FILM-KONZEPTE 61 - Jonas Mekas. Ann-Christin EikenbuschЧитать онлайн книгу.
das sich, je nach Situation, in einem nostalgischen, zuweilen pathetischen Modus und an anderer Stelle wiederum in einem optimistischen, lebensbejahenden Gesang offenbart. Wer einen Film von ihm zum ersten Mal sah, konnte sich des Eindrucks kaum erwehren, als erhalte er Zugang zu einem intimen Gedankenstrom, der sich neben den Filmaufnahmen auch in den Schriftbildern und seiner Stimme manifestierte.
Auf diese Weise sammelte Mekas unerlässlich Erinnerungsbilder für die Geschichte einer Zeit und einer Stimmung, die auch seine eigene war, und ließ uns in Form audiovisueller Tagebücher, sogenannter Diary Films, teilhaben an seinem facettenreichen Leben – als Künstler und Privatperson gleichermaßen. Verschiedenste Bild-Kombinationen legen von dieser Verbindung Zeugnis ab: Ein Treffen der Film-Makers’ Cooperative, jener von Mekas mitbegründeten Einrichtung zur Förderung und Verbreitung des unabhängigen Films, wird mit dem ersten Schnee des Jahres in New York verknüpft oder ein Familienausflug nach Montauk folgt auf die Dokumentation von John Lennons und Yoko Onos Performance Bed-In for Peace (1969).
Leben, das hieß für Mekas also, immerfort zu filmen. In den verschiedensten Medien und Formaten – von der Bolex-, über die Video- bis hin zur Digitalkamera – versuchte er, die zahllosen filmischen Lebenspartikel durch die rhythmische Anordnung von Musik, Stimme, Schrift und Bild zu gestalteter Erinnerung zu verdichten. »Cinema is light, movement, sun light, heart beating, breathing, light, frames« sagt er an einer Stelle in WALDEN und verweist damit nicht zuletzt auf seinen signaturhaften Stil, dem ein geradezu impressionistischer Duktus eignet und der die (materiellen) Grundlagen nicht allein seiner, sondern nahezu jeder filmischen Arbeit vor Augen führt.
Im Laufe seines Schaffens erprobte Mekas seine künstlerische Selbstdarstellung, die in immer neuen Identitätsentwürfen mündete, stetig aufs neue. Es ist gerade diese Rastlosigkeit, die Mekas’ Leben und seine Arbeitsweise im Kern auszeichnet: Er betätigte sich als Aktivist und Poet, als Kurator und Förderer, als Grenzgänger zwischen verschiedenen künstlerischen Ausdrucksmitteln und Dispositiven. Ob auf dem Papier oder auf der Leinwand, in der Galerie oder dem Museum, dem Fast-Food-Restaurant oder der Modeboutique – nahezu überall hinterließ Mekas seine Spuren. Seine Werke vollführten so einen logischen Zirkelschluss: In die Sphäre des Alltäglichen, der sie entstammten, kehrten sie schließlich im Rezeptionsprozess wieder zurück.
Jonas Mekas vor den Anthology Film Archives in der 32 Second Avenue in New York.
Es gibt dabei eine Reihe von rekurrenten Themen, die in der von Mekas betriebenen Historiografie des eigenen Lebens immer wieder aufscheinen: Heimat und Exil, Freundschaft und Familie, Zeitlichkeit und Vergänglichkeit, Privatheit und Öffentlichkeit, Freiheit und Gebundenheit, Realität und Fiktion – Dichotomien, die auf einen permanenten Spannungszustand hindeuten, der seine künstlerische Arbeit einerseits anregte, von ihr aber nicht aufgelöst wurde.
Die Versuchung ist groß, die filmischen Erzeugnisse dieses Dichter-Filmers auch als eine Literatur mit anderen Mitteln zu beschreiben. Zweifellos lassen sich Kontinuitäten zur vorausgehenden schriftstellerischen Tätigkeit nachweisen, doch lässt sich die Übernahme literarischer Strategien in Mekas’ Filmen nicht allein durch seine künstlerischen Anfänge als Dichter in Litauen erklären. In seinen Diary Films bekennt er sich ebenso zu Alexandre Astrucs Theorie der caméra stylo, die in etwa zu jener Zeit eine breite Rezeption erfuhr, als Mekas seine erste Kamera erwarb. Auf geradezu paradigmatische Weise wird in den Tagebuchfilmen die Kamera zum Federhalter, der die Erlebnisse in rasch hingeworfenen »sketches« und »notes« festhält – und so auch die Frische und Unmittelbarkeit jener Augenblicke bewahrt. Das Flüchtige, Momenthafte ins Bild zu setzen oder (wie in den Frozen Film Frames) ins Bild zu bannen, hat Mekas zu einer gewissen Meisterschaft gebracht – darin ist er einem anderen Zeitgenossen, dem Fotografen Henri-Cartier Bresson, durchaus vergleichbar.
Die technologischen Fortschritte, die sich während seiner fast 70-jährigen Schaffenszeit ergaben, boten sich ihm dabei als sich stets erneuernde Ausdrucksmöglichkeiten an – vom 16-mm-Film über die (digitale) Videotechnik bis hin zur Selbstdarstellungsplattform par excellence, dem Internet. Anstelle der stakkatoartigen Aneinanderreihung durch die Einzelbildschaltung seiner Bolex übertrug Mekas die Fluidität der Videotechnik gleichsam auf seine Aufnahmepraxis. A WALK (1990) etwa ist nicht nur ein Porträt des Stadtteils SoHo im New Yorker Bezirk Manhattan, sondern ein als Plansequenz gestalteter Spaziergang durch ein Areal der Erinnerung, in dessen Verlauf an nahezu jeder Ecke, an jedem Stein ein Fenster in die Vergangenheit aufgestoßen wird. Mekas schreitet hier den Weg seiner Vergangenheit ab und entwirft damit zugleich eine Karte der zeitgenössischen Kunstszene und seines persönlichen Lebens. Durch die Fluidität des Mediums werden Räumlichkeit und Zeitlichkeit plötzlich erfahrbar, weil sie als größtenteils geschlossene Faktoren auftreten – ein Effekt, der durch lange Einstellungen, den Synchronton sowie die zuweilen extrem bewegliche, geradezu ›vibrierende‹ Kamera erzeugt wird, deren Fokus sich durch Zooms oder Reiß-Schwenks immer dann rasch ändert, wenn sich die Aufmerksamkeit des Filmers verlagert oder sich sein körperlicher Zustand auf die Bewegung des Bildes überträgt. Wie kein anderes Medium war der tragbare Videorecorder als »Spielform der Selbstdarstellung«2 von Beginn an fest an den Körper gebunden und stellte den Künstler selbst als Modell und Protagonisten in den Mittelpunkt zahlreicher künstlerischer Selbstbetrachtungen.3 Durch die Synchronizität von Bild und Ton konnte eine zusätzliche Nähe der Betrachter*innen zu Mekas’ eigenem Körper vermittelt werden, reagieren wir in seinen Video-Werken doch ebenso unmittelbar auf all das, was der Filmer in diesen Momenten selbst wahrnahm oder auslöste: Das Schellen der Türklingel, der Schwenk zur Wohnungstür und der Griff zum Hörer der Gegensprechanlage, aber auch das Klicken des Lichtschalters und die darauffolgende Dunkelheit des Bildes im Moment des endgültigen Verlassens seiner langjährigen Wohnstätte (A LETTER FROM GREENPOINT, 2004).
Vergleichbar dem filmischen Medium, wandelte sich auch das Internet von einer reinen Informationsplattform schnell zu einem Medium für Amateur*innen, die im Zeitalter des Web 2.0 eigene und persönliche Inhalte beisteuern und einpflegen konnten. Auch Mekas erkannte das Potenzial dieses Formats für sein Schaffen und rief im Jahr 2006 – ein Jahr nachdem YouTube online ging – seine eigene Website www.jonasmekas.com ins Leben. Mit »Welcome! Friends!« begrüßt er alle Interessierten in seiner charakteristischen Handschrift, die bereits aus den Zwischentiteln seiner Filme bekannt ist und deren Urheberschaft er mit seiner Signatur »Jonas« schließlich besiegelt. 2007 startete er hier etwa sein 365 Day Project, dessen Anspruch es war, an jedem einzelnen Kalendertag des Jahres einen Filmclip aufzunehmen oder aus altem Material zu extrahieren und so in Form eines Web Diaries Einblick zu geben in seinen Verlauf des Jahres. Mit der Aufforderung, diese Clips auf den persönlichen iPod herunterzuladen, ließen sich diese Einblicke nun buchstäblich in das eigene Leben, den eigenen Alltag integrieren und zu jeder Zeit, von jedem Ort aus abspielen.
Nimmt man das Panorama dieses umfangreichen Œuvres also in den Blick, so lassen sich die Filme immer wieder als Landmarken einer identifikatorischen Selbstverortung und Selbstbefragung deuten. Zugleich sind sie als Stücke eines Gesamtprojekts denkbar, als hätte Mekas in seiner Filmarbeit ein Äquivalent zum Leben selbst gesucht, das Zäsuren, Neuausrichtungen, Ich-Konstruktionen kennt, aber für das Subjekt auch als kontinuierlicher Fluss von Ereignissen und Begegnungen wahrnehmbar bleibt, nahtlos sich fortsetzt oder fortgeschrieben wird. So wird die Konturierung der eigenen Persönlichkeit, die Mekas zu zeigen bestrebt ist, letztlich durch die lebenslange Inventur eines immensen filmischen Materialspeichers erreicht, in dem sämtliche Notate und Aufzeichnungen eines und zugleich vieler Leben abgelegt sind.
*
Der hier vorgelegte Band entstand in einer Zeit, in der die Kommunikation über verschiedene Kanäle und Bildschirme selbstverständlich geworden ist und in manchen Fällen das einzige Fenster zur Außenwelt bedeutet. Das Treffen im virtuellen Raum hat das Miteinander in Präsenz weitgehend ersetzt. Gemeinschaften werden verstärkt als Anordnung von Gesichtern in kleinen Kacheln sichtbar, in denen auch Einblicke in privateste Räume möglich