Ulzanas Krieg. Karl H. SchlesierЧитать онлайн книгу.
zum letzten Mal. Sie würden nie wieder ausgesprochen werden. Die Toten wollten Frieden. Würden ihre Namen von den Lebenden geatmet werden, könnten ihre Geister, durch diese Worte gerufen, aus der anderen Welt kommen und diese Welt stören.
NEUN
Bevor es wirklich hell wurde, baten mein Cousin (Josanies Sohn) und ich unsere Mütter um unsere Bögen und Pfeile und gingen die Anhöhe hinunter, um nach Kaninchen Ausschau zu halten. Links von uns befand sich die Schlucht mit der Höhle, und nicht weit davon entfernt waren die Pferde verborgen. Im Falle eines Angriffs sollten unsere Männer die Kavallerie von den Schutzlosen weglocken.
Plötzlich summte etwas an meinem Ohr vorbei. Ich hörte einen Schuss, dann viele. Mein Cousin stürzte. Als ich versuchte, ihn aufzuheben, spürte ich Blut an meinen Händen. Ich konnte ihm nicht auf die Füße helfen. Er sagte, dass ich gehen und mich selbst retten sollte. Plötzlich kam eine Frau zu uns. Sie hob meinen Cousin auf ihre Schulter und rannte den Bergrücken entlang. Ich folgte ihr.
Als wir eine Stelle erreichten, an der ein seichtes Bächlein über die Klippe tröpfelte, hielt sie an. Die Steine waren glitschig. Unten sah ich einen Mann stehen. Sie legte den verwundeten Jungen nieder und schubste ihn hinunter. Der Mann, José Second, fing ihn auf und ließ ihn vorsichtig zu Boden gleiten. Dann stieß sie mich von der Klippe und kam nach, aber weil sie schwerer war, fielen sie und José Second hin. Mit dem verletzten Jungen in seinen Armen führte er uns zur Höhle, wo schon viele Frauen und Kinder waren.
Die Kavallerie verfolgte die Männer, aber sie ließen einen schwarzen Sergeant und Soldaten zurück, welche die Frauen suchen sollten. Sie ritten zur Quelle, um ihre Pferde zu tränken, entdeckten unsere Spuren, folgten ihnen und schleiften uns aus der Höhle hinaus. Drei Frauen waren verwundet, eine hatte ein Einschussloch in der Wade. Meine Mutter war auch dort. Ich suchte nach meiner Großmutter, aber meine Mutter schüttelte den Kopf.
Tränen rannen über ihr Gesicht, und ich wusste, dass meine Großmutter getötet worden war. Es fehlten noch andere Frauen, und wir erfuhren nie, ob sie tot oder verletzt waren.
Die Soldaten legten meinen Cousin auf ein Maultier, aber er kam nicht lebend in Fort Bowie an. Keiner der Frauen, nicht einmal den verwundeten, wurde gestattet zu reiten. Wir wurden wie Rinder getrieben. Die Frau mit der Schusswunde im Bein hinkte mit, so gut sie konnte. Meine Mutter gab mir ein Zeichen, und ich verließ die Marschlinie, um ihr einen starken Stock zu holen. Damit hielt sie humpelnd mit den anderen Schritt. Ich weiß nicht, wie lange wir brauchten, um das Fort zu erreichen, aber als wir dort waren, wurden wir in ein Gebäude gesperrt. Sie warfen etwas Essen für uns auf den Boden, als wären wir Hunde.
Nach ein oder zwei Tagen durften die Kinder draußen spielen und die Frauen mussten Latrinen ausheben… Hacken und Schaufeln! Die Frauen, sogar die Verletzten! Sie ließen diese Frauen graben und zwangen sogar die Lahme, mit ihnen zu schuften. Sie band den Stock an ihr Bein, um es zu stützen, und arbeitete. Als sie hinfiel, stieß ein Soldat sie mit seinem Gewehr an und trat sie, bis sie sich aufraffte. Eines Tages stürzte sie wieder, und weder Tritte noch Stöße konnten sie dazu bringen, aufzustehen. Wir wussten, dass sie geflohen und an den Ort des Glücks gegangen war, und wir waren froh.
Augenzeugenbericht von Eugene Chihuahua, Sohn des Häuptlings, über den Angriff auf das Camp der Gruppe in den Mogollons am 24. Mai 1885 und die Geschehnisse danach, aufgenommen von Eve Ball.
ZEHN
Die Apachen beluden die Pferde und ritten fort von dem Ort des Todes. Dieses Mal war es Chaddi, der die Trennlinie auf den Boden zeichnete. Achtzehn Meilen ritten sie bergauf, bis zur Quelle des Apache in zehntausend Fuß Höhe unter der Krone der Center Baldy Berge. Am Rande eines grasbewachsenen Plateaus, hoch über den umliegenden grünen Bergen, errichteten sie ihr Lager zwischen Kiefern, im Dunst aufziehender Wolken und unter sanftem Regen - weiblicher Regen, Tränen des Himmels. Niemand aß etwas und eine lange Zeit herrschte Schweigen.
Sie verbrachten eine nasse Nacht. Der Berg selbst schien sich gegen sie verschworen zu haben.
Doch vor Einbruch der Morgendämmerung hörte der Regen auf, die Wolken zogen weiter, und sie beobachteten einen strahlenden Sonnenaufgang. Das großartige goldene Licht kehrte wieder in die Welt zurück. Obwohl sie wussten, dass der Rauch aus großer Entfernung zu sehen sein würde, entzündeten sie große Feuer. Sie trockneten ihre Kleidung und Decken und kochten das übrig gebliebene Fleisch.
Nach dem Tod seiner Mutter und der Gefangennahme seiner Frau und seines Sohnes hatte sich Chihuahua mit seiner jungen Tochter Ramona zum Lagerplatz seiner Schwägerin gesellt.
Jaccali und Ramona brachten den Brüdern das Essen. Die Männer saßen mit gekreuzten Beinen da, beobachteten die grasenden Pferde, die sich gegen den Himmel abzeichneten, aßen und blickten zu den Feuerstellen.
Wir beide, vierzehn Männer und Zilahe, der Dikohe und damit noch kein vollwertiger Krieger ist, dreißig Frauen und Kinder und ein alter Mann, das sind alle, die noch von uns übrig sind, dachte Josanie. Noch wusste er nichts von dem Tod seines Sohnes.
Chihuahua schaute ihn an, schien seine Gedanken zu ahnen.
„Vielleicht sollten wir aufgeben.”
„Uns ergeben?”, fragte Josanie.
„Ja.”
„Wir haben uns vor zwei Jahren ergeben. Und davor auch schon mal. Wir haben es versucht. Dort, auf jener Reservation, können wir nicht leben”, sagte Josanie.
„Hier können wir auch nicht leben.” Chihuahuas Hände formten eine hilflose Geste. „Es war falsch von mir, zu denken, dass wir es könnten. Es war meine Schuld.”
„Nein”, erwiderte Josanie heftig. „Es ist einfach passiert. Wir waren vorsichtig, aber es ist passiert. So etwas ist schon früher vorgekommen. Es gibt zu viele von ihnen. Ich weiß nicht, wie sie uns finden konnten.” Er machte eine Pause, schüttelte den Kopf. „Sie sind nicht über den Weg gekommen, sondern von unten. Vielleicht haben sie die Berge mit ihren Feldstechern abgesucht und einen unserer Männer bei der Jagd gesehen.”
„Ich habe bereits meine Mutter, meine erste Frau und meinen Sohn verloren. Ein anderer Sohn ist in Fort Apache gefangen”, sagte Chihuahua bitter. „Warum sollte ich weiter machen? Ich will nicht ohne sie sein. Ich weiß nicht, ob meine Frau und mein Sohn noch leben.”
Die Männer verfielen in Schweigen. Josanie spielte mit einem Stock und kratzte Figuren in den blassbraunen Teppich aus Kiefernnadeln. „Ich habe keine Körper auf dem Pfad gefunden. Wir sahen die Gefangenen bei den Soldaten. Sie leben.”
Nach einer Pause sagte er: „Auch ich habe meinen Sohn verloren.” Er wartete. „Bishs Frau und seine kleine Tochter wurden getötet. Tsachs Frau ist gefangen. Nalgees zweite Ehefrau ist eine Gefangene. Die Frauen von Tisnol und Parte wurden entführt. Partes Vater, der alte Mann, wurde umgebracht. Gestern haben wir alle gelitten. Viele sind verwundet.”
Er machte wieder eine Pause. „Ich werde ihnen irgendwann folgen und sie zurückbringen. Ich bin sicher, dass sie nach Fort Apache gebracht werden. Ich gehe dorthin und hole sie.”
Wieder herrschte Schweigen. Dann fuhr er leise fort: „Du bist Nantan, Häuptling dieser Gruppe, wie es schon unser Vater war. Das darfst du nicht vergessen. Du musst an diese Menschen denken. Muss ich dir das erst sagen?”
Sie saßen still da, dann sagte Chihuahua: „Du hast Recht.”
Und nach einer Pause: „Naiche und Geronimo… , sie haben wahr gesprochen. Ich war blind. Hier werden wir niemals sicher sein. Wir müssen über die Grenze gehen.”
Ramona wurde losgeschickt, um die Männer zu holen, und als sie versammelt waren, erzählte er ihnen, worüber er und Josanie gesprochen hatten. Sie saßen mit ernsten Gesichtern da und hörten zu. Seit ihrer Geburt waren sie von Krieg und Tod umgeben gewesen. Alle hatten geliebte Menschen an den Krieg oder die Krankheiten des weißen Mannes verloren, und sie mussten zusehen, wie ihre Zahl stetig abnahm.