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Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy - Heinrich Mann


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merke das schon. Seit ich sie kenne, bin ich im Verlieren.«

      Er murmelte noch:

      »Dabei muß etwas geschehen.«

      »Was denn, ich bitte dich«, fragte sie ängstlich.

      »Du wirst sehen.«

      Er aß einige Kuchen, nahm einen Schluck Likör und zündete eine Zigarette an. Darauf fühlte er sich wiederhergestellt, und sie gingen aus. Im ersten Laden, an dem sie vorbeikamen, kaufte Piselli ein dickes Bündel hörnerner Breloques und hängte sie sich vor den Magen.

      »So, jetzt mag sie mir wieder begegnen.«

      Die Blà lächelte gerührt. Sie ermunterte ihn.

      »Recht so. Vergiß nur niemals deinen Talisman. Wer sollte dir jetzt noch Unglück bringen.«

      In eine Kirche am Korso drängte Volk. Piselli zog seine Freundin hinterher. Die Priester des Tempels beendeten eben die Zurüstungen für das Fest ihres Heiligen; in einer Kapelle im Hintergrunde befestigten sie die letzten Kränze. Der Boden des schmalen Gelasses stand voll von Körben mit Papierblumen, daraus erhoben sich brennende Kerzen. Sie erklommen in gedrängtem Zuge und fortwährend anschwellend an Höhe und Umfang den Altar. Zu Seiten des Kreuzes flammten zwei wächserne Türme. Und über dem von roten Lichtern durchirrten Gewoge falscher Blüten schaukelte sich an Ketten der Silberschatz: Ampeln, Kessel und Krüge, matt und alt schimmernd oder mit aufdringlichem Geglitzer, köstlich gebogenes Prunkgerät, belebt von schwellenden Bildern, neben Tand aus dem nächsten Basar. Die Pupillen, die in all diesen Zauber hineinstarrten, erweiterten sich und wurden fromm.

      Piselli breitete sein Schnupftuch über die staubigen Fliesen und kniete darauf hin. Er zog aus der Tasche seinen um ein Spiel Karten gewickelten Rosenkranz. Die Blà neigte sich neben ihm über einen Betstuhl. Sie atmete leise den süßen Rauch ein, der ihr aus lautlos geschwungenem Becken zuwehte, und durchkostete den reizvollen Schmerz des Kreuzes, nach dem sie sich sehnte, ohne daran zu glauben. Piselli bekreuzigte sich ein über das andere Mal; er roch nach Chypre, aber seine Furcht und seine Brunst erhöhten sich vor seinem Gotte zu ebenso dumpfer Ehrfurcht und Inbrunst wie bei den Gläubigen vor und hinter ihm, die nach Knoblauch stanken. Den Geist der Blà durchkreisten feine und schwache Erinnerungen eines Mystizismus, der eine Gemeinde geschmackvoller und müder Lateiner verlockte, und fielen endlich, wehmütige Blätter im Treiben des Herbstwindes, zu einem Kranze zusammen, der ein welk und süßlich duftendes Gedicht war. Piselli verschlang mit Augen, die vor Gier verblödeten, den buntstrotzenden Heiligen aus Wachs hinter dem Gitter seiner Krypta. Seine Finger und Lippen überhasteten die Gebete; er fühlte sie erhört und sah bereits die Karten vor sich, mit denen er gewinnen sollte. Darauf standen die Liebenden auf und gingen weiter, Seite an Seite, wie in ganz derselben Welt.

      Der Heilige täuschte Pisellis Vertrauen. Am folgenden Tage sah die Blà es ihrem Orfeo an, er hatte verloren. Es war eine ungewöhnliche Summe, und er schuldete sie dem Prinzen Maffa auf Ehrenwort. Sie raffte ihre Ersparnisse und allen ihren Kredit bei ihren Verlegern zusammen, um ihn zu retten. Er nahm das Geld ohne Ziererei. Es war für die Blà ein freudiger Augenblick. Schon nach achtundvierzig Stunden hatte er alles zurückgewonnen und übergab es ihr in einer Börse aus Atlas, bestickt mit echten Perlen. Aber bald durfte sie ihm wieder, und im Laufe der Zeit immer häufiger, mit kleinen und großen Beträgen aushelfen. Sie lernte jetzt kühle Gesichter bei sonst ritterlichen männlichen Kollegen kennen, wenn sie Artikel bezahlt haben wollte, die noch nicht geschrieben waren. Die kleinen Blätter gaben ihr Manuskripte zurück, um keine Vorschüsse erlegen zu müssen. Sie aber trottete, elegant und rosig, mit ihrem besonnenen, frauenhaften Schritt unermüdlich über den Asphalt, hin und her zwischen den Zeitungen, den Literaturmaklern, kleinen Wucherern und wohlhabenden Freunden. Und Piselli trat unter seine Klubgenossen nie anders als mit ebenbürtig gefüllten Taschen. Sie begann ihre Entbehrungen zu spüren, ihr Leiden hob an, und wo sie erschien, ging es hold von ihr aus wie das Glück eines geliebten Schicksals. Im Frühling veröffentlichte man die Verse, die sie ihrer Bekanntschaft mit Orfeo verdankte. Sie hatten einen lauten, schwärmerischen Erfolg bei Frauen und jungen Leuten. Die Blà rechnete aus, daß das kleine Buch ihr einige tausend Franken eingebracht haben würde. Sie hatte es, als Piselli sich einmal in einer angstvollen Verlustkrise befand, für zweihundert Lire verschleudert.

      Freitags versammelte man sich noch immer beim Kardinal. Monsignor Tamburini fühlte die Verpflichtung, der Herzogin für die starken Summen, die sie den revolutionären Umtrieben der dalmatinischen Geistlichkeit widmete, hie und da eine Genugtuung zu gönnen. In langen Zwischenräumen zeigte sich im Palast an der Lungara irgendein hagerer Bettelmönch, der mit großen Gebärden, phantastisch in flatternden Ärmeln, beim spärlichen Lampenlicht in der Mitte eines übermäßig hohen, an allen Wänden von Dunkel umlagerten Saales, eine seiner Predigten wiederholte. Sie war unglaublich fanatisch, mystisch und mordgierig. Er wollte sie auf offener Kanzel in einer gefüllten Dorfkirche gehalten haben, und der Kardinal, der mit Wohlwollen zuhörte, sagte sich, daß die Machthaber, die einen so unverblümten Redner noch heute frei umherlaufen ließen, verrückt sein müßten. Die Cucuru stemmte, weit vorgebeugt, die Arme auf die Knie und klappte schallend das Gebiß zu. Die Blà träumte vor sich hin, und Monsignor Tamburini beaufsichtigte die Vorstellung als ein strenger Regisseur, reglos und ohne Anerkennung. Tags darauf gedachten nur noch er und die Herzogin der schnell verflüchtigten Erscheinung. Wenn weiter nichts vorgefallen war, ließ man Pavic sprechen; er erzählte von seinem politischen Klub.

      Seit ihm mit der Verwaltung der Kasse auch die Möglichkeit eines vornehm genährten Seelenleidens fortgenommen war, wurde er immer fetter und trübsinniger. Sein Fett stammte aus schlechten Garküchen, ranzig wie sein Trübsinn, und sein erstickter Haß auf seine Herrin vermehrte sich um den vollen Betrag der Schulden, die ihn jetzt drückten. Der Tribun schlich umher auf Promenaden und in Kaffeehäusern wie ein frühzeitig abgedankter Opernsänger, mit verbundenem Hals, planlos, nörgelnd und nicht mehr ganz sauber. An Tagen, wo er keine Aussicht hatte, sich irgendeinem Zuhörer vorführen zu können, ging er an allem vorüber, auch an seinem Waschtisch; denn es ekelte ihn vor den Verrichtungen des täglichen Lebens, das auf keine Tribüne mehr mündete. »Was wollen Sie, ich brauche den Erfolg«, so seufzte Pavic, sooft er im Blicke eines Bekannten die Verwunderung über seinen Verfall las.

      Und den Erfolg, der ihm in heller Öffentlichkeit versagt blieb, er ergatterte ihn nun in Hinterstuben. Es war in dem Keller eines Neubaues, weit draußen vor Porta Sant' Agnese, wo ein paar geflüchtete Landsleute zusammenkamen, Handwerker, Lastträger und Straßenverkäufer. Sie trockneten sich zweimal die Woche den Schweiß der schweren Arbeit, zu der die Fremde sie verdammte, von den Händen und reckten sie zu ihrem Apostel empor –, und mit den Händen die Seelen, die so übervoll waren von Selbstmitleiden, Beklemmung und der Sucht nach Wiedervergeltung, Befreiung, Herrschaft, Rachegelagen. In diesem Keller, der an Katakomben grenzte und fast schon dazugehörte, unter den gequälten Schatten der Armen, von qualmenden Tonlampen auf triefende Mauern geworfen – hier in der Konventikelluft erster Christen war Pavic nochmals Held. So gut versteckt, frönte er den Ausschweifungen des Gefühls und starb zum hundertsten Male, mit ausgebreiteten Armen, röchelnd an einem nicht vorhandenen Kreuz, das alle sahen. Darauf stieg er wieder ans Licht, rotfleckig im Gesicht, unheimlich ermuntert und zu täppischen Scherzen aufgelegt: ein heimlicher Trinker, der sich kaum noch darauf besann, daß er einst bei Bacchanalen unter blauem Himmel ein großartiger Genießer gewesen war.

      Am Freitag berichtete er dann:

      »Wie diese Menschen mich lieben! Ah! Nichts erwärmt ein Leben so, wie die Liebe eines Volkes. Ich darf sagen, für sie bin ich ein Halbgott!«

      ›Ein Halbgott zum Weinen‹, dachte die Blà. Die Cucuru platzte einfach aus.

      »Und ich kenne einen jeden nach Namen, Herkunft und Geschichte! Alle werden wegen lauterer Gesinnung verfolgt, wie ich, und wie Sie selber, Herzogin. Einer hat gestohlen.«

      »Mir zu Gefallen?« fragte sie.

      »Seinem Ideale folgend. Denn der Eigentumsbegriff ist dem einfachen Gemüte nicht natürlich. Und als die Revolution losbrechen sollte, da hielt er die Stunde für gekommen und ... stahl. Ein anderer bringt eine Puppe in Generalsuniform mit, die auf einem Pfahl steckt. Er dreht sie sehr rasch um den


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