In Dankbarkeit und Freude. Adalbert Ludwig BallingЧитать онлайн книгу.
und genug Geld sowie das Ansehen ihres Vaters. Das war für den Zugezogenen ein gewaltiger Vorteil.
In den Folgejahren wurde bei Ballings viel gebaut: Eine Schmiede, und, unter einem Dach, ein Wohnhaus, Kuh- und Pferdeställe sowie Vorratsräume für das Viehfutter. Hinzu kam später, knapp daneben, eine geräumige Scheune für die Getreideernte und das Stroh. Der Türbalken des Hauskellers trägt die heute noch gut sichtbare Jahreszahl 1737 – eingemeißelt in ortseigenen Sandstein.
Ebenfalls unterkellert waren Teile unserer Scheune. Dort lagerten neben Kartoffeln in meiner Jugend große Mostfässer. Zusammen mit den etwas kleineren Holzfässern im Hauskeller konnten wir bis zu 30 Hektoliter gegorenen Apfelwein (wir sagten Most dazu) aufbewahren. Unser Papa galt als ein exzellenter Mostler. Die Vorbereitungen zum Mostmachen mussten genau eingehalten werden. Da waren vor allem die leeren Fässer der Vorjahressernte gründlich zu reinigen. Das war eine eigene Prozedur: Auswaschen, schrubben und schließlich einschwefeln. Bei den großen Fässern war dies ohne langstielige Bürsten nicht möglich. Zuweilen, wenn die Fassöffnung entsprechend weit war, wurde andernorts sogar eines der heranwachsenden Kinder ins Fass gesteckt, um die Innenseiten des Mostfasses besser bearbeiten zu können.
In besonders guter Erinnerung ist mir das Ausschwefeln der Fässer: Da wurde ein längliches gelbes Schwefelblatt angezündet und mit einem Draht durch die Fassöffnung ins Innere gehängt. Anschließend drückte man den Deckel wieder fest aufs Fass, um den Schwefeldampf im Innern zu halten. – Der gesamte Vorgang des Mostfässer-Herrichtens sollte natürlich dazu beitragen, schädliche Bakterien zu vernichten, ehe neuer Apfelmost das Fass wieder füllen würde.
Wenn die Apfelernte gut ausfiel, verkauften wir nach dem Gärungsprozess einen Großteil des Selbst-Gekelterten. Aber sehr viel Most wurde auch an Fremde verschenkt, eigentlich an alle, die gerade vorbeikamen: Die zufällig oder auch mit Absicht, des schmackhaften Mostes wegen, bei uns hereinschauten. Wann immer der Postbote zu uns ins Haus kam, der Gemeindediener, der Tierarzt, ein Handwerker aus dem Nachbarort Bütthard oder wenn sonst jemand unseren Hof oder unser Haus betrat – ihnen allen wurde von unserer Mama ein Seidel Most angeboten. Und es gab kaum einen, dem dieser nicht geschmeckt hätte.
Beim Obstkeltern halfen wir Kinder gerne mit; der süße Apfelsaft hatte es uns angetan. Nur durfte man nicht zu viel davon trinken; das hätte Folgen haben und Probleme schaffen können, denn bis zum besagten Häuschen (mit einem Herz in der Brettertür) war es zwar nicht weit, aber es stand für alle sicht- und erreichbar im Hof, und Spötter und Stichler waren allemal zur Stelle, vor allem dann, wenn das einzige rasch erreichbare Häuschen dieser Art schon besetzt war ...
Das Leben und Arbeiten in der Dorfgemeinschaft war vielseitig und bunt
Anfangs der 1930er Jahre, noch ehe ich geboren wurde, baute Papa eine große moderne Stallung für unsere Pferde, Rinder und Schweine. Darüber befand sich ein riesiger Heuboden mit dem Vorratsfutter für die Wintermonate. Das getrocknete Heu konnte man, wenn gebraucht, bequem von oben in der Nähe der Futterkrippen herunterwerfen. Für damalige Verhältnisse das Modernste, was man sich auf einem fränkischen Bauernhof vorstellen konnte. – Ein kleinerer Teil des über der Stallung liegenden Bodens diente als Getreidespeicher und Schrotmühle. Letztere wurde während des Krieges und kurz danach von uns Buben oft tage- und wochenlang betrieben – mittels eines Elektromotors und langer Treibriemen, denn wir mahlten nicht nur das Futtergetreide für unsere Schweine und Rinder, sondern auch für mehrere kleinere Bauern, die keine eigene Mühle besaßen – und zwar sowohl für Ortansässige als auch für mehrere Bauern in den Nachbardörfern!
Die schweren Muschelkalksteine für das Fundament der über 30 Meter langen Stallung sowie für den Giebel auf der Straßenseite und einige andere Mauerteile hatte Papa in mühsamer Handarbeit und per Pferdewagen aus einem Steinbruch bei Gützingen-Kirchheim selbst angekarrt. So auch den Flusssand vom Main bei Ochsenfurt und die Zementsäcke vom acht Kilometer entfernten Bahnhof in Sonderhofen. Den Kalk bezog man von einem Kalkbrenner bei Röttingen a. d. Tauber. Lastwagen gab es damals schon, aber deren Transportkosten wollte man sich lieber ersparen.
Sparen war in diesen Jahren, zwischen den beiden Weltkriegen, eigentlich immer angesagt. Man mühte sich, möglichst autark zu sein, was die Esswaren anlangte. Aber auch vieles, was heute Fachleuten vorbehalten bleibt, versuchte man selber zu tun. Unser Papa schnitt uns Buben die Haare, besohlte, wenn nötig, die Schuhe aller im Haus, flickte Fahrradschläuche, wetzte gelegentlich die Küchenmesser, dengelte die Sensen und Sicheln, schärfte die langen Messerbalken des Grasmähers und Selbstbinders am handbetriebenen Schleifstein (den eines von uns Kindern drehen musste), hobelte auch schon mal ein paar Bretter zurecht, mischte Beton, errichtete kleinere Gartenmauern oder lötete alte Kochtöpfe, Pfannen, Schüsseln und Gießkannen, damit sie auch künftig in der Küche, im Garten oder auf dem Hof verwendet werden konnten.
Andere handwerkliche Tätigkeiten, die Papa vor allem in den Wintermonaten ausübte, wenn auf den Feldern nichts Dringendes anstand: Er bastelte Holzrechen für Hof und Felder, verfertigte Reisigbesen aus Birkenruten, Näpfe aus Roggenstroh und Kartoffel- und Obstkörbe aus Weiden. Seile flocht er aus Stroh bzw. aus Hanf- oder Sisalgarn. Auch auf das Veredeln von Bäumen verstand er sich – und wenn Äcker oder Wiesen zu entwässern waren, dann wurden unter seiner Weisung Drainage-Rohre gelegt.
Diese und ähnliche Nebenberufe beherrschten damals viele der älteren Männer im Dorf. Manche ihrer Fertigkeiten wurden innerhalb der Familie weitergegeben; andere erlernten die jungen Bauernburschen, indem sie winters mal bei diesem, mal bei jenem Meister für kurze Zeit in die Lehre gingen.
Auf den fränkischen Bauernhöfen musste man in 1930er und 1940er Jahren nicht hungern. Aber man lebte, für heutige Verhältnisse doch sehr einfach. Man war diesbezüglich gewiss nicht geizig, aber äußerst sparsam. Zu essen gab es genug, aber die Auswahl an Menüs war eher mager. Als karges Frühstück gab es nicht selten trockenes Roggenbrot und heiße Milch. Oder Malzkaffee, den man in besonderen Notzeiten selber herstellte; aus gerösteter Gerste!
Wesentlich kräftiger als das Frühstück fiel meistens das Vesperbrot um 10.30 oder 11 Uhr aus. Das Mittagessen war in der Regel kalorienreich. Es wurde vielfach aus eigenen Produkten zubereitet: Aus Kartoffeln, selbstgemachten Nudeln, Schweinefleisch, Eiern, Gemüse, Salaten, Obst und, nicht zu vergessen, angereichert mit diversen Wurstsorten vom eigenen Schlachttisch.
Geschlachtet wurde in der Regel in den Herbst- und Wintermonaten. Große Fleischteile, sofern nicht verwurstet oder in Gläsern und Dosen luftdicht verschlossen bzw. in ein Steingutfass eingepökelt, wurden in Riemen geschnitten und im eigenen Kamin geräuchert. Dieses Räucherfleisch hielt sich viele Monate.
Hausgeschlachtet wurde in allen Höfen; der Hausmetzger besorgte die groben Arbeiten, mischte und würzte die Wurstmassen und füllte sie in Därme – meist unter Mitarbeit aller Familienmitglieder. Nach dem Schlachtfest gab es tagelang Kredelsuppe (auch Schlachtsuppe genannt) und frische Grieben; letztere waren in Würfelform geschnittene und dann ausgelassene Fettbrocken. Das so gewonnene Schweinefett wurde in großen irdenen Töpfen aufbewahrt.
Wir buken auch unser Brot selber, in einem separat stehenden steinernen Backhaus. Etwa alle drei Wochen war Backtag. Die Vorbereitungen liefen schon am Tag vorher an: Das Anrühren, Kneten und langanhaltende Gären des Teigs in einem hölzernen Trog waren wichtige Vorarbeiten; dabei kam es auf eine gleichmäßigwarme Zimmertemperatur an. In aller Frühe des folgenden Tages wurden dann aus der zähen Teigmasse die Laibe geformt und in Näpfe gelegt; der Backofen wurde mit Holzscheiten auf eine bestimmte erfühlte Hitze (Temperatur) geschürt. Das Einschießen der Brotlaibe musste rasch und zügig vollzogen werden. Sonst zerfielen sie, ehe sie in der großen Backröhre geschickt abgelagert und Laib an Laib platziert werden konnten. Man musste auch genau wissen, wann der Backvorgang sich dem Ende näherte. Da waren viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung gefragt. Die gut durchgebackenen Laibe, noch ofenwarm, blieben zunächst einige Zeit im Backhaus liegen, ehe wir sie auf den Boden trugen und in einer Art Vorratskammer im ersten Stock unseres Wohnhauses lagerten. Von dort holten wir sie für den täglichen Bedarf, mal einen Laib, mal auch zwei, je nachdem, wie viele Personen zu sättigen waren.
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