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Allmächd, scho widder a Mord!. Werner RosenzweigЧитать онлайн книгу.

Allmächd, scho widder a Mord! - Werner Rosenzweig


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wo die emotionalen Reaktionen auf äußere Sinnesreize gesteuert werden – und seine volle Wirkung zeigte. Das LSD explodierte regelrecht in Nellis Kopf, wie eine Unterwasserbombe in der Nähe eines getauchten U-Boots. Ihr Gehirn wurde durcheinander geschüttelt. Ihre Pupillen vergrößerten sich schlagartig. Sie kicherte wie eine Zwölfjährige beim ersten Kuss, während ihr Energiespiegel raketenartig anstieg.

      Ihre Freundin Kathie glotzte sie mit tellergroßen Augen über den Couchtisch hinweg an und drehte ihren Kopf wie ein Uhu in alle Richtungen. Dort, wo sonst ihre Nase saß, war ihr ein gelber Hakenschnabel gewachsen. „Hi, hi, du siehst aus wie eine Eule“, wieherte Nelli.

      „Ich bin eine Eule, ich bin eine Eule“, uhute Kathie zurück, stieg auf einen Stuhl und schlug mit den Armen. „Ich kann fliegen.“

      Nelli überfiel ein plötzlicher, heftiger Schweißausbruch. Das Zimmer schien sich zu drehen, und Justus von Weihersbach schritt aus einer dichten Nebelwand. Hinter ihm folgte ihre Mutter aus dem weißen Dunst. Justus war seltsam gekleidet. Auf seinem Kopf thronte ein kanariengelber Zylinderhut. Sein schmächtiger Körper steckte in einem lilafarbenen Smoking mit weißen Flecken. Er sah aus wie die Milka-Kuh auf der Alm. In seinem Gesicht blinkten die Pickel wie tausend rote Ampeln. Ihre Mutter sang ständig: „Hosianna, Hosianna“ und trug ein weißes Kissen vor sich her, auf welchem zwei Trauringe lagen. Wie aus dem Boden gezaubert stand plötzlich ihr Uni-Professor, der alte Hubertus Jennerwein vor ihr, hielt das Strafgesetzbuch in der Hand und rezitierte mit seiner dünnen Fistelstimme: „Paragraph eins: Juristen sollst du keine freien, wirst es dir sonst nie verzeihen.“

      „Hosianna, Hosianna“, klang es aus dem dichten Nebel.

      „Paragraph zwei“, erklang die Fistelstimme wieder, „Wer gegen dies Gesetz verstößt, mit Qualen in der Hölle röst.“

      Zwischen Professor Jennerwein und Justus von Weihersbach hüpfte plötzlich die Eule Kathie umher. „Mir ist so heiß“, krächzte sie, hüpfte wieder auf ihren Stuhl und ging in die Hocke. Sie wähnte sich im Zauberwald und saß auf dem mächtigen Ast einer gewaltigen Buche. Drunten auf der Erde, gleich neben dem Lebkuchenknusperhaus, stieß Hänsel die böse Hexe gerade in das Feuer ihres eigenen Backofens. Gretel, Dornröschen und Schneewittchen winkten aus dem Fenster des Lebkuchenhauses und riefen „hau ruck, hau ruck“, bis die böse Hexe vollkommen in den lodernden Flammen verschwand. Dann erschien plötzlich der Gestiefelte Kater auf der Szene. Im Schlepptau hatte er Rumpelstilzchen mitgebracht. „Das hast du gut gemacht“, lobte er Hänsel, „die Alte ging mir mit ihrer ständigen Hexerei sowieso gewaltig auf den Sack. Sieh nur, dort oben in der Buche sitzt ihre vermaledeite Eule. Komm, Rumpelstilzchen, die holen wir uns auch noch.“

      Kathie, die Eule, sah von ihrem Stuhl hinab auf den Waldboden und erschrak, als der Gestiefelte Kater mit seiner Pfote zu ihr herauf zeigte. Dann verschwanden die beiden.

      „Ritze ratze, ritze ratze, mit der Säge kommt die Katze. Mit der schweren Motorsäge, dass der Baum am Boden läge“, schall es nur wenige Minuten später durch den Wald. Der Gestiefelte Kater und Rumpelstilzchen kehrten zurück.

      Mehr als eine Stunde lang schlugen sich Nelli Bieber und Kathi Schreiber bereits mit ihren Wahnvorstellungen, Angstzuständen, Panikanfällen, Schwindelgefühlen, Bewusstseinsstörungen und Halluzinationen herum, als das tödliche Ereignis unaufhaltsam seinen Lauf nahm.

      Kathie, die Eule, war von ihrem Ast heruntergehüpft, bevor die hohe Buche mit Getöse in sich zusammenbrach. Der Gestiefelte Kater stellte die Motorsäge ab und jubelte. Rumpelstilzchen führte vor lauter Freude einen Veitstanz auf. Kathie starrte mit großen Augen auf die beiden. Sie musste ihnen entkommen. Einfach davonfliegen. Panikartig riss sie die Balkontüre auf und schlug probehalber mit ihren mächtigen Schwingen. Dann hüpfte sie auf das Balkongeländer. Unter ihr gähnte der nächtliche Abgrund. Die Freiheit lag ihr friedlich zu Füßen. Als der Gestiefelte Kater und Rumpelstilzchen aus dem Wohnzimmer auf den Balkon gerannt kamen, breitete sie ihre Flügel aus und stieß sich ab. Sie flog, wie sie es von ihrer Mutter gelernt hatte. Der Wind zerrte an ihrem Gefieder. Absolute Freiheit.

      Sekunden später schlug Kathie Schreiber, mit dem Kopf voran, in das Dach eines Opel Zafira ein. Sie war sofort tot.

      •

      Kommissar Ignatz Wiesenstetter war stinksauer und kurz vorm Explodieren. Für seine schlechte Laune gab es eine ganze Reihe verschiedener Gründe. Ihm gegenüber saß seine 14-jährige, pubertierende Tochter Tanja, welche ihn schon den ganzen Silvesterabend mit kotzigen Sprüchen anmachte, da er ihr verboten hatte auszugehen. Silvester wird mit der Familie gefeiert. Aus, basta!

      Sein Sohn Benjamin gehörte mit seinen sechs Jahren eigentlich schon längst ins Bett, wollte aber unbedingt Mitternacht erleben und einen Böller abfeuern. Der Kleine war übermüdet, quängelte und hatte eine ganze Tüte Goldfischli auf dem Wohnzimmersofa zerbröselt.

      Mao Zedong, der krummbeinige Rauhaardackel, hatte die Weißwürste, welche ihm Tanja verbotenerweise in seinen Fressnapf gelegt hatte, auf den beigen Veloursteppich gekotzt und furzte seitdem schlimmer als eine ganze Schar ausgewachsener Iltisse.

      Ignatz Wiesenstetters Frau Katharina hatte ihn heute Morgen für einige Tage verlassen. Sie war mit ihren Kegeldamen zum Skifahren ins Zillertal entschwunden. „Gell, a boar Dooch kanni di scho mid die Kinner allaans lassn. Is ja eh nix los, bis die Schull widder ofängd.“

      Last but not least konnte der Kommissar der Erlanger Mordkommission den Silvesterabend so gar nicht richtig genießen. Er hatte Bereitschaftsdienst und musste sich jeglichen Alkoholkonsum verkneifen. Nichtsdestoweniger, Ignatz Wiesenstetter machte auf gute Stimmung und hatte ein Bleigießen organisiert. Sehr zu seinem Leidwesen, wie er jetzt feststellen musste. Seine phantasielose, noch immer grantelnde Tochter sah in den gemeinsamen Ergebnissen des Bleigießens zwei erigierte und sechzehn geschrumpelte Penisse. Das alte Jahr neigte sich seinem Ende zu. Ignatz Wiesenstetter, ein Franke wie er im Buche steht, zählte die verbleibenden Sekunden rückwärts: „ …, feif, foor, srieh, duu, wonn, siero! Häbbi nju Jiehr, alle midanand!“ Er hob sein Glas mit Apfelschorle und prostete seinen Kindern zu. Bereitschaft ist Bereitschaft!

      „Fagg, Alder, ned amol an Seggd gibds“, klagte Tanja und verdrehte die Augen. Draußen über Alterlangen stiegen Dutzende von Feuerwerkskörpern zischend in die Höhe und zauberten bunte Kleckse in den nächtlichen Himmel, bevor sie sich in der kalten Nachtluft glühend auflösten. Ignatz sah zur Terrassentür hinaus und zählte die gleisenden Explosionen.

      Mao Zedong zog wegen des Lärms angstvoll jaulend den Schwanz ein, spurtete unter den runden Esstisch auf dem beigen Veloursteppich und kotzte dort die dritte und letzte Weißwurst aus sich heraus.

      Benjamin hatte seit Stunden auf das Mitternachtläuten gewartet. Still und heimlich zauberte er einen roten Böller made in China vom Format einer großkalibrigen, kubanischen Zigarre hinter einem Sofakissen hervor und griff nach der Streichholzschachtel, die auf dem Couchtisch lag. Knisternd leckte die Flamme am roten Schwefelköpfchen des Streichholzes. Aus der Zündschnur des chinesischen Kanonenschlags Marke Atomblitz stieg zuerst feiner Rauch auf, dann folgte ein verdächtiges rötliches Glimmen. Schließlich nahm das Glimmen zu, und die Zündschnur begann kleine Funken zu versprühen. Vater Wiesenstetter, der noch immer die zerplatzenden Silvesterraketen zählte, reagierte im Unterbewusstsein.

      „Bisd bleed, Benni? Doch ned im Wohnzimmer!“ Geistesgegenwärtig entriss er seinem Sohn den China-Böller und warf ihn in letzter Sekunde unkontrolliert durch die Terrassentür in den Garten hinaus. Sekundenbruchteile später zerlegte es draußen mit einem wahren Donnerschlag das Tomatengewächshaus. Traurig hingen die schwelenden Reste der grünen Plastikfolie von dem rostig kahlen Rohrgestänge herab. Tanja saß vor dem Fernseher und keckerte wie eine Herde tibetischer Bergziegen. „Affngeil, Subbi! Mi leggsd am Orsch!“ Butler James war eben das dritte Mal über den Kopf des Tigerfells gestolpert und schmiss sein Tablett nebst Gläsern und Sherry-Flasche gegen die Wand.

      Zwanzig Minuten nach Mitternacht, der Hausherr war gerade damit beschäftigt, Mao Zedongs gekotzten Weißwurstbrei zum zweiten Mal aus dem Veloursteppich zu waschen, meldete sich das Diensttelefon. „Mier ham a Dode am Eurobakanal“, meldete sich Iris Siebenstiel, Ignatz Wiesenstetters


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