Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.
Hüften waren gerade soviel enger als die Brust wie bei dem Hermes hinter ihm. Piselli stand da, durchtrieben spannkräftig, gleich dem Gotte. Jeder Muskel an ihm wußte, daß Frauenaugen ihm zusahen. Die Blà hatte rosige Wangen und feuchte Augen; sie versetzte:
»So, er hat aufgehört. Nun darfst du mir sagen, Violante, was du meinst, wenn du die Freiheit nennst. Denn jeder denkt sich bei solchem Wort, das alle lieben, sein Liebstes.«
Die Herzogin antwortete:
»Ich, Bice, ich denke an einige Dutzend Hirten, Bauern, Banditen, Schiffer und an hagere, feine Leiber, die zwischen den Steinen meiner Heimaterde vor meinen Blicken aufwuchsen. Sie waren dunkel, starr, ihr Schweigen war wild, Fell und Glieder bildeten eine einzige Linie aus Bronze. Ich will, daß Luft und Land so stark werden wie sie: das nenne ich Freiheit.«
»Und ich«, erklärte die Blà, »ich bin frei, wenn ich leiden darf. Das Volk, für das ich mich in Gefahren stürzte, sollte es mir so übel lohnen wie dir, Violante – denn es läßt deine Verbannung geschehen –, und ich wäre schon beseligt.«
»Du bist bescheiden, Bice.«
»Bescheiden?«
Sie lächelte.
»Ich verlange sehr viel Leiden, weißt du ... und wenn zufällig ein Martyrium daraus würde, vielleicht ...«
»Das darf niemand hören«, sagte die Herzogin.
Doch Piselli verstand, seinem teilnahmsvollen Mienenspiel zum Trotz, von ihrer Unterhaltung kein Wort; denn sie sprachen französisch.
Die Blà begann wieder:
»Ganz im Ernst, ich bin nicht uneigennützig. Das bist nur du, Violante, nur du willst von der Freiheit nichts für dich. Pavic will von ihr Beifall, Ruhm und das Hochgefühl, das klatschende, stöhnende Volksmassen ihm verschaffen. San Bacco will um sich hauen, und das Wort Freiheit hat ihm dazu gedient, sein Leben lang in Bewegung zu bleiben. Alles Selbstsüchtige!«
»Und dein Orfeo?«
»Ach, Orfeo! Er spricht von der Freiheit so verhalten wohllautend und so feurig stolz. Aber ich habe ihn im Verdacht, seine Freiheit ist die Möglichkeit, jede Nacht mit vollen Taschen lumpen zu gehen.«
Piselli rollte große, süße Augen. Er hörte seinen Namen fallen und horchte argwöhnisch und vergeblich auf den Zusammenhang, in dem es geschah. Allmählich fühlte er sich gereizt durch die leichten, raschelnden Geschöpfe, die dort vor seinen Augen plapperten, lauter nicht zu überwachende Dinge und vielleicht sogar anzügliche. Er war ein Mann und hätte es in der Ordnung gefunden, sie zur Ruhe und Unterwürfigkeit zurückzutreiben, mit einigen kräftigen Griffen seiner mattweißen Hand, die Übung besaß im Anfassen von Weibern oder auch durch eine Zote. Und je böser sein Sinn ward, desto glücklicher und anmutiger seine Haltung. Bloß seine Miene wurde ratlos hin und her gezerrt von Gefallsucht und von Wut. Sein Körper allein hatte Manieren gelernt. In sein Gesicht aber traten, naiv und tierisch ungezügelt, alle seine Gefühle. Die Herzogin bemerkte es gar nicht; Piselli war für sie eine bewundernswerte Form ohne Inhalt. Nur die Blà lächelte ängstlich. Die Herzogin sah, beim Sprechen und beim Träumen, an seinen Gliedern entlang, wie an denen des Hermes hinter ihm. Er hätte nackt dort stehen dürfen, so gut wie der andere, und hätte sie nicht verwundert, sondern nur erfreut.
Die Herzogin fragte langsam:
»Und dabei liebst du ihn?«
»Ja doch, mein Mitleid liebt den Armen.«
»Mitleid mit ... dem da! Wenn er das Wort verstände, er würde dich auslachen. Er ist ja gesund, begehrt und selbstgewiß über die Maßen. Vielleicht würde er auch sehr böse werden.«
»Niemals. Es wäre ihm ganz gleich. Erbittert durch Mitleid werden nur Kranke; glaube einer barmherzigen Schwester ... Er fühlt sich stark und überlegen – und ich bemitleide gerade seine Schönheit und seine Ungebrochenheit und seine Erfolge und die Ruhe und die Wucht, mit der er sie genießt. Wir andern, wir Schwachen, nicht wahr, wir bändigen unser Geschick durch ein wenig Geist. Für ihn aber gibt es nur Zufall, Spielerglück und -unglück. Er wappnet sich gegen das Leben mit Fetischgläubigkeit und Vertrauen auf gute Karten. Er ist von Geblüt ein Campagnole, der nicht ahnt, woher er kommt, und von Natur ein Spieler und weiß von keiner Zukunft. Er ist nur das Abenteuer eines Augenblicks, der Arme. Wenn ich hinabsehe in den wunderbaren, dunkeln Brunnen seiner Augen – was schläft alles da drunten, ihm selber unbekannt und bestimmt, eines Tages emporgewühlt zu werden. Instinkte! Dunkel und trüb wie die namenlosen Reihen der Hauern, die hinter seiner Geburt entschwinden. Schicksale! Vielleicht Prunk und Triumph, vielleicht Elend ... vielleicht ... Blut.«
»Du bist eine Dichterin, Bice! Und in den Stunden der Nüchternheit? Denn natürlich liebst du ihn nur auf Augenblicke.«
»Nein ... immer!«
»Immer? Was für ein Wort! Immer, Bice, werden doch nur wir Frauen geliebt. Wenn wir nämlich in uns selbst ruhen, recht hübsch still sitzen, die Hände zusammenlegen, ins Kerzenlicht blicken und lächeln. So ersehnen uns die Männer: Einer in Paris, der sich beobachtet hatte, hat es mir gesagt: übrigens wußte ich es ... Aber der Mann! Der gilt nicht seine Taille und sein Grübchen, sondern seine Taten und seinen Geist. Mit ihnen steigt und fällt er. Er kann es nur in sehr glücklichen Augenblicken bis zum Geliebtwerden bringen.«
Sie zögerte, und Pavic' Name blieb ungenannt, aus jener zärtlichen Scham, die der Herzogin erst bekannt war, seit sie eine Freundin hatte.
»Der Mann, den ich einmal liebte, war zuweilen groß und Held. Die übrige Zeit kannte ich ihn gar nicht.«
Die Blà versetzte:
»Arme Violante. Ich halte Orfeo immer für groß – in der Liebe. Braucht ein Mann, den ich liebe, sonst in etwas groß zu sein? Er besorgt alle Gänge für mich, er holt meine Gelder von den Redaktionen. Vielleicht will er wissen, wieviel ich verdiene. Ich aber glaube, er erspart mir jeden Schritt in die Prosa, er breitet Blumen unter meine Füße und füllt damit mein Zimmer.«
Beim Weggehen drückte die Herzogin Pisellis Hand zur Belohnung, weil er so schön gestanden und ihr Gesichtsfeld geschmückt hatte. Sie verspürte Lust, ihm etwas Süßes in den Mund zu stecken.
Piselli reckte sich und rief aus:
»Welch Glück! Wir sind allein!«
Er umschlang die Blà und trat mit ihr, in der Versunkenheit eines Bühnenglücks, vor das weit und blau klaffende Fenster.
Sie sah bittend nach seinen gefalteten Brauen.
»Du biegst deinen Kopf so liebevoll, und er sieht doch wild aus.«
Zum Erschrecken plötzlich brach seine üble Laune los.
»Diese Frau mag der Teufel holen!«
»Aber Orfeo!«
»Welch ein Hochmut!« so knirschte er und warf die Arme in die Luft.
»Welch ein Hochmut! Aber er wird gestraft! Sie soll nur warten, solch ein Hochmut wird gestraft!«
»Mein Gott! Was hat sie dir getan?«
»Mir? Gar nichts. Und was sollte sie mir tun? Will ich denn etwas von ihr? Für soviel Hochmut ist sie überhaupt nicht schön genug!«
»Aber ... Sie ist ja so schön! So wunderschön!«
»Ach was, ich kenne hundert Schönere ... dich zum Beispiel«, setzte er herablassend hinzu.
»Und erstens ist sie kalt, abscheulich kalt. Das schließt schon jede Schönheit aus. Ich verlange ganz etwas anderes. Aber ganz etwas anderes. Die rechte Frau ... Da haben wir's!«
Er beruhigte sich.
»Sie ist keine rechte Frau!«
»Orfeo, sie ist meine Freundin.«
»Das ist gleich. Ich verkehre nicht gern mit ihr. Solch eine Frau ... überhaupt, wer anders ist als die andern, bringt Unglück, das weiß man. Ich will dir