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Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart HauptmannЧитать онлайн книгу.

Das Abenteuer meiner Jugend - Gerhart Hauptmann


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ich den zwi­schen Ber­gen ge­le­ge­nen rau­schen­den Forst, die Ka­val­ka­de1 der Her­ren und Da­men, das Hal­len und Wi­der­hal­len der Jagd­hör­ner, Prinz und Prin­zes­sin, ein jun­ges Paar, das sich lieb­te und die Lie­be ver­schweigt, die Angst des ge­hetz­ten Tie­res, das mit herr­li­chem Schwun­ge den Bach und den um­ge­stürz­ten Baum über­springt, das Ra­sen der Hun­de, das bre­chen­de Auge des Wil­des vol­ler An­kla­ge, sein Ve­ren­den und schließ­lich das Ha­la­li. Die­sen »Hirschtod« ge­nann­ten Horn­ruf der Jä­ge­rei konn­te ich mir nie ge­nug zu Ge­hör brin­gen.

      Frei­lich spiel­te ich auch ge­le­gent­lich »O du lie­ber Au­gus­tin, al­les ist hin!« oder »Lot­t’ ist tot, Lot­t’ ist tot, Jule liegt im Ster­ben!« oder we­ni­ger harm­lo­se Gas­sen­hau­er, die ich auf der Stra­ßen­sei­te mei­nes Dop­pel­le­bens ken­nen­ge­lernt hat­te.

      *

      Tag für Tag be­geg­ne­te ich mei­nem Bil­de in ei­nem ova­len Wand­spie­gel mit brei­tem Ma­ha­go­ni­rah­men. Er hing ziem­lich hoch, aber vorn­über­ge­beugt, so­dass ich mich dar­in se­hen konn­te. Kam ich von mei­nen Strei­fe­rei­en durch alle Win­kel der An­la­gen des Or­tes zu­rück, so stell­te ich mich meist un­ter ihn, und je­des Mal stieg mir die Fra­ge auf, ob ich das ges­tern auch schon ge­tan, mich im Spie­gel wie heu­te er­blickt habe und das mir be­wei­sen kön­ne. Dann schi­en es mir im­mer, ich kön­ne das nicht. Wenn ich es aber wirk­lich nicht konn­te, so war es nicht si­cher, ob ich am gest­ri­gen Tage ge­lebt hat­te. Heu­te aber, so schloss ich, leb­te ich ganz ge­wiss.

      Es war je­den­falls die Ma­gie des Da­seins, die mir da­mals ins Be­wusst­sein trat.

      1 (bei ei­nem fest­li­chen An­lass auf­tre­ten­de) Grup­pe von Rei­tern <<<

      Der Gast­hof Zur Son­ne, dem Kur­haus­por­tal schräg ge­gen­über, wur­de ge­führt von ei­nem ehe­ma­li­gen Schul­leh­rer, der die Toch­ter des Pas­tors Booß an der evan­ge­li­schen Kir­che zu Nie­der-Salz­brunn ge­hei­ra­tet hat­te. Die­ser Pas­tor Booß war ein äl­te­rer, klu­ger Mann und sehr wohl­ha­bend. »Hörn Sie nur, hörn Sie nur!« war sei­ne im­mer wie­der­keh­ren­de, un­ver­meid­li­che Re­dens­art.

      Wenn er mei­ne El­tern be­such­te, ge­sch­ah es auf einen Au­gen­blick: »Hörn Sie nur, ich habe nur eine Se­kun­de Zeit, hörn Sie nur. Die Ar­beit wächst mir über den Kopf, hörn Sie nur. Der Ober­kir­chen­rat, hörn Sie nur, und, hörn Sie nur, alle die neu­en Zu­stän­de! Wir be­kom­men auch noch die Zi­vilehe, hörn Sie nur! Es wird ja al­les jetzt auf den Kopf ge­stellt.«

      Aus der Se­kun­de, die Pas­tor Booß sich ge­stat­ten woll­te, wur­de erst eine vier­tel, dann eine hal­be Stun­de, zu­letzt wur­de eine Stun­de, wur­den zwei, drei, vier dar­aus: so gut hat­te sich der alte Herr je­des Mal mit mei­nem Va­ter und mei­ner Mut­ter aus­ein­an­der­ge­setzt. Da­bei hör­te er we­ni­ger ih­nen als sie ihm die Beich­te ab.

      Ich weiß nicht, aus wel­chem Grun­de der da­ma­li­ge Wirt der Son­ne, Ru­dolf Bei­er, sei­nen Lehr­be­ruf an den Na­gel ge­hängt hat­te. »Ich war nun nicht ge­ra­de ganz ein­ver­stan­den, hörn Sie nur, hörn Sie nur«, er­klär­te des öf­tern der Pas­tor, »aber es war nicht recht zu ma­chen mit ihm. Mei­ne Toch­ter hat ihn ge­hei­ra­tet. Was soll­te ich tun? Ich habe ihm also den Gast­hof ge­kauft. Ein­ver­stan­den war ich nicht ge­ra­de mit der Wahl mei­ner Toch­ter, hörn Sie nur, aber in sol­chen Fäl­len ist gu­ter Rat teu­er.«

      Am Ende ei­nes pa­stör­li­chen Kur­haus­be­su­ches wa­ren oft man­che lee­re Wein­fla­schen bei­sei­te ge­stellt.

      *

      Carl und ich teil­ten mit der Mut­ter ein Schlaf­zim­mer. Fens­ter und Gla­stü­ren gin­gen auf eine brei­te Ve­ran­da hin­aus. Dar­un­ter lag eine win­ters ge­spens­tisch ver­öde­te Ter­ras­se, an wel­che die Kur­pro­me­na­den und ‑an­la­gen grenz­ten. Wir Jun­gens be­son­ders stell­ten uns vor, dass Ein­brü­che von der Ter­ras­se über die Ve­ran­da in den nied­ri­gen ers­ten Stock nicht um­ständ­lich sein müss­ten, wenn auch hie und da der Nacht­wäch­ter mit der Pfei­fe durch die An­la­gen ging.

      So freund­lich die an der Stra­ße ge­le­ge­ne Vor­der­sei­te des Kur­saals war, umso grus­li­ger war des Nachts die Rück­sei­te. Wenn der Sturm von den klap­pern­den Ga­beln der al­ten Bäu­me heu­lend oder wie eine Kat­ze grei­nend die letz­ten Blät­ter riss und Ge­wöl­ke über den Mond jag­ten, wäre nie­mand un­ter den Salz­brun­nern ein Gang durch den Kur­park rat­sam er­schie­nen, der som­mers tag­täg­lich ein bun­ter Fest­saal war.

      *

      Ent­le­ge­ne Tanz­lo­ka­le sind in Schle­si­en volks­tüm­lich, in Wäl­dern und auf Hö­hen ge­le­gen dop­pelt be­liebt. Da der Päch­ter von Wil­helms­höh wohl schwer­lich hät­te die Pacht zah­len kön­nen, wenn er nur mit dem Som­mer und den Kaf­fee­gäs­ten des Ba­des zu rech­nen ge­habt hät­te, be­saß er die Kon­zes­si­on, zu ge­wis­sen Zei­ten Tanz­mu­si­ken ab­zu­hal­ten. Der von Ma­ler Raa­be im Geis­te der Ro­man­tik burg­ar­tig er­rich­te­te Bau und Aus­flugs­ort, schwe­bend über dem In­dus­trie­be­zirk, hat­te die größ­te Eig­nung da­für. Das Pub­li­kum aber, das in den Som­mer- und Win­ter­näch­ten auf und ab ström­te, er­for­der­te einen furcht­lo­sen Wirt, wie den Mül­ler von Wil­helms­höh, der nö­ti­gen­falls zu bo­xen ent­schlos­sen, ja un­ter Um­stän­den zu noch an­derm fä­hig war. Er ist ein­mal, wie man sag­te, in einen Zwei­kampf mit ei­nem Koh­len­ar­bei­ter, der blu­tig aus­ging, ver­wi­ckelt wor­den.

      Kein Wun­der, dass sol­ches und ähn­li­ches un­se­re jun­gen Ge­mü­ter auf­reg­te. Ich muss der Wahr­heit ge­mäß er­klä­ren, we­ni­ger mich als den Bru­der Carl. Nie ging er zu Bett, be­vor er nicht al­les ab­ge­leuch­tet und in­son­der­heit fest­ge­stellt hat­te, dass kein Ein­bre­cher etwa ver­steckt un­ter ei­ner Bett­stel­le lag. Man ließ ihn ge­wäh­ren, da ja eine ge­wis­se Vor­sicht an sich nicht ver­werf­lich ist, und such­te nur, ihr Über­maß ab­zu­dämp­fen. Ich aber habe Carl ein­mal einen Scha­ber­nack ge­spielt. Ich mach­te, da ich ge­wöhn­lich frü­her als er zu Bett ge­schickt wur­de, aus Hose, Wes­te, Rock und Hut mei­nes Va­ters einen Po­panz zu­recht, den ich un­ter sein Bett leg­te. Ich hielt einen mit den Ar­men der Pup­pe ver­bun­de­nen Bind­fa­den in der Hand, wach­te in mei­nem Bet­te und war­te­te. End­lich kam mein Bru­der her­ein, wäh­rend ich mich schla­fend stell­te, und leuch­te­te mit ei­ner Ker­ze al­les ab.

      Als er un­ter sei­ne Bett­stel­le ge­blickt hat­te, tat er es zum zwei­ten Male, wor­auf ich an mei­ner Schnur zupf­te. Er stand er­starrt, hielt das Licht und reg­te sich nicht, bis er da­mit auf den Ze­hen ge­gen die Tür und aus dem Zim­mer schlich.

      Mit Dok­tor Straeh­ler, mei­nem Va­ter und mei­ner Mut­ter kam er nach ei­ni­ger Zeit zu­rück. Die Her­ren tru­gen je­der sein Bil­lard­queue, mei­ne Mut­ter lach­te und nann­te Carl einen dum­men Kerl. Und nun ging’s an ein Un­ter-die-Bet­ten-Gu­cken.

      Ich hat­te die Pup­pe fort­ge­räumt, als mein Bru­der aus dem Zim­mer war. Jetzt, bei der wach­sen­den Hel­le, spiel­te ich Auf­wa­chen. Der Va­ter, die Mut­ter, der On­kel hat­ten je­der ein Licht in der Hand, und der On­kel glos­sier­te die Hand­lung: »Nein, hier liegt der Ha­lun­ke nicht! Hier ist die Ca­nail­le auch nicht vor­han­den! Der Bube hat sich in Luft auf­ge­löst.


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