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Das Abenteuer meiner Jugend. Gerhart HauptmannЧитать онлайн книгу.

Das Abenteuer meiner Jugend - Gerhart Hauptmann


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der Na­tur über Früh­lings­an­fang hin­weg wuchs mei­ne Mut­ter wie­der­um mehr und mehr ins Le­ben hin­ein, und ei­nes Ta­ges hieß es, sie kön­ne nun bald auf­ste­hen.

      *

      An die­sem Tage, mor­gens, wur­de mir in Ge­gen­wart mei­nes Va­ters bei dem Zwerg­schnei­der Leo, dem Lö­wen, ein eben fer­tig­ge­stell­tes neu­es Ge­wand, Jackett, Hose, Wes­te, an­ge­zo­gen. Ich war vor Ent­zücken au­ßer mir. Lei­der muss­te ich es wie­der aus­zie­hen, durf­te es aber an der Sei­te des Va­ters nach Hau­se tra­gen. Dass mein Va­ter zu über­ra­schen lieb­te, weiß man schon. Eine sol­che Über­ra­schung stand mir be­vor, ehe wir am Por­tal des Kur­hau­ses wie­der an­lang­ten. Mein Va­ter frag­te mich, wer denn wohl jene Dame sein möge, die hin­ter dem Fens­ter rechts über der Tür sit­ze. Ich blick­te hin­auf und sah eine lä­cheln­de, blei­che Frau, die mir zu­nächst Be­frem­den er­reg­te, bis ich dann plötz­lich be­griff, dass es mei­ne wie­der­er­stan­de­ne Mut­ter war.

      Dies be­deu­te­te einen un­aus­sprech­lich glück­se­li­gen Au­gen­blick, der ein über­schweng­lich freu­di­ges Ra­sen in mir aus­lös­te. Ich hat­te die Mut­ter Wo­chen und Wo­chen lang nicht ge­se­hen. Auch ohne sie hat­te ich frei­lich ge­lebt, aber nun erst be­griff ich, dass dies ein ver­gleichs­wei­se ar­mes, kal­tes, me­cha­ni­sches Le­ben ge­we­sen war: im In­nern die Un­ge­duld und das Ab­war­ten. Nun aber traf mich der Strahl ih­rer krea­tür­li­chen Mut­ter­lie­be, al­les er­neu­ernd durch und durch.

      Noch konn­te ich nicht hin­auf zu ihr und ihr um den Hals flie­gen, noch nicht ein­mal ihre Stim­me zu hö­ren ver­moch­te ich. Aber sie soll­te doch wis­sen, sie muss­te doch wis­sen, wie sehr ihr blo­ßer An­blick hin­ter den Fens­ter­schei­ben mich be­schenkt und mich glück­lich ge­macht hat­te. Des­halb riss ich wie toll die Hose, die Wes­te, die Ja­cke des Schnei­ders Leo aus der Um­hül­lung her­aus. Ich zeig­te sie ihr, ich schwenk­te die Klei­dungs­stücke hoch in den Hän­den, ich tanz­te mit ih­nen einen los­ge­las­se­nen, gro­tes­ken In­dia­ner­tanz.

      *

      In den nächs­ten Wo­chen sah ich mei­ne Mut­ter im­mer nur auf die glei­che Wei­se Tag für Tag, bis sich beim ers­ten wei­chen Früh­lings­lüft­chen das Fens­ter öff­ne­te und das Wort mei­ner Mut­ter wie­der an mein Ohr, wie mei­nes an das ihre schlug.

      Die Epi­de­mie war ab­ge­klun­gen. Ihre Op­fer wa­ren da­hin, die To­ten tot. Aber der Früh­ling war wie im­mer le­ben­dig. Die Sta­re tru­gen zu Nest mit Pfei­fen und großer Ge­schäf­tig­keit. Ich pflück­te für mei­ne Mut­ter Kro­kus und Him­mels­schlüs­sel. Noch blieb die Bren­del-Schu­le ge­schlos­sen, aber wir durf­ten die Trom­meln ab­ho­len und zo­gen da­mit, ge­führt vom Tam­bour­ma­jor, wie­der­um zum al­ten Birn­baum hin­aus und hin­auf. Die Welt und mit ihr der Pa­trio­tis­mus und alle gu­ten Hoff­nun­gen der neu­en Zeit wa­ren wie­der­um gleich­sam auf­ge­taut. Be­geis­tert rühr­ten wir un­se­re Trom­meln.

      Ei­nes Mor­gens zo­gen wir fei­er­lich un­ter dem Fens­ter mei­ner Mut­ter auf. Ich hat­te den Tam­bour­ma­jor un­schwer dazu be­wo­gen. Wir nah­men Stel­lung und führ­ten in höchst ex­ak­ter Wei­se, die Kalbs­fel­le mit den Schlä­geln be­ar­bei­tend, der na­he­zu ge­sun­de­ten Kur­haus­wir­tin uns­re Küns­te vor. Es war ein re­gu­lä­res Trom­mel­ständ­chen, was wir ihr da­mals ge­bracht ha­ben. Auch soll­te sie se­hen, dass sie nicht einen Nichts­nutz zum Soh­ne hat­te, son­dern einen, der eine Stel­lung ein­zu­neh­men und zu be­haup­ten ver­stand.

      Die Sai­son war im Gang, das Ho­tel zur Kro­ne, wie im­mer um die­se Zeit, glich ei­nem Bie­nen­haus. An­kom­men­de Gäs­te, Kut­scher und al­ler­lei Leu­te lärm­ten im Hof.

      »Hauf­fe, sullst assa kum­ma!« schrie die klei­ne, jetzt sie­ben­jäh­ri­ge Ida Krau­se mit durch­drin­gen­der Stim­me täg­lich um zwölf Uhr vom Haus hin­über zu den Stal­lun­gen. Den der­ben, klei­nen, re­so­lu­ten Strunk hat­te man gern, und mein Va­ter freu­te sich je­des Mal, wenn er Idas »Hauf­fe, sullst assa kum­ma!« ver­nahm. Sag­te man ihm, dass er ihr das Ge­schrei ver­bie­ten soll­te, lehn­te mein Va­ter la­chend ab.

      Plötz­lich, nach­dem ich sie tags zu­vor noch ih­ren pflicht­ge­treu­en Ruf hat­te aus­sto­ßen hö­ren, wur­de be­kannt, Ida Krau­se sei tot. Sie war an Diph­the­ri­tis ge­stor­ben.

      Der Ruf also, der den al­ten Pfer­de­knecht Hauf­fe zu je­nem Mit­ta­ges­sen auf­for­der­te, das ich selbst ein­mal als Gast am Krau­se­tisch un­ver­ge­ss­li­chen An­ge­den­kens ein­ge­nom­men hat­te, er­scholl von nun an in Ewig­keit nicht mehr. Ein schein­bar un­s­terb­li­ches Et­was, ein tüch­ti­ges, bei all sei­ner Ju­gend be­reits ar­beits­wü­ti­ges Bau­ern­mä­del hat­te sich ins Nichts auf­ge­löst. Ich habe we­der die Lei­che ge­se­hen, noch habe ich den klei­nen Sarg be­glei­tet, als man Ida un­ter Voran­tritt der Schu­le und des Leh­rers Bren­del vom Ober­dorf nach dem Nie­der­dorf, par­al­lel dem Flus­se der Salz­bach, zu Gra­be trug.

      Die­ser Tod, un­zei­tig bis zum Wi­der­sinn, gab mir zwar im­mer wie­der zu den­ken, nahm mir je­doch sel­ber nichts von mei­ner kna­ben­haf­ten Le­bens­si­cher­heit.

      *

      Ich weiß nicht, wie ein neu­er Brun­nen­in­spek­tor na­mens Man­ser zu sei­nem Pos­ten ge­kom­men und Nach­fol­ger mei­nes Groß­va­ters ge­wor­den ist. Er hat­te den Krieg als Feld­we­bel mit­ge­macht und war mit dem Ei­ser­nen Kreuz I. Klas­se für be­son­de­re Ver­diens­te be­lohnt wor­den. Ein bar­scher und mi­li­tä­ri­scher Ton mach­te ihn an­fangs un­be­liebt. Er un­ter­lag hier­in der Zeit­mo­de. Auch mit mei­nem Va­ter ge­riet er des­we­gen sehr bald in Kol­li­si­on. »Ich ver­bit­te mir die­sen Un­ter­of­fi­zier­ston!« wa­ren die Wor­te, mit de­nen mein Va­ter ei­nes Ta­ges den Ver­kehr zwi­schen sich und dem neu­en Man­ne ge­re­gelt hat­te. Ob es ihn wohl mil­der stimm­te und ob er über­haupt dar­an dach­te, dass die Kar­rie­re sei­nes ver­stor­be­nen Va­ters, wie die Man­sers im Sieb­zi­ger Krieg, in den Frei­heits­krie­gen ihre Wur­zel hat­te, aus de­nen er eben­falls als Feld­we­bel und mit Aus­zeich­nung her­vor­ge­gan­gen war?

      Ich er­in­ne­re mich ei­nes Vor­gangs auf der Pro­me­na­de, der eine Sei­te des neu­en Geis­tes be­son­ders sicht­bar mach­te. Schon frü­her wa­ren in Salz­brunn Ti­ro­ler auf­ge­taucht, durch die grü­ne, knie­freie Tracht und der­bes ge­na­gel­tes Schuh­werk kennt­lich. Ei­ner von ih­nen hat­te so­gar eine le­ben­de Gem­se mit­ge­bracht. Er schob sie in ei­ner Kis­te, über die ihr Rücken und Kopf nur eben hin­aus­rag­te, auf sei­nem Kar­ren von Ort zu Ort: »Willst du nicht das Lämm­lein hü­ten?« Die Bal­la­de Fried­rich Schil­lers vom Gem­sen­jä­ger steck­te mir be­reits im Kopf:

       … Plötz­lich aus der Fel­sen­spal­te

       tritt der Geist, der Ber­ge­sal­te.

       Und mit sei­nen Göt­ter­hän­den

       schützt er das ge­quäl­te Tier.

       ›Musst du Tod und Jam­mer sen­den‹,

       ruft er, ›bis her­auf zu mir?

       Raum für alle hat die Erde –

       was ver­folgst du mei­ne Her­de?‹

      Man mag er­mes­sen, wel­chen Ein­druck mir nun die Ge­gen­wart ei­ner wirk­li­chen Gem­se hät­te ma­chen sol­len. Aber ei­gent­lich war ich ein we­nig ent­täuscht,


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