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Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart HauptmannЧитать онлайн книгу.

Das Abenteuer meiner Jugend - Gerhart Hauptmann


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Ta­ges nahm er mich mit in die Gas­an­stalt. Nun wur­de mir deut­lich, dass die Gas­be­leuch­tung von Ober-Salz­brunn über­haupt un­ter sei­ner Lei­tung stand und von ihm ein­ge­rich­tet wor­den war. Die Hei­zung der Re­tor­ten und die Be­die­nung des Ga­so­me­ters lag in der Hand ei­nes Werk­meis­ters na­mens Sa­lo­mon. Er, den selbst ich so­fort als Lun­gen­kran­ken er­ken­nen konn­te, hat­te viel­leicht die Salz­brun­ner Stel­lung in der Hoff­nung, an den Heil­quel­len zu ge­ne­sen, an­ge­nom­men. Die­ser Sa­lo­mon mit sei­nem Ernst, sei­ner hoh­len Stim­me, sei­nem blau­en Kit­tel, mit der Koh­len­schau­fel vor der zit­tern­den Weiß­glut sei­ner Re­tor­ten hat mir einen tie­fen Ein­druck ge­macht. Ich sah zum ers­ten Mal den mo­der­nen Ar­bei­ter, eine Men­schen­art, die mir einen ganz an­de­ren Re­spekt ab­nö­tig­te als jede, die mir sonst vor die Au­gen ge­kom­men war. Ein neu­er Adel, schi­en mir, um­gab die­sen Mann, der hier sei­ne Höl­len­schlün­de in Brand setz­te, in ih­rer ge­fähr­li­chen Nähe han­tier­te mit ge­las­se­ner Selbst­ver­ständ­lich­keit und ei­nem un­be­irr­ba­ren Pf­licht­ge­fühl. Er er­klär­te mir, wie man den Ga­so­me­ter auf­füll­te, und mein Va­ter deu­te­te an, dass ein ein­zi­ger hin­ein­ver­irr­ter Fun­ke eine Ex­plo­si­on ver­ur­sa­chen kön­ne, die uns alle in Stäub­chen zer­rei­ßen wür­de.

      Wel­che At­mo­sphä­re von schlich­tem Mut, Op­fer­be­reit­schaft in je­dem Au­gen­blick, erns­tem Wil­len zur Verant­wor­tung um­wit­ter­te die­sen Mann, über den ich von Stund an im­mer wie­der nach­den­ken muss­te.

      Der re­spekt­vol­len Art mei­nes Va­ters die­sem Man­ne ge­gen­über konn­te ich an­mer­ken, dass er ähn­lich wie ich zu ihm stand.

      1 Zwi­cker, Bril­le ohne Bü­gel <<<

      2 (Lat.) not­ge­drun­gen, wohl oder übel <<<

      3 Kern­ge­häu­se <<<

      Mein Va­ter war Jä­ger, hat­te selbst eine Jagd ge­pach­tet und wur­de viel­fach, so auch von der fürst­lich-ples­si­schen Jä­ge­rei, zu Jag­den ge­la­den. Sei­ne Hel­den­ta­ten, die ich ihn selbst nicht er­zäh­len hör­te, be­leb­ten im­mer aufs neue den Fa­mi­li­en­stolz. Eine Doublet­te in Hir­schen, die er bei ei­net Ver­lappjagd in den Gör­bers­dor­fer Ber­gen, dem Re­vier On­kel Adolfs, im wah­ren Sin­ne des Wor­tes er­zielt hat­te, war der Hö­he­punkt. Dann kam ein er­leg­tes Her­me­lin, in der Nähe von Salz­brunn als Wun­der emp­fun­den. Mein Va­ter hat­te ge­glaubt, ein Stück Pa­pier zu se­hen, das der Wind bald so, bald so hin und her be­weg­te. Ei­gent­lich mehr aus Schieß­lust hielt er mit der Dop­pel­flin­te dar­auf, wor­auf der Pa­pier­fet­zen sei­ne Tän­ze ein­stell­te. Was er auf­nahm und als Tro­phäe heim­brach­te, war, wie ge­sagt, ein Her­me­lin.

      Zu­fäl­lig ei­nes Nachts war ich wach, als mein Va­ter sich für den Pirsch­gang zu­recht­mach­te. Als er mit sei­nen Ver­rich­tun­gen fer­tig war, zog es ihn in sei­ner vol­len win­ter­li­chen Ver­mum­mung zum Ab­schied noch ein­mal an mein Bett, und er woll­te mir zärt­lich mit den Fin­gern durchs Haar fah­ren. Beim Däm­mer des Nacht­licht­chens aber ge­riet un­ver­se­hens ein Fin­ger mit hef­ti­gem Stoß in mein lin­kes Auge. Die Fun­ken sto­ben aus mei­nen Wim­pern.

      Ich habe mei­nen Va­ter kaum je lie­ber ge­habt als in die­sem Au­gen­blick. Noch grö­ße­ren Schmerz hät­te ich auf mich ge­nom­men, wenn ich den sei­nen und sei­nen Schreck da­mit hät­te zu mil­dern ver­mocht. Er leg­te so­gleich alle Jag­du­ten­si­li­en ab, und er und die Mut­ter mach­ten mir nas­se Um­schlä­ge. Erst als der Schmerz sich be­ru­hig­te und mein Auge sich als un­be­schä­digt er­wie­sen hat­te, trat er, und zwar nur auf Zu­re­den mei­ner Mut­ter, den Pirsch­gang doch noch an.

      Ein ähn­li­cher Vor­fall hat, wie ich fürch­te, eine klei­ne Fol­ge zu­rück­ge­las­sen. Ei­nes Ta­ges im Herbst er­laub­te mein Va­ter mir, ihn zu be­glei­ten, als er mit der Flin­te ein we­nig das Ge­län­de ab­su­chen woll­te. Ich war er­staunt, wie er ohne Weg und Steg in je­der ge­wünsch­ten Rich­tung über die Fel­der von Hinz und Kunz mit mir stap­fen durf­te. Ein Dut­zend Schrit­te ab­seits von ihm, hör­te ich ihn dann das Kom­man­do »Duck dich!« ru­fen. Ich tat es, wo­bei ich das rech­te Ohr nach oben wen­de­te. An die­sem ging sein Schuss, der lei­der den Ha­sen, auf den er ziel­te, fehl­te, ich weiß nicht in wel­cher Ent­fer­nung vor­bei.

      Ob ich glaub­te, ge­trof­fen zu sein? Das Ohr war je­den­falls taub ge­wor­den. Mein Va­ter muss kei­nen ge­rin­gen Schreck ge­habt ha­ben, denn mei­ne Be­nom­men­heit, die man auf alle mög­li­che Wei­se deu­ten konn­te, dau­er­te eine lan­ge Zeit. Selbst die schlimms­te Ver­mu­tung war nicht ganz von der Hand zu wei­sen, näm­lich dass mir ein Schrot­korn ir­gend­wo ein­ge­drun­gen sei.

      *

      Ein Rät­sel ist mir bis heut mei­nes Va­ters päd­ago­gi­sche Fä­hig­keit. Hät­te er sie mir re­gel­mä­ßig und dau­ernd zu­ge­wen­det, die An­fangs­grün­de mei­ner Bil­dung wä­ren so­li­der aus­ge­fal­len. So lehr­te er mich zum Bei­spiel durch eine kur­ze, ein­leuch­ten­de Er­ör­te­rung die Zeit von der Uhr ab­le­sen, und so fort.

      Ei­nes Ta­ges war ich ver­zwei­felt, weil ich als der Kleins­te eine Schlit­ten­par­tie zu On­kel Adolf nach Gör­bers­dorf wie­der ein­mal nicht mit­ma­chen soll­te. Ich ließ mich em­pört über die­se Zu­rück­set­zung und über­haupt mei­ne Lage als Jüngs­ter aus. »Ger­hart«, sag­te mein Va­ter, »sei ru­hig, wir wol­len uns schon amü­sie­ren auf un­se­re Art!«

      Wo­rin be­stand die­ses Amü­se­ment?

      Wir sa­ßen ein Stünd­chen in der Vier, und am Ende ei­nes Ge­plau­ders, das mir Auf­merk­sam­keit und Span­nung ab­nö­tig­te, sag­te ich Schil­lers Bal­la­de »Der Tau­cher« von An­fang bis Ende her und habe sie bis heut im Kop­fe be­hal­ten.

      *

      Mein Va­ter schätz­te Frei­mut als eine hohe mensch­li­che Ei­gen­schaft. Wenn das Ein­ge­ständ­nis ei­ner Ver­feh­lung aus Lie­be zur Wahr­heit ge­sch­ah, konn­te es die Schuld in sei­nen Au­gen auf­he­ben. Von Bei­spie­len sol­cher Hand­lun­gen brach­te er im­mer die­ses oder je­nes vor, wenn er im glei­chen Sinn auf uns ein­wir­ken woll­te.

      Groß war der Re­spekt, den mein Va­ter als Lei­ter des Gast­hofs bei den An­ge­stell­ten ge­noss, man darf so­gar von der Furcht des Herrn re­den, die über­all von Kut­scher­stu­be zu Kü­che, von dort zu den Sä­len und Zim­mern vor­han­den war. Hielt er sei­nen Nach­mit­tags­schlaf, so trat eine Atem­pau­se ein. Aber al­les war so­gleich elek­tri­siert bei dem ener­gi­schen Klin­gel­zei­chen aus sei­nem Zim­mer, das sein Wie­de­rer­wacht­sein an­kün­dig­te.

      Sei­ne Re­ser­viert­heit war den meis­ten Ho­tel­gäs­ten un­heim­lich. In der Tat be­saß er nichts von der so vie­len Gast­hof­be­sit­zern ei­ge­nen lie­bens­wür­dig-un­ter­wür­fi­gen We­sen­heit, son­dern trat selbst den Salz­brunn be­su­chen­den ho­hen Per­sön­lich­kei­ten nicht an­ders als gleich und gleich ge­gen­über.

      Da mein Va­ter lan­ge Zeit der ein­zi­ge Sohn des Groß­va­ters Haupt­mann, ei­nes ver­mö­gen­den Man­nes, ge­we­sen ist, der mit Vor­lie­be al­les an


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