Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.
ins Bett des Tamburini?‹ dachten die Blà und die Herzogin gleichzeitig. Sie sahen sich an und errieten einander. Vinon lachte, und Lilian blickte, voll leidenden Hochmutes, über das ganze Zimmer hinweg, worin sie nur dem winzigen Stück eines Stuhlrandes und dem schmalen Raum unter ihren Füßen die Berührung mit ihrer Person gestattete. Die Greisin stampfte mit dem Krückstock.
»Aber ich gedenke hier durchaus nicht mein Leben zu beschließen. Einen Palast will ich mir noch erobern durch meine Tätigkeit, und reich und groß soll meine Familie wieder werden. Ich arbeite, und meine Kinder lohnen es mir mit Undank. Mein Sohn, der in Neapel ich weiß nicht wie lebt, kommt und macht mir Szenen und wirft mir meine Geschäfte vor. Kümmere ich mich etwa um die seinigen? Ich glaube fast, er läßt die Frauen zahlen!«
Sie greinte halberstickt.
»Und niemals unterstützt er davon die Seinigen!«
»Und Ihre Geschäfte?« fragte die Herzogin.
»Ah! Geschäfte! Unternehmungen! Bewegung! Ich will hundert Jahre alt werden! Ich werde eine Pension gründen, oh, ein bißchen feiner als diese hier. Fünfhundert Zimmer, Preis mit Verpflegung nur vier Lire, und dabei hochfein. So mache ich alle andern tot! Glauben Sie's mir?«
»Es scheint ...«
»Haha! Alle andern mache ich tot! Und werde hundert Jahre alt! Nur fehlt mir das Geld, um etwas anzufangen, und mit wieviel Niedertracht muß ich kämpfen, bis ich welches bekomme! Ich will Ihnen mein Geschäft mit der Versicherung erzählen. So eine Versicherung, hab ich gedacht, ist eine wunderschöne Sache. Man versichert sich recht hoch, dann veräußert man die Police und hat Geld, eine Pension zu gründen. Ich bin schon vierundsechzig, aber man nennt mir eine Gesellschaft, die statutengemäß bis zu fünfundsechzig aufnimmt. Der Arzt dieser Gesellschaft untersucht mich, ich sage ihm noch, er soll in seinen Bericht schreiben: ›Diese Dame wird hundert Jahre alt werden‹, und er tut es auch.«
»Herzlichen Glückwunsch.«
»Danke. Aber jetzt kommt die Niedertracht. Sie sollen selber sehen. Vinon, geh und hole meine Geschäftsmappe!«
Das junge Mädchen brachte ein hoch angeschwollenes schwarzes Portefeuille.
»Da sind die Briefe des Agenten und die Abschrift des ärztlichen Berichtes und alles übrige. Nun lassen die Leute mich sechs Wochen warten, und dann, würden Sie's für möglich halten, schreibt man mir, ich sei zu alt!«
»Das ist beleidigend«, bemerkte die Blà. »Sie können die Gesellschaft verklagen, Fürstin.«
»Wenn ihnen vierundsechzig zuviel ist, warum sagen sie erst, daß sie Personen bis zu fünfundsechzig aufnehmen? Oder ob ...«
Die Stimme der Greisin zitterte plötzlich.
»Oder ob sie doch eine Krankheit in mir entdeckt haben? Was meinen Sie dazu, Herzogin?«
»Das ist unwahrscheinlich, bei Ihrer Lebenskraft.«
»Nicht wahr? Ach was, ich bin ja gesünder als Sie! Mit Seiner Hilfe!«
Sie schielte nach oben und murmelte, sich bekreuzigend, etwas Unverständliches.
Die Pensionäre, die den Salon betreten wollten, wichen beim Anblick der fürstlichen Gesellschaft scheu von der Schwelle zurück. Nur ein junger Mann drang, zwischen den Zähnen pfeifend, ein und verbeugte sich leicht. Vinon hob unverschämt ihr Lorgnon vor die Augen, Lilian übersah ihn, und die Cucuru rief schallend: »Guten Tag, mein Sohn!« Darauf nahm er drüben Platz und langte nach einer Zeitung. Zwei Finger am Bärtchen, sah er mit einem zerstreuten Senkblick seiner weichen, schwarzen Augen nach der Herzogin aus; dann nach der Blà, und dann unentschieden hin und her zwischen beiden Damen. Schließlich überzeugte er sich, prüfend geneigten Hauptes, von der Lage seiner übergeschlagenen Beine und dem Sitz seiner zur Hälfte mattgelben, zur anderen Hälfte schwarz lackierten Schuhe. Er war der elegante Herr der Pension, der im Klub speiste und mit dem wohlfeilen Frühstück des Hauses Dominici nur nach Nächten vorliebnahm, in denen er schlechte Karten gehabt hatte. Er ward von den Gästen bewundert, die allein reisenden Engländerinnen schwärmten für ihn. Vinon Cucuru behandelte ihn mit gewollter Verachtung, doch gelang es ihr nicht, über ihn zu lachen.
Ihre Mutter schlug die Herzogin auf die Knie.
»Übrigens, Herzogin, haben wir zwei sehr viel Ähnlichkeit miteinander! Beide kein Geld, und beide aus den höchsten Kreisen. Mein Vermögen hat der Fürst, mein armer Mann, an die Komödianten verschenkt, na und auch mit Ihnen ist Komödie gespielt worden. Eine Revolution, ist das keine Komödie? Haha! Wie sind Sie nur darauf verfallen? Wozu dient so etwas?«
»Zur geselligen Unterhaltung, Fürstin«, sagte die Herzogin und lächelte der Blà zu, die es nicht bemerkte. Ihre Lippen waren leise geöffnet, sie hing mit fieberndem Ausdruck an der Gestalt des Fremden. Er wandte ihr zu bequemer Betrachtung sein Profil zu. Es war ein griechisches Profil, mit bläulich schwarzen, seidenen Haaren auf Wangen und Kinn. Auch die Herzogin hielt ihn für einen schönen Mann, einen von den sehr südlichen, auf deren Händen und Gesicht trotz aller Beräucherung durch Zigarettendampf, Absinthdünste und heiße menschliche Ausströmungen in Spiel- und Weiberhäusern doch unverwüstlich ein Rest liegenbleibt von dem durchsichtigen Marmorglanz der auf ihrer Heimaterde erwachsenen Götter. Aber konnte solche bezaubernde und leere Maske, dargeboten in selbstgefälligen Allerweltsposen, eine Frau, klug, fein und spöttisch wie die Blà, in krampfhaftes Schweigen versenken?
»Eine teure Unterhaltung!« schrie die Cucuru. »Endet damit, daß Ihre Partner Ihnen alle Taschen ausleeren und Ihnen die Tür vor der Nase zumachen. Plötzlich sehen Sie sich im Freien – und lachen noch?«
Die alte Dame ward von Wut bemeistert.
»Wie können Sie noch lachen bei solchen Schurkenstreichen. Ah! Die Schurken! Mit mir sollten sie's zu tun haben, anstatt mit einem Dämchen! Was ich für einen Lärm machen wollte und was für ein Leben! Leben! Bewegung! Hetzen wollte ich sie, die Diebe meines Geldes! Der Himmel sollte sie verschütten und die Erde sie verschlingen! Ich werde es nicht dulden, Herzogin, daß Sie sich beruhigen! Statt Ihrer werde ich selbst den Räubern auf den Buckel springen, sie kratzen und ihren Klauen entreißen, was ich bekommen kann. Haha, verlassen Sie sich darauf, ich werde etwas bekommen! Ich werde ...«
Plötzlich stürzte Pavic ins Zimmer, rosig gefärbt und fast verjüngt. Er rief aufgeregt:
»Etwas Wichtiges, Hoheit. Endlich finde ich Sie. Ein großes Glück für uns, eine sichere Aussicht ... Ja so, Piselli, woher kommen denn Sie?«
Der elegante junge Mann trat mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. Pavic hatte ihn auf dem Korso kennengelernt, in irgendeinem Kaffeehause, unter den Genossen des müßigen Lebens, zu dem er jetzt selber verurteilt war. Er stellte ihn der Herzogin vor:
»Herr Orfeo Piselli, ein Kollege, ein ausgezeichneter Advokat ... und auch ein Patriot.«
Während Piselli seine geschmeidigen Verbeugungen machte, überstürzte Pavic seine Worte.
»Ich komme nämlich von San Bacco, ich habe mit ihm eine Konferenz gehabt, er läßt Ihnen offiziell sagen, Frau Herzogin, daß er bereit ist, mit tausend Garibaldianern in Dalmatien einzufallen. Der Erfolg ist gar nicht zweifelhaft. Alles ist gerüstet, die Tausend warten bloß auf das Zeichen. Wir müssen noch Schiffe mieten, dann kann es losgehen. Nehmen Sie an, Hoheit, nehmen Sie an! Diesmal ist der Sieg unser ... Lauter erprobte Helden ...«
Er redete um so nachdrücklicher, je ungläubiger die Mienen seiner Hörerinnen wurden. Noch stand er unter dem Sturzbad von Begeisterung, das erst eben, ganz frisch, von einem ritterlichen Schwärmer über ihn ausgeschüttet war. Er fühlte es noch sprudeln, er wollte begeistert sein – und insgeheim bangte ihm dennoch schon vor der Ernüchterung. Piselli fiel ihm ins Wort, säuselnd, mit einschmeichelndem Bariton.
»Diesmal, Herzogin, gehört der Sieg Ihnen! Nehmen Sie an, ich kann es kaum erwarten, – ah, was spreche ich von mir; die ganze idealistische Jugend kann es kaum erwarten. Wir alle wollen den großen Kampf mitkämpfen, Herzogin, für ein Lächeln von Ihnen. Wenn Sie wüßten, wie unser aller Herzen für Sie