Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart HauptmannЧитать онлайн книгу.
joviale, lebensfrohe und elegante Mann sich bei uns wohlfühlte. Aber es kam doch vor, dass mein Vater ihn zur Ordnung rief, weil er sich auf burschikose Art und Weise, wenn auch nicht ohne Humor, gehen ließ.
Man weiß, welche Art von Lustigkeit bei Billardspielern, die keine Berufsspieler sind, üblich ist. Sind die Elfenbeinbälle zu langsam, so wird ihnen zugeredet. Wenn sie zu schnell laufen, ruft man: »Halthalt!« Man schiebt gleichsam ächzend einen schweren Wagen durch die Luft, wenn sie, im Begriff, ihr Ziel zu erreichen, kraftlos werden. Eine durch Zufall geglückte Karambolage entfesselt den der Spannung entfahrenden Aufschrei: »Fuchs!«, oder man sagt: »Mehr Glück als Verstand.«
Der elegante Badearzt machte sich lang, er zog sich wie ein Fernrohr aus, wenn er die Bahn eines Balles verlängern wollte. Mein Vater, dessen gelassene Überlegenheit wir Kinder bewunderten, hatte seine Freude daran. Der Onkel Doktor hob das rechte, das linke Bein, wenn er sich über die Bande des Billards legte, er schnitt Grimassen, und so kam es einmal bis zu einer von ihm nicht gerade gewollten Steigerung, wo die Spaßhaftigkeit durch Detonation von unerlaubter Stelle durch ihn überschritten wurde.
Da er Vorwürfe meines Vaters im Hinblick auf meine gegenwärtige Mutter nur mit einem jungenshaften Lachen quittierte, blieb schließlich auch seiner Base nichts übrig, als einem solchen Vorfall mit dem auch ihr angeborenen Straehlerschen Humor zu begegnen.
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Das Offenhalten des Kurhauses den Winter über war dem pastörlichen Schwiegersohn und Sonnenwirt ganz gewiss nicht angenehm, wurde doch ein Gutteil seiner sonstigen Ausflugsgäste dahin abgelenkt. Er war meinem Vater überhaupt nicht grün, und dieser stand mitunter nicht an, sich über sein Käppi und seine Dienereien um die Schlitten und Wagen lustig zu machen.
Trotzdem fuhr ich die kleinen Beiers im Stuhlschlitten wohl verpackt herum und betreute sie wie ein Kindermädchen. Dieser Zug, der sich schon bei den Märchenerzählungen am Fuhrmann Krauseschen Ofen angemeldet hatte, wo Gustav und Ida Krause die Nutznießer waren, und der sich nun auf Agnes und Rudolf Beier übertrug, sollte mich lange durchs Leben begleiten.
Eigentlich wurden weniger die einstigen Gäste der Sonne als eine andere, neue Schicht von Gästen in den Kursaal gezogen. Bei einer Art Klub, der sich zwanglos gebildet hatte, stand zum Beispiel der Weißsteiner Gentleman-Bauer Karl Tschersich im Mittelpunkt. Sein Bedürfnis nach bäuerlichem Luxus richtete sich auf kostbare Pferde, Wagen und Schlitten, Pelze in Form von Jacketts, Mänteln und Pelzmützen, auf Schmuck und Stoffe für die Frau, auf luxuriöse Pferde- und Kuhställe, alle Sorten der teuersten und neuesten Jagdgewehre im Büchsenschrank, auf silberbeschlagene Geschirre und prächtiges Sattelzeug, dann aber auf reichliche und ausgesuchte Speisen und Getränke.
Wo er auftauchte – und er war Tag für Tag unterwegs –, wusste man: Karl Tschersich spart mit dem Gelde nicht! So musste sich auch mein Vater für den Tschersich-Kreis ganz besonders vorbereiten. Fässchen mit Austern kamen aus den Seestädten, lebende Hummer und Kaviar, und der Champagner durfte nicht ausgehen.
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Ungeheuer war für mich und Carl die Sensation, als es hieß, dass die Auster lebendig gegessen würde. Wir trugen diese unglaubliche Neuigkeit unter die Schuljugend und sprachen mehrere Wochen nur immer davon. Auch war der Versuch, eine Auster zu essen, mit uns Jungen gemacht worden, aber mit dem bekannten Erfolge, den man Erbrechen nennt.
Dagegen wurden über Karl Tschersich Wunderdinge in dieser Beziehung berichtet: er schluckte Dutzende dieser Tiere hinunter und hörte nur ungern auf, weil er unersättlich war.
Ich zweifle nicht, dass in diesem Kreise bei geschlossenen Türen gejeut wurde. Irgendwie an die Bildfläche traten wir Brüder bei solchen Gelegenheiten nicht. Wir waren gebannt in unsere Privatzimmer. Dort steckten wir die Köpfe zusammen und tuschelten über die unter uns in den Gasträumen sich begebenden spannenden Dinge. Ein Kaufmann Lachs, der sein Schnittwarengeschäft am Ringe der Kreisstadt Waldenburg hatte, hielt meistens die Bank. Was das bedeutete, wussten wir, wir hatten es längst aus den Gesellschaftsspielen gelernt und aus dem Hantieren mit Spielmarken. Der märchenhafte Reichtum des Bauern beschäftigte uns, und wir glaubten, die Goldstücke klingeln zu hören.
Eines Nachts oder Abends, gegen halb elf, wurde es plötzlich sehr laut unter uns. Stühle wurden gerückt, Tische fielen um, und irgendetwas Gläsernes ging mit Geschmetter in tausend Scherben. Da sich nun etwas mit Gebrüll von Zimmer zu Zimmer gegen den Ausgang bewegte, traten wir an die Fenster, die grade überm Portale lagen, und sahen nun jemand – es war der Kaufmann Lachs – wie aus der Pistole geschossen ins Freie stürzen. Hinter ihm drein Tschersich mit einem Billardqueue – man weiß, sie sind unten mit Blei gefüllt –, das er mit dem Schwung seiner ganzen Bärenkraft hinter dem Flüchtigen herschleuderte. Er fehlte ihn, Gott sei Dank traf er ihn nicht, sonst wären wir vielleicht Zeugen eines Totschlags geworden.
Hatte nun Lachs vorher zu viel Geld gewonnen? Jedenfalls war die Katastrophe nur durch eine kleine Unachtsamkeit ausgelöst worden. Er schmeckte eine große Bowle ab und goss sein Glas, nachdem er gekostet hatte, in das Bowlengefäß zurück. Hierauf wurde Tschersich blaurot im Gesicht, stieß einige Tische und Stühle um, ergriff mit beiden Händen die Bowle und schmetterte sie auf die Erde, dann rannte er nach dem Billardqueue, zugleich aber Lachs nach der anderen Seite, sodass ein Abstand zwischen ihn und den Großbauern kam, als dieser das Queue wie eine Keule gepackt hatte.
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Das Weihnachtsfest rückte wiederum näher. Es kündigte sich an in dem Beschlusse des Vaterländischen Frauenvereins, die Armenbescherung des Jahres im Kursaal abzuhalten. Da Madame Enke Vorsitzende des Vereins war, so hatte mein Vater mit ihr und Diakonus Spahner Besprechungen.
Zwei gewaltige Christbäume, von deren obersten Lichtern die Decke sich anschwärzte, waren im kleineren Kurhaussaal aufgestellt. Auf weißgedeckter Hufeisentafel lagen die Geschenke portionsweise. Während der Festlichkeit stand jeder der armen Menschen, alte Weibchen, alte Männchen, verhärmte Frauen, vor seiner Portion. Sie standen da und schämten sich. Sie getrauten sich kaum, zum Gesang den Mund zu öffnen, zumal die beiden strahlenden Bäume ihren leibhaftigen Jammer ins grellste Licht setzten.
Wir, mein Vater und meine Mutter, sahen dieses uns neue Schauspiel mit Abneigung. Die alte Menzel, eine verschämte Arme, war bei uns untergekrochen; das Weibchen kam aus dem Zittern nicht heraus.