Der Zaun. Dietmar TelserЧитать онлайн книгу.
über unsere Köpfe hinweg und fliegt eine Schleife über den Zaun. Der Verteidigungsminister wird später sagen, wie imposant er diesen Blick von oben fand und dass er jetzt nicht mehr daran zweifle, dass dieser Zaun die „illegale Einwanderung“ stoppen werde.
Es ist eine absurde Inszenierung. Drinnen im Militärzelt hält der Verteidigungsminister eine Rede voller Pathos. Er spricht davon, wie schwierig die Arbeiten auf diesem Terrain waren, er berichtet von Regen und Schlamm, schildert, wie 15 Tage lang die Arbeit ruhen musste, weil der Niederschlag so stark war, dass die Lastwagen nicht mehr vorankamen. 7.674.000 Lew, das sind knapp 4 Millionen Euro, hat der Zaun gekostet. Damit ist er 50 Prozent teurer geworden als geplant. Das ist viel für ein Land, das als eines der ärmsten der EU gilt. Der Minister versucht, sich mit einem Blick ins Nachbarland zu rechtfertigen. Der Zaun, der 2012 in Griechenland gebaut wurde, sei weniger als halb so lang, habe aber umgerechnet sogar 9 Millionen Lew gekostet. Die bulgarischen Journalisten stellen jetzt Fragen. Aber es geht nicht darum, ob es sinnvoll und erfolgversprechend ist, Menschen auf der Flucht mit Zäunen zu stoppen, es geht nicht um die moralische Dimension der Abwehr von Flüchtlingen, es geht um gestiegene Kosten und die verzögerte Fertigstellung. Dann bittet der Minister die Gäste nach draußen und schreitet ein Stück des Zaunes ab. Er lässt sich dabei fotografieren und interviewen. Er wirkt mächtig stolz.
Hier bei Golyam Dervent zeigt Europa so deutlich wie kaum an einem Ort, dass es unter sich bleiben möchte. Bulgariens Zaun ist 2,50 Meter hoch. Er besteht aus zwei parallel errichteten Barrieren. Dazwischen liegt ein schmaler Streifen, der mit sechs Rollen Nato-Draht gesichert ist. Nato-Draht ist ein besonders schmerzhaftes Hindernis. In einem Stacheldraht kann man sich verfangen, ein Nato-Draht aber schneidet tiefe Wunden in die Haut. Auch den oberen Teil des Zauns haben sie mit Nato-Draht umwickelt. Damit ist er rund drei Meter hoch.
Bulgariens Grenze wird von Tag zu Tag unüberwindbarer. Knapp 30 Kilometer des Zauns sind fertiggestellt. Bereits im August 2014 hat das Ministerium angekündigt, dass der Zaun noch einmal um 130 Kilometer verlängert werden könnte.10 Dann wären knapp zwei Drittel der Landgrenze zur Türkei vollständig abgeriegelt.
Zäune schotten ab und grenzen aus, aber das allein macht sie noch nicht zum Problem. Bulgariens Aufgabe ist es eben auch, die Außengrenzen Europas zu schützen. Ein Zaun kann also eine notwendige Maßnahme sein, um Kriminelle und Terroristen an einer unbeobachteten Einreise zu hindern. Nicht erst seit den Anschlägen von Paris im November 2015 ist in Europa der Wunsch nach mehr Sicherheit groß. In Ungarn, Slowenien und selbst im österreichischen Spielfeld sind neue Zäune entstanden. Was aber, wenn diese Zäune nicht nur gegen Terroristen, sondern vor allem gegen Flüchtlinge gerichtet sind? Was, wenn damit der Flüchtlingsstrom gestoppt werden soll?
Menschen, die auf der Flucht sind, muss zumindest die Möglichkeit gewährt werden, einen Asylantrag zu stellen – unabhängig davon, ob diesem später stattgegeben wird. Zäune aber konterkarieren diesen Ansatz. Vor allem dann, wenn die Einreise auf anderem Weg nicht gestattet wird. Tatsächlich haben Flüchtlinge aus Syrien kaum Möglichkeiten, ohne Visum nach Europa einzureisen. Mit Ausnahme geringer humanitärer Aufnahmekontingente11 gibt es nur wenige legale Wege. Botschaften vergeben selten Visa, ein klassischer Asylantrag kann selbst in deutschen und österreichischen Botschaften nicht gestellt werden.12 Die EU-Richtlinie 2001/51/EG führt zudem dazu, dass Reisende ohne Visum meist kein Flugzeug nach Europa besteigen dürfen. Damit soll eine illegale Einreise verhindert werden. Für Asylbewerber gilt zwar eine Ausnahme, doch diese müsste das Bodenpersonal prüfen. Da Fluggesellschaften eine Strafe bezahlen und für die Kosten aufkommen müssen, wenn Passagiere ohne Papiere im Ankunftsland abgewiesen werden, lassen Airlines sicherheitshalber meist gar keine Passagiere ohne Visum an Bord.13
Eine Zurückweisung droht Flüchtlingen auch an den offiziellen Grenzübergängen etwa zwischen der Türkei und den EU-Ländern Griechenland oder Bulgarien. Die Behörden in Athen und Sofia verweisen zwar auf die offiziellen Grenzstationen, allerdings berichten Flüchtlinge und Menschenrechtsorganisationen, dass türkische Beamte viele ohne Visum häufig gar nicht erst ausreisen lassen.
Flüchtlingen bleibt also mit wenigen Ausnahmen nur die Möglichkeit einer irregulären Einreise. Das ist die Scheinheiligkeit der europäischen Flüchtlingspolitik: Die EU ist sich beim Recht auf einen Asylantrag einig, viele Staaten tun allerdings alles dafür, dass möglichst wenige Menschen es auch in Anspruch nehmen können. So hat Europa lange Zeit indirekt die Zahl der Flüchtlinge eingeschränkt, ohne dass es dafür eines politischen Konsenses für eine Begrenzung, ein Kontingent oder Gesetzesänderungen gibt. Wer sich heute über unkontrollierte Flüchtlingsströme wundert, muss auch das bedenken.
Wir möchten mit der bulgarischen Grenzschutzpolizei über den Zaun sprechen, und wir wollen wissen, was sie zu den Anschuldigungen von Menschenrechtsorganisationen sagt, dass Menschen an der grünen Grenze immer wieder abgefangen und zurückgeschickt werden, ohne dass sie einen Asylantrag stellen dürfen.
Hauptquartier der bulgarischen Grenzpolizei, Sofia
Wir treffen den Vizedirektor der Grenzpolizei, Milen Penev, in der Generaldirektion im Zentrum Sofias. Penev, ein schmaler, blasser Mann mit durchdringendem Blick, wird von einer Übersetzerin aus seiner Behörde begleitet. In dem einstündigen Gespräch wird er nicht ein einziges Mal lächeln. Wenn er redet, sucht er selten Blickkontakt, wenn er zuhört, bleiben seine Augen starr nach unten gerichtet. Er spricht vom Zaun und dem neuen Überwachungssystem im Grenzgebiet zur Türkei und referiert Fakten über Fakten.
Bulgarien hat seine Grenzen in den vergangenen Jahren gesichert. Das Land ist zwar seit 2007 Mitglied der EU, nicht aber Teil des Schengen-Raums. Das soll sich künftig ändern. Seit Ende 2010 kontrollieren die Grenzschützer verstärkt innerhalb der 24-Meilen-Zone am Schwarzen Meer, sagt Penev. Mit einem neuen Überwachungssystem soll es den Behörden gelingen, selbst Jetskis oder kleine Boote zu entdecken. Bulgariens Grenzschutz besitzt jetzt außerdem vier Helikopter, die an der bulgarisch-türkischen Grenze und am Schwarzen Meer eingesetzt werden sollen. Bereits im Juli 2012 wurden 85 Kilometer an der Grenze mit neuer Technologie und Wärmebildsystemen ausgestattet. Dazu gehören Kameras, die auf die Bewegung von Lebewesen reagieren.
All das konnte die Flüchtlinge und Migranten nicht stoppen. Im Jahr 2013 stieg die Zahl der Asylanträge von rund 1400 auf mehr als 7100. Bulgarien setzte zusätzlich rund 1500 Polizisten an den Grenzen ein, unterstützt von 170 Experten der europäischen Grenzschutzagentur „Frontex“14, und beschloss, einen Zaun zu bauen. „Wir haben festgestellt, dass rund 85 Prozent aller Migranten über ein ganz bestimmtes Gebiet nach Bulgarien kamen“, sagt Penev. Er hat eine Rechtfertigung für den Bau des Zaunes, die wir im Verlauf dieser Reise noch häufiger hören werden. „Die Migranten brachten sich in diesem Gebiet selbst in größte Gefahr. Immer wieder mussten wir Personal und Helikopter für Rettungseinsätze zur Verfügung stellen. Deshalb ist dort der Zaun entstanden.“
Es ist davon auszugehen, dass der Bau des Zaunes nicht unbedingt aus humanitären Gründen erfolgte. Das Land behandelt Flüchtlinge seit Jahren wenig wohlwollend. Die Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ hat Bulgarien immer wieder schwere Verstöße an den Grenzen vorgeworfen. Flüchtlinge wurden demnach zum Teil misshandelt und kollektiv zurückgewiesen, ohne dass ihr Asylantrag geprüft wurde. 2014 wurden 44 sogenannte Push-Back-Fälle dokumentiert,15 das Projekt „Bordermonitoring Bulgaria“ registrierte im selben Jahr zusätzlich 14 Vorkommnisse,16 auch „Amnesty International“ listete mehrere Fälle auf.17
Milen Penev weist die Anschuldigungen zurück: „Wir haben eine große Diskrepanz festgestellt, zwischen dem, was in den Berichten steht, und dem, wie sich die Situation tatsächlich an der Grenze darstellt.“ Was er damit sagen will: Flüchtlinge hätten in ihren Aussagen gegen bulgarische Grenzschützer falsche Uniformen beschrieben. „Sie haben auch Waffen erwähnt, die bei uns gar nicht im Einsatz sind, sie haben von Dokumenten gesprochen, die an der Grenze nicht verwendet werden.“
Penev ist ausgesprochen verärgert über die Vorwürfe. Er kritisiert das Foto auf dem Titelblatt des „Amnesty“-Berichtes. Es ist eigentlich nur ein Symbolbild, das einen Mann in Camouflage-Uniform im Grenzgebiet zeigt. Es zeigt einen Soldaten, vermutlich aus der Phase des Baubeginns,