Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.
unwiderstehliche Zauber des Namens der Tausend von Marsala wird vor Ihren Fahnen hergehen, als ein Schicksal, dem alle sich beugen. Sie siegen ... und wir ... wir ...«
Er ließ seinen glücklichen Blick unter den Damen kreisen. Es lag ihm fern, sein Organ anzustrengen. Nur ganz oberflächlich spielte er mit dem ausschweifenden Gefühl, das in des Tribunen Stimme sich überschlagen hatte, und ließ ruhigen Mutes merken, es sei ein Spiel. »Ich führe mich Ihnen vor«, schien er zu sagen. »Meine Damen, ist das nicht genug?«
Die Herzogin erlaubte ihm, mit seinen Wohlklängen fertig zu werden; sie fand ihn angenehm vor Augen zu haben. ›Er ist ein wohlgeratener Mensch‹, dachte sie, ›und hat recht, wenn er mit sich zufrieden ist.‹ Wegen des Planes, den man ihr vortrug, hatte sie keine Bedenken. Sie fragte achselzuckend die Blà um Rat. Doch ihre Freundin kam nicht los von Piselli. Sie sah aus, als verursache sein Anblick ihr einen körperlichen Schmerz, der sie beselige.
Aber die Cucuru brach los; ihre Stirn war schon lange gerötet.
»Hört ihr endlich auf mit eurem Unsinn? Mit euren tausend lächerlichen roten Hemden wollt ihr ein Königreich erobern, das Soldaten hat? Ihr meint wohl, es gehe überall wie in Neapel: alle Welt bestochen und alles im voraus abgemacht, Kanonen mit Blumen gefüllt und mit Knallbonbons, und von den Mauern reichen schöne Mädchen den Stürmenden die Hände. Nicht wahr, so denkt ihr's euch? So denkt ein Narr wie San Bacco sich das Leben. Auch einer, den die Komödie all sein Geld gekostet hat. Patriotismus und Freiheit, welch alberne Komödientitel!«
Sie stieß, außer sich bei dem Gedanken an all das für Ideale verschwendete Geld, mit der Krücke nach der Herzogin, die zusammenschrak.
»Geht ihr nur mit euren tausend Hampelmännern nach Dalmatien! Nichts wird dabei herauskommen, nichts, als daß man euch auch nur noch euer letztes Geld wegnimmt, falls ihr noch ein letztes habt! Und nichts werdet ihr wiederbekommen, gar nichts, gar nichts, gar nichts!«
Plötzlich saß sie da wie gelähmt. Der Mund blieb offen stehen, die Zunge lag dick aufgerollt zwischen den Zähnen. Sie hatte mitten im Sprechen eine Eingebung gehabt, die sie überwältigte. Nach einer Weile ängstlichen Wartens sah man die alte Dame das Gebiß schließen und sinnend vor sich hin murmeln.
Die Herzogin und die Blà verabschiedeten sich. Piselli hatte wieder zu sprechen begonnen. Er rühmte seine Beziehungen zu der vornehmen Jugend und nannte die stolzesten Namen.
»Alle diese Herren sehe ich täglich im Klub. Mit vielen habe ich schon von Ihrer Sache gesprochen, Herzogin. Ich kann unendlich viel für Sie tun. Die Damen kennen sicher den Prinzen Maffa. Das ist mein Freund ...«
Bei der Erwähnung dieses Namens hörte man ein dumpfes Aufstöhnen. Lilian Cucuru entfernte sich ohne ein Wort. Piselli ließ sich dadurch nicht stören. Jede Wirkung seiner Persönlichkeit war ihm recht; nur wirken mußte sie. Er ging mit Pavic hinter den beiden Frauen her. Draußen atmete er im Nacken der Blà und redete nur für sie. Der Instinkt des berufsmäßigen schönen Mannes hatte ihm längst gesagt, wo das Weib sei.
Sie faßte sich. Sie lächelte ihm über die Schulter zu, ihre Augen bekamen einen künstlichen Glanz, wie von Atropintropfen. Sie gab ihren Geist zum besten, und Piselli wand sich vor Bewunderung.
»Contessa, ich habe Ihre Gedichte gelesen. Welch Schmelz, welch Blütenstaub! Ach, die Gefühle! Wer kennt nicht Ihre ›Schwarzen Rosen‹? Sie sind eine Berühmtheit, Contessa. Ein Verehrer mehr oder weniger, der Ihnen einige Minuten raubt, was macht Ihnen das! Ich darf Sie besuchen, Contessa? Sie gestatten es?«
Die Herzogin sagte:
»Ich weiß nicht, die Cucuru hat etwas Pittoreskes, von gemeiner Ängstlichkeit ist sie weit entfernt. Möglichenfalls wäre sie zu manchen ungewöhnlichen Handlungen fähig. Sie sagt mir beinahe zu.«
Kaum war die Haustür hinter den Besuchern geschlossen, so wurden Lilian und Vinon von der Mutter in das Wohnzimmer der Familie geschoben. Sie riegelte ab und humpelte in die Mitte des Gemachs. Ihre Gestalt verbreiterte sich seltsam nach unten; ihr Fett hatte die Neigung, in gewellten Klumpen herabzurutschen, von den Wangen auf den Hals, vom Hals auf den Busen, vom Busen auf den Bauch und vom Bauch auf die Beine. Den Stock entlang, an dem die Alte sich aufrecht erhielt, wollte es scheinbar hinabfließen, um auf dem Boden einen Brei zu bilden. So stand die Fürstin, schnaufend und heiter äugelnd, vor ihren hohen blonden Töchtern.
»Was ist denn?« fragte Lilian kurz.
»Kinder, ich habe ein neues Geschäft!«
Vinon jubelte hell auf:
»Maman hat ein Geschäft!«
Lilian erklärte verächtlich:
»Maman, du machst dich lächerlich. Eben erst hat dich eine Versicherungsgesellschaft zum besten gehalten, und du bist noch nicht zufrieden?«
»Die Schurken von der Versicherung, mit denen bin ich fertig. Sie werden es übrigens bereuen. Jetzt bin ich in der Lage, wichtige politische Dienste zu leisten, die man mir hoch bezahlen wird. Davon errichte ich dann eine Pension.«
»Und wirst hundert Jahre alt. Kennen wir.«
»Hört doch nur zu, Kinderchen, ich bitte euch. Vorhin meinte ich, daß bei dem unsinnigen Geschwätz von ihrem Einfall in Dalmatien gar nichts herauskäme. Aber es kommt doch etwas heraus, das habe ich gleich darauf gemerkt. Ich werde nämlich von dem Plane des Narren San Bacco Seine Exzellenz den dalmatinischen Gesandten in Kenntnis setzen.
Was meint ihr, daß das Geschäft einbringen kann?«
»Ein nettes Geschäft«, meinte Lilian. »Maman, deine Industrien werden immer ordinärer.«
»Das habe ich davon«, so greinte die Cucuru. »Ich opfere mich für sie, und so danken sie's mir. Euch muß man zu eurem Glücke zwingen, ihr Kindchen ... Und ich zwing euch!« schrie sie, aufstampfend, hochrot, wild und boshaft. »Ich leg euch noch in die Betten von steinreichen Männern und erobere mir all das Geld, das die Gauner mir nicht geben wollen, und mache unser Haus groß und lebe ... lebe.«
»Maman, deine Lebenslust ist nachgerade widerlich«, sagte Lilian, weiß und kalt. Sie entschädigte sich in der Vertraulichkeit solcher Unterredungen für alle Vergewaltigungen, die sie draußen erfuhr.
»Deine Geschäfte werden dich vor Gericht führen, so endest du.«
Die Alte keifte dagegen.
»Und wo wirst denn du enden, du schlechte Tochter? In einem Hause, das ich gar nicht nennen will!«
Lilian ging ins Schlafzimmer und schlug die Tür zu.
»Du bist besser als deine Schwester«, sagte die Cucuru zu Vinon. »Geh, Töchterchen, zur Wirtin und bitte sie um einen großen Bogen weißen Papiers und um Tinte; die unsrige ist eingetrocknet. So ist es recht, setze dich an den Tisch, wir schreiben dem Gesandten. Als ob das nicht ein ausgezeichnetes Geschäft wäre; was will denn jene? Was gehört alles dazu, damit einem so etwas einfällt, und wieviel Arbeit habe ich nun davon! Ah, Unternehmungen! Bewegung! Leben! Sie werden mir Geld geben müssen, die Schurken, für meine Nachrichten, und ich werde etwas zurückgeholt haben von dem, was sie der armen Herzogin gestohlen haben ... der armen, törichten Herzogin«, wiederholte sie schadenfroh und weinerlich.
Vinon ordnete ihr Schreibgerät vor sich auf dem Tische, sie zog Linien, sauber und genau, und begann dem Diktat der Mutter zu folgen.
»Wir schreiben Französisch, meine Vinon, das ist die Diplomatensprache. Nimm dein Wörterbuch zur Hand.«
Die junge Prinzessin schlug Vokabeln nach, die Ellenbogen auf dem Tische, ernst und vertieft wie ein Schulmädchen.
»Das ist einmal eine Arbeit«, stöhnte die Fürstin, »mir brummt schon mein Kopf. Ich brauche eine Anregung. Lilian, mein Kind, reiche mir die Schachtel mit den Zigaretten.«
Das Schlafzimmer war, da die Damen es spät verlassen hatten, noch nicht aufgeräumt. Lilian kehrte in den Salon zurück; es gehörte ihr kein dritter Raum. Sie hob einen alten Morgenrock auf, dessen Saum herabhing, und durchkostete eine lange Weile, mit untätigen Händen, die