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Das Tour-Tagebuch des frommen Chaoten. Adrian PlassЧитать онлайн книгу.

Das Tour-Tagebuch des frommen Chaoten - Adrian Plass


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der alten Leutchen, denen wir heute begegnet sind, mich ein bisschen traurig gemacht haben. Gleich jenseits der sorgfältig verschlossenen Eingangstür stießen wir auf eine Dame mit rosigen Wangen, die wohl Ende achtzig, Anfang neunzig sein musste. Unterm Arm hielt sie einen ebenso antik aussehenden Teddybären an sich geklammert.

      »Hallo«, sagte sie in freundlichem, etwas nervösem Tonfall.

      »Ich heiße Elizabeth. Ich warte hier auf meine Mami und meinen Papi. Sie kommen bald, um mich abzuholen.«

      »Oh, das ist aber schön«, sagte Anne. »Aber wollen Sie nicht erst noch beim Tanzen zuschauen, Elizabeth?«

      Wie ein kleines Kind nahm Elizabeth Annes Hand und wir gingen einen langen, breiten Korridor entlang zu einem sonnendurchfluteten, rechteckigen Aufenthaltsraum, in dem zwanzig oder dreißig Heimbewohner auf ringsum an den Wänden aufgestellten Lehnstühlen saßen. An einer Seite des Raums, in der Nähe einer Durchreiche zu einer kleinen Küche, kniete Angels auf dem Boden und hantierte mit einem tragbaren CDSpieler. Als wir hereinkamen, blickte sie auf und sah uns. Sie winkte, wurde ein bisschen rot und lächelte; dann kümmerte sie sich weiter um ihre Musik.

      Wenige Minuten später stand Mrs. Banyon, die Dame, mit der ich telefoniert hatte, auf und klatschte in die Hände, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

      »Nun, meine Damen und Herren«, sagte sie schwungvoll, »heute Nachmittag haben wir etwas ganz Besonderes. Angels Twitten ist hier und wird für uns tanzen – Sie erinnern sich doch alle an Angels, nicht? Sie hat uns schon einmal besucht.« Ihre Frage rief zustimmendes Gemurmel und hier und da ein Lächeln von einigen der betagten Heimbewohner hervor, doch etliche fuhren einfach fort, auf ihrem Stuhl zu schaukeln oder vor sich hin zu starren oder zu schlafen, während ein gebückt gehender Mann, in dessen Gesicht sich tiefe Unmutsfalten eingegraben hatten, einen Ausfall zur Tür machte und dabei mürrisch vor sich hin knötterte, er hasse »dieses blöde Rumgehopse«. Zwei Pfleger geleiteten ihn sanft zurück zu seinem Platz. Sie gingen sehr freundlich mit ihm um, aber ich konnte nicht umhin, Mitleid mit dem alten Mann zu empfinden.

      »Und außerdem«, fuhr Mrs. Banyon fort, »haben wir noch drei weitere Gäste unter uns – Adrian, Anne und Gerald Plass, Freunde von Angels, die wir sehr herzlich hier begrüßen wollen.«

      Wieder Gemurmel, Lächeln und hier und da ein Brummen. Dann war Angels mit ihrer Tanzdarbietung an der Reihe.

      Inzwischen graute mir davor. Ich war richtig sauer auf Anne, weil sie von der Tournee gesprochen hatte, bevor wir Angels überhaupt hatten tanzen sehen. Falls ihr »künstlerischer Ausdruck«, wie ich vermutete und fürchtete, sich als eher gekünstelt und schlecht erweisen sollte, würde es scheußlich peinlich für uns alle werden. Irgendwie mussten wir es dann hinkriegen, nicht mehr von der Tournee zu sprechen, und sie würde natürlich genau wissen, warum nicht, und die Situation würde auf der ganzen Linie angespannt und unangenehm sein. Als die Musik begann und Angels ihre Ausgangsposition in der Mitte des Raums einnahm, war mir das Herz schwer.

      Sie war fantastisch.

      Das erste Musikstück, zu dem sie tanzte, war ein Orchesterstück im Staccato mit einem Chor, dessen vereinte Stimmen die Funktion eines zusätzlichen Musikinstruments zu haben schienen. Das Stück hatte einen drängenden, jagenden Rhythmus und einen leicht hysterischen Unterton, der einen aufregenden, fast gefährlichen Eindruck hinterließ. Angels begann mit langsamen, forschenden Bewegungen, als ob sie umhertastete und nach der Quelle der Musik suchte, wurde dann schneller und bewegte sich nach außen und wieder zurück in die Mitte, als ob sie sich ganz allmählich bewusst würde, dass diese Quelle in ihr selbst war. Jede Bewegung, langsam oder schnell, war so konzentriert und zielgerichtet, dass mir der Atem wegblieb und ich einen fast schmerzhaften Drang verspürte, Anteil zu haben an dem, was mit der Tänzerin geschah. Es war eine Geschichte. Es war voller Intelligenz, voller Kraft und voller Gefühl.

      Keine Ahnung, was in den Köpfen der alten Leute vor sich ging, die ringsum in dem Raum saßen, aber es bestand kein Zweifel, dass die meisten von ihnen zumindest fasziniert und gefesselt waren von dem, was sie sahen und hörten. Auf dem Stuhl neben mir hatte Elizabeth während des ganzen Tanzes reglos gesessen, doch sobald er endete, drehte sie sich inmitten des dünnen Applauses zu mir um und bedeutete mir mit dem Finger, mein Ohr dicht vor ihren Mund zu halten.

      »Mein Papi ist Doktor«, sagte sie, »und er kommt bald nach Hause.«

      Angels bot noch drei weitere Tänze dar, jeder davon ebenso intensiv und faszinierend wie der erste. Ich nehme an, da sie ja wusste, dass wir kommen würden, hatte sie ihre besten Tänze ausgesucht, aber das hätte jeder andere genauso gemacht, ich auch. Als wir uns hinterher an dem Tee und dem Kuchen ergötzten, der durch die Durchreiche serviert wurde, sagten wir ihr, wie großartig wir sie gefunden hatten. Sie wurde wieder rot und machte ein sehr erfreutes Gesicht.

      Nachdem wir allen zum Abschied gewunken hatten, kehrten wir durch den Korridor zurück zur Eingangstür, immer noch begleitet von unserer neuen Freundin und ihrem Teddybären. Als Mrs. Banyon uns die Tür aufhielt und dabei Elizabeth behutsam daran hinderte, mit uns hinauszugehen, schaute die alte Dame hinauf in Annes Gesicht und wiederholte, was sie bei unserer Ankunft zu uns gesagt hatte.

      »Mein Name ist Elizabeth. Ich warte auf meine Mami und meinen Papi. Sie kommen bald und holen mich ab.«

      Anne schaute in das müde alte Gesicht, kreuz und quer durchzogen von feinen Linien wie altes Porzellan, und auf den gebrechlichen Körper, der so leicht und substanzlos war, dass man kaum glauben konnte, dass er noch Leben enthielt.

      »Das wird schön, Elizabeth«, sagte sie, »und Sie haben ganz bestimmt recht. Sie werden sehr bald kommen und Sie abholen.«

      * * *

      Bin enorm erleichtert, dass Angels so eine großartige Tänzerin ist. Anne, Gerald und ich verbrachten den Nachmittag zum Teil damit, darüber zu sprechen, wie sehr ihre Darbietung unsere geplanten Abende bereichern würde.

      »Und noch etwas«, sagte Anne, »das eine oder andere von Zaks Bildern passt hervorragend zu den Tänzen. Ich sehe es schon vor mir! Ich kann es gar nicht erwarten.«

      »Ganz zu schweigen davon, dass Leonard völlig aus dem Häuschen sein wird«, sagte Gerald, »dass er seine Angebetete mitnehmen kann, statt sie zurückzulassen. Die beiden sind total verschossen ineinander, stimmt’s?«

      Fragte Anne, wieso sie so sicher gewesen war, dass wir keine Enttäuschung erleben würden.

      Sie sagte: »Weiß ich nicht genau, nur hatte ich das Gefühl, hinter dem ganzen bedeutungslosen Gerede einem erwachsenen Menschen zu begegnen, als ich Angels kennenlernte. Das Problem ist nur, dass irgendetwas in dem Teil von ihr, der sich mit der Welt auseinandersetzen muss, offenbar durch Dinge, die uns eigentlich nichts angehen, ein bisschen durcheinandergeraten ist. Man muss schon genau hinhören, um heraushören zu können, was für ein Mensch sie im Herzen ist. Als sie mit diesen ganzen Sprüchen anfing, was das Tanzen ihr bedeutet, habe ich gar nicht so sehr auf die Worte gehört, sondern beobachtet, was in ihren Augen vor sich ging.«

      Ich nickte. Sogar mir war so ein gewisses Leuchten in Angels’ Augen aufgefallen, als sie vom Tanzen sprach.

      »Ich denke«, fuhr Anne fort, »die Wahrheit ist, dass ich spüren konnte, wie ein echter Tanz in ihr mitschwang. Hört sich das sehr albern an?«

      »Überhaupt nicht. Aber ich wundere mich immer noch darüber, dass du gleich am ersten Abend etwas von der Tournee gesagt hast. Ehrlich gesagt, ich war ein bisschen sauer. Ich meine, wir hatten noch keine Gelegenheit gehabt, darüber zu reden, und es hätte dazu führen können, dass Leonard und Angels furchtbar verletzt und enttäuscht gewesen wären. War das nicht ein bisschen riskant?«

      »Ich habe gewusst, dass du sauer warst, Liebling, aber …«

      »Woher willst du gewusst haben, dass ich sauer war? Ich dachte, das hätte ich für mich behalten.«

      Anne und Gerald brachen in Gelächter aus.

      »Ach, Schatz, so etwas könntest du beim besten Willen nicht für dich behalten. Wenn du sauer bist, legst du immer den Kopf schief und presst deine Lippen zusammen und ziehst die Mundwinkel


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