und hör auf zu grinsen, als würdest du den Lemuren im Tierpark beim Ficken zuschauen.« Was ich gerade tue, ist kein Schreien mehr, es ist kurz vor dem finalen Klick, ganz nah an der feierlichen Verleihung der goldenen Dauerkarte für den Aufenthalt in Uchtstpringe. Schwester, die Pillen für Herrn Thomas, bitte!
»Wieso? Koffer? Delia? Hey, Henry, ganz locker, ja! Du hast mich angerufen, aus der Karibik. Völlig wirre Kacke! Alles durcheinander.«
Richtig, ich hatte angerufen. Einfach mal Hallo sagen, nur um … na ja, … um Hallo zu sagen.
»Aber was für ein Hallo!«, steigt Tacko energisch begeistert ein. »›Beschissen‹ und ›endlich raus aus dem Mief‹. Das haste gesagt. Ey, komm! Und dann haste was von ›innerer Leere‹ gefaselt oder so. Ja, du wolltest dich jetzt endgültig ›freimachen‹, von allem … irgendwie. Da war auch ›Wohnung‹ dabei. Sei froh, dass ich überhaupt rangegangen bin? Weißte, an wem ich da grad dranhing? Nein, da bin ich mal Kumpel wie Sau und lass die Mädels auf dem Kneipenklo abkühlen, weil Herr Henry sich halt mal auskotzen will. Da musste nicht Danke sagen. So bin ich!«
Als wären wir mitten in einer dieser mit Coolness gestopften Gangster-Rapper-Schmonzetten, bumpert er sich mit geballter Faust auf die aufgepumpte Männerbrust, um mir sein Herz zu Füßen zu legen.
»Da drin, da biste! Ich spür alles. Dein Gesabbel, das klang auch alles irgendwie okay, also, das zwischen dem Knacken und Rauschen. Komm schon, Dicki?«
»Hey, jetzt ist nicht die Stimmung für neue Spitznamen, ja! Provozier mich nicht, Eddi!«
Aus offenkundiger Angst, seinen zweiten, zu seinem Übel verhassten Vornamen nun möglicherweise öfter zu hören, flüchtet er sich in die Fortsetzung seiner Version der Geschichte. »Warum soll ich dir das nicht abkaufen? Pack den Ochsen am Schwanz! Ach übrigens, ich sag mal Glückwunsch, dass du Delia abgeschossen