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Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart HauptmannЧитать онлайн книгу.

Das Abenteuer meiner Jugend - Gerhart Hauptmann


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alte über­mü­ti­ge Schle­si­en, das nicht mehr vor­han­den ist.

      Zwi­schen Weih­nach­ten und Neu­jahr lud mein Va­ter be­freun­de­te Ju­gend Salz­brunns zu ei­ner Ver­an­stal­tung, die er selbst er­fun­den hat­te. Chi­ne­si­sche Lam­pi­ons be­leuch­te­ten in kal­ter Mond­nacht von oben bis un­ten und zu bei­den Sei­ten den Kro­nen­berg. Drei­ßig bis vier­zig Hand­schlit­ten wa­ren zu­sam­men­ge­borgt wor­den und wur­den an eben­so vie­le Paa­re jun­ger Her­ren und Da­men ver­teilt. Auf der Stein­ter­ras­se vor dem Gro­ßen Saal, an der die Schlit­ten, je­der mit ei­nem ver­gnüg­ten Paar, vor­bei­rutsch­ten, wur­den hei­ße Ge­trän­ke, Grog, Glüh­wein, Tee und Kaf­fee, be­reit­ge­hal­ten und an die im­mer lus­ti­ger wer­den­den Rod­ler ge­reicht. Ein Teil der Vor­be­rei­tun­gen zu solch ei­nem Fest, näm­lich das Zu­sam­men­ho­len der Hand­schlit­ten, wur­de uns Kin­dern über­las­sen. Auch das be­rei­cher­te viel­fach mei­nen Vor­stel­lungs­kreis.

      1 sü­ßer, aus Un­garn stam­men­der Des­sert­wein von hell­brau­ner Far­be <<<

      Freu­den, die uns mein Va­ter ma­chen woll­te, lieb­te er durch Über­ra­schung zu stei­gern. Einst wur­den mir – es war im be­gin­nen­den Herbst – al­ler­lei neue Klei­der, Schu­he, Müt­zen und der­glei­chen an­pro­biert. Mein Va­ter sag­te, was mei­ne Mut­ter lä­chelnd be­stä­tig­te, dass ein Kna­be in Bre­men, der ganz ge­nau mei­ne Fi­gur habe, alle die­se schö­nen Ho­sen, Wes­ten, Ja­cken, Müt­zen und Schu­he be­kom­men sol­le. Sein Va­ter habe dar­um ge­be­ten, weil der Zwerg, Meis­ter Leo, der bes­te und bil­ligs­te un­ter den Schnei­dern sei. Als mei­ne Tä­tig­keit im Diens­te des Bre­mer Kauf­mannssöhn­chens be­en­det war, hol­te man mich ei­nes Ta­ges aus der Schu­le. Man sag­te mir hei­ter, dass alle die an­geb­lich für den Bre­mer an­ge­fer­tig­ten Sa­chen mein wä­ren und dass ich so­gleich eine Ba­de­rei­se mit mei­nem Va­ter an­tre­ten wür­de. Das ver­setz­te mich nach mei­ner an­ge­bo­re­nen Art, als ich es ganz be­grif­fen hat­te, in einen klei­nen Kol­ler von Glück­se­lig­keit.

      Die Rei­se fand dann auch wirk­lich statt. Ich durf­te die Schu­le hin­ter mir las­sen, was al­lein schon ein Glück be­deu­te­te. Im Üb­ri­gen wuss­te ich schon von der Rei­se nach Bres­lau, wie durch­weg hei­ter und an­ge­nehm ein sol­ches Un­ter­neh­men in der Ge­sell­schaft des Va­ters sein konn­te. Er sel­ber schi­en bei sol­chen Ge­le­gen­hei­ten ein an­de­rer Mensch ge­wor­den zu sein. Wir fuh­ren bis nach der al­ter­tüm­lich-reiz­vol­len Berg­stadt Hirsch­berg auf der Ei­sen­bahn und von dort nach dem Bade Warm­brunn am Fuße des Rie­sen­ge­bir­ges mit ei­nem wack­li­gen Om­ni­bus, der da­mals noch Jour­na­liè­re ge­nannt wur­de. Mein Va­ter such­te ei­nes rheu­ma­ti­schen Lei­dens we­gen die hei­ßen Quel­len von Warm­brunn auf, und mir wa­ren sie eben­falls ver­ord­net, ob­gleich mein Flech­ten­lei­den nur manch­mal noch auf­fla­cker­te.

      Drei Wo­chen war ich mit mei­nem Va­ter al­lein. Früh, nach dem ge­mein­sa­men Bad, nah­men wir in der Vil­la Jung­nitz, wo wir wohn­ten, das ers­te Früh­stück ein, wo­bei ich nach Her­zens­lust in dick mit But­ter be­stri­che­ne Hörn­chen bei­ßen durf­te. Nach­dem wir uns eine Wei­le aus­ge­ruht, be­gan­nen wir un­se­re täg­li­che Wan­de­rung. Ich be­wies da­bei Zä­hig­keit und Aus­dau­er, denn ich hat­te mich ja da­für in den wil­den Spie­len mit mei­nen Stra­ßen­jun­gen hin­rei­chend taug­lich ge­macht. Ei­ni­ge Mal aber wur­de doch das Ziel all­zu weit ge­steckt, so­dass mei­ne Kräf­te, wenn nicht ver­sag­ten, so doch Scho­nung ver­lang­ten.

      Wir mach­ten Wege nach Stons­dorf, nach Buch­wald, Erd­manns­dorf, ja Schmie­de­berg hin und zu­rück. Eben­falls hin und zu­rück auf die Bi­ber­stei­ne. Sel­ten nah­men wir in Warm­brunn selbst un­ser Mit­tags­mahl, son­dern in na­hen und fer­nen Dör­fern. So ein­mal in ei­nem Gast­hof Kyn­was­ser am Fuße der Ber­ge, wo ich das ers­te schwim­men­de Ru­der­boot auf ei­nem Tei­che mit höchs­tem Stau­nen be­ob­ach­ten konn­te.

      Si­cher­lich hat mein Va­ter ins­ge­heim bei die­sen Wan­de­run­gen in sei­nen Ge­sprä­chen, Fra­gen, Er­ör­te­run­gen und Hin­wei­sen mei­ne Wei­ter­bil­dung im Auge ge­habt, aber nie in der Wei­se, dass ich es mer­ken und ir­gend­ein Ge­dan­ke an Schul­un­ter­richt mich ver­stim­men konn­te: sei­ner wur­de nicht ein­mal Er­wäh­nung ge­tan. So war mein Va­ter auch weit ent­fernt da­von, mich durch Re­chenexem­pel und die­se und jene heim­li­che Fra­ge zu ängs­ti­gen, wel­che meist nur die Un­wis­sen­heit des Kin­des an den Pran­ger stellt.

      Ein Be­dürf­nis nach ir­gend­ei­ner an­de­ren Ge­sell­schaft als der mei­nen hat­te mein Va­ter nicht, ein Be­weis, wie sehr ihn eine Som­mer­sai­son in Salz­brunn mit ih­rer Ver­pflich­tung, sich tau­send­fach im Um­gang mit Men­schen und wie­der Men­schen ab­zu­mü­den, da­mit über­sät­tigt hat­te.

      Anna Jung­nitz, die Toch­ter uns­rer Wir­te frei­lich, ein schö­nes, acht­zehn­jäh­ri­ges Bür­ger­mäd­chen, das sei­ner Hoch­zeit ent­ge­gensah, bil­de­te eine er­freu­li­che Aus­nah­me. Ich fühl­te, mein Va­ter hul­dig­te ihr, und ich sel­ber ge­noss das Glück ih­rer Nei­gung, die sie mir, als ei­nem Kin­de, durch al­ler­lei Zärt­lich­kei­ten er­wei­sen durf­te.

      Viel wür­de ich dar­um ge­ben, wenn ich des Va­ters Ge­sprä­che mit mir noch im Ge­dächt­nis hät­te. Mit Be­stimmt­heit kann ich nur sa­gen, was al­les dar­in nicht vor­ge­kom­men ist. Nichts zum Bei­spiel, was ei­nem Aus­hor­chen ir­gend­wel­cher Art ähn­lich ge­we­sen wäre, wie etwa Fra­gen über mei­ne Er­leb­nis­se mit dem Groß­va­ter und den Tan­ten im Dachrö­dens­hof oder nach mei­nem Ver­hält­nis zu den Ge­schwis­tern oder nach dem, was ich in der Schu­le oder im Ko­me­ten er­lebt hat­te. Er hat­te es al­ler­dings auch da­mals ver­mie­den, von sei­nem Va­ter mir zu er­zäh­len, eben­so auch von sei­nem Groß­va­ter, der hier in He­risch­dorf-Warm­brunn ein We­ber und Dorf­mu­si­kant ge­we­sen war. Er selbst ist in Warm­brunn zur Schu­le ge­gan­gen. Ein Schul­haus, das ihn als Kna­ben sah, ist heut noch vor­han­den. Kurz, ich leb­te da­mals, trotz­dem ich mit Va­ter al­lein war, eine wunsch­los ge­bor­ge­ne Zeit, am frü­hen Mor­gen hei­ter von ihm be­grüßt und abends – er ging kaum spä­ter als ich zu Bett – un­ter sei­ner vä­ter­lich war­men Hand ent­schlum­mernd.

      *

      Die schö­ne Epi­so­de ging in ein wun­der­vol­les, aber ganz an­ders­ar­ti­ges, lau­tes Fina­le aus. Es wur­de wie­der­um auf Grund der Lieb­ha­be­rei mei­nes Va­ters durch eine Über­ra­schung ein­ge­lei­tet. Für mich eine Über­rum­pe­lung, und zwar eine, wie ich sie ähn­lich wir­kungs­voll in mei­nem Da­sein nicht wie­der er­lebt habe.

      Die neu­en, mäch­ti­gen Ein­drücke aus die­ser land­schaft­lich die Salz­brun­ner Ge­gend weit über­bie­ten­den Na­tur, ver­bun­den bei im­mer köst­li­chem Wet­ter mit ei­nem stil­len, mich lie­be­voll um­he­gen­den hei­te­ren Sein, hat­ten mich Salz­brunn bei­na­he ver­ges­sen las­sen. Wäre es da­mals wirk­lich ver­sun­ken, es hät­te nicht kön­nen ver­sun­ke­ner sein. Ich weiß nicht, wann ich die Mut­ter, mei­ne Ge­schwis­ter, mein Wild­lings­le­ben, den Gast­hof zur Preu­ßi­schen Kro­ne und was noch sonst – und ob ich das al­les über­haupt je ver­misst hät­te. In ei­nem Sin­ne war es ver­sun­ken, in ei­nem an­de­ren fern­ge­rückt; denn Ei­sen­bahn­fahrt über eine lan­ge Ket­te von Sta­tio­nen,


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