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Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy - Heinrich Mann


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von den eigenen Worten, um einen ihrer Blicke. Sie strich sich, nach langen Minuten, mit zwei Fingern über die Stirn und sagte:

      »Lassen Sie mich, ich möchte allein sein.«

      »Du verzeihst mir nicht? O Violante, sei gnädig!«

      Sie zuckte die Achseln. Er flehte mit Tränen in der Stimme:

      »Nur ein Wort, daß du mich nicht verdammst! Violante! Du verdammst mich nicht?«

      »Nein, nein.«

      Sie wendete, unfähig, den Auftritt länger auszuhalten, den Hals hin und her.

      »Gehen Sie jetzt.«

      Er ging endlich, mit schwerem Tritt, weichen Gliedern, aufgelöst in Gefühl und immerfort murmelnd:

      »Dank ... Verzeih ... Verzeih ... Dank.«

      Sie begab sich sogleich in ihr Schlafzimmer. Sie schickte die Kammerfrau hinaus und begann, selbst sich zu entkleiden. Nach dem Erlebten war jede Berührung mit einer menschlichen Haut ihr widerlich. Aber ihre Hände waren schlaff; sie verlor sich immer wieder in Gedanken. Ihre Verwunderung war so mächtig wie seine, doch ganz unvermischt mit Genugtuung.

      Also das war alles? Das war alles, was sie hatte erfahren sollen? »Ich wollte lieber, ich hätte es nicht erfahren ... Übrigens ist es zum Lachen.« Sie wollte den Mund verziehen, aber in die Kehle stieg ihr eine Übelkeit. Dann fiel ihr ein, daß Pavic sie immerfort Violante genannt hatte. Wie kam er dazu? Bildete er sich auf das Geschehene etwas ein? Solch ein untergeordneter Vorgang, gab er denn ein Recht zu Zärtlichkeiten der Rede und zu seelischem Nahekommen?

      Sie zerrte an ihren widerspenstigen Hüllen, sie warf, was ihr in den Händen blieb, auf einen Haufen von Musselin und Seidenstoffen, am Fußende ihres Bettes von flüchtigen Dienerinnen zurückgelassen. Plötzlich entstand darunter eine Bewegung. Die Herzogin ging rasch darauf zu. Es raffte sich etwas daraus hervor, eine kleine abenteuerliche Gestalt, die mit ihrem Degen in den Tüchern hängenblieb. Schließlich stand vor ihr Prinz Phili, in Trikots, Barett und blauem Atlaswams, mit dicken goldenen Blumen auf dem weißen, hermelingefütterten Kragen. Er hatte große Furcht.

      »Da bin i schon«, flüsterte er.

      Ihre nervöse Überreiztheit entlud sich:

      »Wie kommen Sie hierher? Trachten Sie doch, gleich wieder zu verschwinden!«

      »Sie nehmen es also doch übel?« fragte er. »Der Percossini hat mir ja auch gesagt, Sie würden's übelnehmen, aber konnte ich denn anders? Warum haben's mich nie vorgelassen, Frau Herzogin, und meine Frau haben's auch nicht mehr besucht, Sie Schlimme.«

      »Entfernen Sie sich! Ich lasse die Prinzessin benachrichtigen.«

      Phili war bestürzt.

      »Verzeihung, o bitte! Der Percossini hat gemeint, Sie würden nichts sagen ... Das wenn ich gewußt hätt!«

      »Hinaus!«

      »Erst verzeihen's mir, Frau Herzogin. Verzeihung, o bitte!«

      Sie warf den Kopf in den Nacken. Sollte dasselbe Spiel von vorne anfangen? Sie trat auf den Thronfolger zu und faßte ihn hart um beide Handgelenke.

      »Ich werde Sie in meinem Wagen nach Hause fahren lassen, mit einem Billett an Ihre Frau. Hören Sie?«

      Der warme Duft ihres geöffneten Corsage machte Phili schwach. Er knickte, fahl, ins Knie und hing nur noch an ihren Händen. Er bettelte:

      »Sein's doch nit so bös, liebste Herzogin, Sie wußten doch, ich wollt Sie schon längst besuchen als Don Carlos. Aber die Weiber haben mi nimmer ausgelassen. I war schon ganz hin und hab mir gedacht: Jetzt wenn du zu ihr gehst, fällst am End ab, und aus is. Neuerdings bin i wieder stramm, und da werd i außig'lahnt ...«

      Sie drängte ihn zur Tür. Kaum losgelassen, fiel er weich hin wie eine Gliederpuppe. Er erhob die Händchen, laut weinend:

      »Sehen's denn nicht, daß ich ein armer Teufel bin! Auf den Thronen, Frau Herzogin kennen doch das, da geht's auch nicht heiter zu. Mich haben's die letzte Zeit so arg hergenommen – und immer hab ich an Sie gedacht wie an Unsere Liebe Frau. Wenn Sie mich nicht wollen, dann stirb ich, ich hab schon so trübe Ahnungen. Gewähren's mir ... das ...«

      Sie setzte sich auf den Bettrand. Ihre Kraft war erschöpft; sie empfand in dem, was sie erlebte, nichts Widerwärtiges mehr und kaum noch etwas Lächerliches. Aus Gier nach der tierischen Berührung mit ihrem Fleische hatten in Paris die kalten, feinen Kavaliere sich selbst und einander umgebracht. Es war natürlich, daß das dürftige Geschöpf dort am Boden daran starb. Aber lohnte es sich der Mühe, sein Gejammer länger anzuhören? Um was er bat, das war so nichtig ... Vor Müdigkeit, vor Überdruß und vor unsäglicher Verachtung dachte sie beinahe daran, es ihm zu gewähren. Da erschien ihr das weißliche Antlitz Friederikens von Schweden, flehend mit versagender Stimme.

      Der Prinz hatte seine Tränen abgewischt und sich erhoben. Sie fragte jetzt ganz gleichmütig:

      »Werden Sie gehen, Königliche Hoheit?«

      »Ich geh schon.«

      Er nickte traurig.

      »Frau Herzogin wollen also wirklich nicht?«

      Sie nahm die Klingelschnur in die Hand.

      »Geh ja schon«, murmelte Phili. »Daß nur am End zwischen uns kein fâché draus wird.«

      Und er verschwand.

      In den Morgenstunden schlummerte sie. Des Thronfolgers erinnerte sie sich darauf kaum noch. Tagelang beschäftigte sie sich nicht mit Pavic. Dagegen machte sie eine Menge alter Erlebnisse noch einmal durch. Gespräche, einst in Paris oder Wien geführt, vernahm sie wieder vom ersten bis zum letzten Wort: nun hatten alle eine unerwartete Bedeutung bekommen. Die Personen standen aufs neue vor ihr. Das waren ja Liebhaber ... und das auch. Und jener dort ein betrogener Gatte. Damals hatte sie lächelnd wie im Traume dies alles mit angesehen. Der Schlüssel zu jenen wertvollen Träumen war ihr erst jetzt zufällig in die Hände gefallen. Nun öffnete sie einen jeden. Sie ging höchst belustigt umher und ließ aus den Winkeln ihres Gedächtnisses einen vergessenen Scherz nach dem andern hervorsteigen und verstand sie plötzlich alle. Wie ein um Jahre verspätetes Echo hallte ihr einsames Lachen durch die Säle.

      III

       Inhaltsverzeichnis

      Die Prinzessin Friederike bat die Herzogin von Assy mehrmals zu ihrem cercle intime. Da dies nichts half, schickte sie den Kammerherrn Baron Percossini, um ihr freundschaftliche Vorstellungen zu machen. Percossini deutete an, Ihre Königliche Hoheit sei der Meinung, daß die Herzogin sich vom Hofe fernhalte, um dem Thronfolger Versuchungen zu ersparen. Sie wisse ihr für soviel Delikatesse des Herzens unendlichen Dank; doch sei zur Zeit nichts zu fürchten. »Man entzieht Seiner Königlichen Hoheit zeitweilig die geistigen Getränke«, erklärte vertraulich der Kammerherr, »und Seine Königliche Hoheit sind sofort vollkommen inoffensiv.«

      Ein anderes Mal erkundigte er sich im Namen der Prinzessin, warum die Herzogin noch niemals zu den Strickabenden bei den Dames du Sacré-Cœur erschienen sei. Es würde so wertvoll sein für sie beide, wenn sie Fühlung miteinander gewinnen würden bei der gemeinsamen Arbeit für das Volk. Percossini setzte skeptisch lächelnd hinzu: »Hiermit meinten Ihre Königliche Hoheit die Suppen und die wollenen Westen.«

      Prinz Phili sandte ihr mehrere kläglich lautende Briefe. Er wisse wohl, sie arbeite am Untergang seines Hauses, doch verlange er es gar nicht besser. Wenn sie ihm nur verzeihen wolle!

      Der König Nikolaus knüpfte mit der schönen Frondeuse Verhandlungen an, die erfolglos blieben. Er verlieh Pavic und Rustschuk seinen Hausorden. Der Tribun nahm ihn gar nicht an, der Finanzmann schickte ihn nach dreitägigem Seelenkampfe zurück. Sooft ihr Wagen den des Königs kreuzte, begrüßte der alte Herr sie mit nachsichtigem Schmunzeln. Beate Schnaken drückte das Doppelkinn sehr tief in den Spitzenkragen. Ihre Gebärde


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