Darky Green. Adrian PlassЧитать онлайн книгу.
körperlich, Sir? Gab es irgendeinen Moment, in dem Sie sich persönlich körperlich bedroht fühlten?«
»Ja, die ganze Zeit über, weil sie …«
»Weil sie sich an Ihren Tisch setzten und groß waren und nichts sagten.«
»Ja, und am Ende standen sie plötzlich alle auf, griffen genau gleichzeitig in ihre Taschen und holten …«
»Ja, Sir?«
»Sie, äh, holten drei Pfundmünzen heraus und legten sie vor mir auf den Tisch.«
»Drei Pfundmünzen?«
»Ja.«
»Und dann?«
»Dann gingen sie weg, um auszusteigen, und seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen.«
»Und die drei Pfund?«
»Die – die habe ich eingesteckt.«
»Dann fasse ich mal zusammen, Sir. Drei sehr große Männer haben sich Fahrscheine gekauft, um in demselben Zug zu fahren wie Sie, und sie haben sich zu Ihnen in den Waggon gesetzt, nachdem sie Sie gefragt haben, ob Ihnen das recht wäre. Sie haben ihnen erlaubt, sich zu Ihnen an den Tisch zu setzen. Während des weiteren Verlaufs der Fahrt haben sie weder mit Ihnen gesprochen noch Sie irgendwie physisch bedroht, abgesehen davon, dass sie groß waren und nichts sagten. Bei der Ankunft in London verließen diese drei Männer den Zug, nachdem sie vorher lediglich drei Pfund auf den Tisch gelegt hatten. Dies könnte natürlich als Trinkgeld für den Schaffner oder den Bistrokellner gedacht gewesen sein, aber Sie haben es vorgezogen, es als ein Geschenk an Sie zu betrachten. Nun, auf welcher Grundlage genau schlagen Sie vor, dass wir diese Männer festnehmen, Sir? Groß, schweigsam, gesetzestreu und unerwartet großzügig zu sein, sind keine Vergehen, die wir normalerweise strafrechtlich verfolgen würden …«
Verstehst Du, was ich meine?
Ich stieg also in die U-Bahn, und in all dem normalen Betrieb dort fing ich an, mich ein bisschen besser zu fühlen. Auf dem letzten Stück nach Lanworth jedoch war die Angst plötzlich wieder da, genauso schlimm wie vorher, und bis ich zu Hause war, war ich am Boden zerstört. Genauso geht es mir jetzt immer noch. Was mich im Moment wirklich fertigmacht, ist die Frage, wie ich in Zukunft überhaupt klarkommen soll. Mir kommt es vor, als hätte irgendeine namenlose, sadistische Kreatur es darauf angelegt, es ausgerechnet mir unmöglich zu machen, wirklich daran zu glauben, dass ich je wieder festen Boden unter den Füßen haben werde. Wie kann ich mich je wieder sicher fühlen? Was soll ich tun? Soll ich immerzu auf der Flucht sein und die Angst am Leib tragen wie ein härenes Hemd, das ich niemals ausziehen kann, oder soll ich mich umdrehen und dem Monster ins Gesicht schauen? Und mich von ihm zermalmen lassen. Ich weiß wirklich nicht, was von beiden mir lieber ist, jedenfalls noch nicht. Wer ist das Monster? Wer waren diese Männer? Wo sind sie jetzt, in diesem Augenblick? Lieber Gott, gib, dass sie nicht hier im Haus sind.
Ist die Welt verrückt geworden, Lance? Oder bin ich es, der den Verstand verliert?
Ich sehe Dich und die anderen schon sehr bald, hoffe ich. Beth treffe ich morgen. Lass uns dem Rat von Jerome K. Jerome folgen und auf einem öffentlichen Platz ein großes Feuer anzünden und uns gemeinsam im Kreis darum aufstellen und in Sicherheit sein. Tut mir leid, dass ich Dir das alles aufbürde. Alles Liebe wie immer, Tom.
FREITAG
1
Im Gaterose-Supermarkt in Lipsham fiel es Noreen Wilson außerordentlich schwer, sich auf ihre Wochenendeinkäufe zu konzentrieren. Sie machte sich große Sorgen um ihren Sohn Lance.
Natürlich nicht solche Sorgen, wie ihre Freundin und Nachbarin June Parsons sie sich um ihren Jungen machte. Nein, nein, so schlimm war es nicht. Die arme June. Sie tat Noreen sehr leid. Robert Parsons, der ein paar Jahre jünger war als Lance, hatte sich schon gleich zu Anfang, als er in die Valley Road gekommen war, mit einer Bande richtiger kleiner Gangster eingelassen und seither war es immer schlimmer mit ihm geworden.
Wie Noreen war auch June Witwe geworden, als Robert noch ein ganz kleiner Junge war, und für die beiden Männer, mit denen sie seither eine Beziehung aufzubauen versucht hatte, war das Leben durch ihren Sohn schier unerträglich geworden. Sie hatte auch aufgehört, Robert gegenüber anderen Leuten zu verteidigen. In der Vergangenheit hatte sie das oft getan. Sie hatte geglaubt, damit im Recht zu sein. Jetzt nicht mehr. Schließlich konnte sie nicht unendlich oft immer wieder behaupten, dass ihr hartnäckig delinquenter Sohn im Grunde ein guter Junge sei. Er war kein guter Junge. Seit sie die Erkenntnis, was für einer er war, akzeptiert hatte, war sie für June zu dem Albtraum geworden, aus dem sie nie wieder zu erwachen fürchtete. Ihr Sohn war ein grauenhafter Mensch, der sich offenbar um nichts und niemanden scherte. Sie hatte versagt. So sah sie das.
Das eine oder andere Mal, wenn Noreen vormittags auf eine Tasse Kaffee vorbeigekommen war, hatte June ein altes Fotoalbum aus der Schublade im Wohnzimmer genommen und ihrer Freundin Bilder von dem kleinen Bobby gezeigt, im Garten oder mit seinem Vater auf dem Spielplatz gleich gegenüber von ihrem Haus auf der anderen Straßenseite. Einige waren am Meer entstanden und zeigten ihn, wie er neben seiner Mutter auf einer Decke saß und mit einer Plastikschippe in die Kamera winkte oder wie er in den seichten Wellen am Ufer planschte. Selbstbewusst, begeistert und unschuldig sah er aus auf all jenen Bildern. Wenn Noreen an das abgemagerte Gespenst dachte, das heute den lieben langen Tag vor dem Fernseher herumfläzte oder in gebückter Haltung durch die Straßen von Lipsham streifte, kam es ihr so vor, als hätten diese beiden Menschen überhaupt nichts miteinander zu tun.
Während Noreen sorgfältig Möhren, Pastinaken und Kartoffeln für die Lammkoteletts aus dem Sonderangebot auswählte, die sie am Sonntag für sich und Lance zum Mittagessen machen wollte, fühlte sie sich ein wenig schuldig wegen ihrer eigenen Sorgen. Lance hatte ihr nie solchen Kummer gemacht, wie June ihn durch Robert hatte. So weit sie sich zurückerinnern konnte, hatte er immer ein freundliches, liebevolles Wesen gehabt. Schon ganz zu Anfang seines Lebens war er eines jener »freundlichen« Babys gewesen, wie Noreen sie immer genannt hatte. Natürlich hatte er manchmal auch geschrien. Schließlich müssen Babys sich ja irgendwie mitteilen, oder? In der winzig kleinen Welt eines Babys konnte ganz plötzlich irgendetwas schiefgehen, und das musste auf der Stelle in Ordnung gebracht werden. Das verstand sich von selbst. Meistens jedoch hatte Lance fast die ganze Zeit, solange er wach war, so friedlich und zufrieden gestrahlt, wie es die meisten Babys immer nur in den wenigen Minuten unmittelbar nach einer ordentlichen Mahlzeit tun. Er war nie kompliziert gewesen.
Und er hatte, nun, eine Art Weisheit an sich gehabt, schon damals, als er noch ganz klein war. Eigentlich eine alberne Vorstellung. Sie war seine Mutter. Diejenige, die verantwortlich für ihn war. Diejenige, die sich um ihn kümmerte. Ja, Lance war nur ein hilfloses Baby. Und doch war da etwas in jenen gelassen lächelnden Babyaugen, die zu ihr emporschauten, etwas so Zuversichtliches, so Sicheres und Heiteres, dass es Noreen fast so vorkam, als wäre sie das bedürftige Kind und Lance derjenige, der mit seinem Schmunzeln das Leben bis in die Tiefe durchschaute und seine Weisheit mit ihr zu teilen bereit war. Ja, ein freundliches Baby.
Hätte nur Derek noch erleben können, zu was für einem liebenswerten Menschen sich sein Sohn entwickelt hatte. Derek und sein Sohn hatten so vieles gemeinsam. Beide waren sehr stille Menschen. Empfindsam. Sanft und nachdenklich.
Dann war da die ganze Sache mit den Büchern. Für Vater und Sohn war es die größte Wonne, sich mit Büchern zu umgeben. Und sie waren beide Dichter. Sie hatte alle Gedichte von Derek behalten und sie Lance in einer besonderen Mappe geschenkt, als er achtzehn war. Diese blaue Ledermappe voller handgeschriebener Gedichte hatte ihren Platz auf einem Regal direkt neben seinem Bett. Sie war sein kostbarster Besitz. Von Derek war nie etwas gedruckt worden, aber von Lance waren schon eine ganze Menge Texte in Zeitschriften erschienen, einer oder zwei sogar in richtigen Büchern, die Sammlungen von Gedichten von allen möglichen Leuten enthielten. Und offen gesagt, verstehen musste man die Gedichte nicht unbedingt, um stolz darauf zu sein.
Ja, Noreen war sehr stolz auf ihren Sohn. Nachdem er an der Universität von Aberystwyth (so weit von zu Hause) den bestmöglichen