Reise um den Mond. Jules VerneЧитать онлайн книгу.
Barbicane.
Man suchte und fand eines der Tiere unter dem Diwan kauernd. Verstört und von dem Rückstoß zermartert war es bis zu diesem Moment, als ihm mit der Pein des Hungers die Stimme wiederkehrte, in diesem Winkel geblieben. Es war die liebenswürdige Diana. Noch ziemlich verdutzt kroch sie – nicht ohne sich bitten zu lassen – aus ihrem Winkel hervor. Doch Michel Ardan sprach mit zärtlichen Worten zu ihr.
»Komm, Diana!«, sagte er. »Komm, mein Kind! Dein Geschick wird in den Annalen der Hundezüchtung Epoche machen! Die Heiden hätten dich dem Gott Anubis zur Lebensgefährtin gegeben und die Christen dem heiligen Rochus zur Freundin! Du verdienst vom König der Unterwelt in Erz gegossen zu werden, wie jener, den Jupiter der schönen Europa für einen Kuss hingab. Du wirst berühmter werden als die Helden zu Montargis und auf dem St. Bernhard! In die Weltenräume geschleudert wirst du vielleicht zur Stammmutter der Selenitenhunde! Dort oben wirst du vielleicht Toussenels Ausspruch rechtfertigen: ›Im Anfang schuf Gott den Menschen, und da er ihn so schwach sah, gab er ihm zum Gefährten den Hund!‹ Komm, Diana, komm her!«
Diana, geschmeichelt oder auch nicht, kam langsam herbei und jammerte kläglich.
»Gut!«, sagte Barbicane. »Hier ist Eva, aber wo ist Adam?«
»Adam!«, erwiderte Michel. »Adam kann nicht weit sein! Irgendwo ist er! Man muss rufen! Trabant! Hier! Trabant!«
Aber Trabant kam nicht zum Vorschein. Diana jammerte weiter. Man überzeugte sich jedoch, dass sie nicht verwundet war, und gab ihr zur Beruhigung einen leckeren Brocken. Trabant schien gar nicht mehr vorhanden zu sein. Man musste lange suchen, bis man ihn endlich in einem der oberen Fächer des Projektils fand, wohin ihn der Rückstoß in kaum zu erklärender Weise mit Gewalt geschleudert hatte. Das arme Tier war arg beschädigt. Es befand sich in einem jämmerlichen Zustand. Man hob es behutsam herunter. Es hatte sich an der Decke den Kopf angeschlagen und schien schwerlich durchzukommen. Man ließ es sich bequem auf einem Kissen ausstrecken. Da ließ es einen Seufzer hören.
»Wir pflegen dich«, sagte Michel. »Wir sind für dein Leben verantwortlich. Ich würde lieber einen Arm verlieren als eine Pfote meines armen Trabanten!« Mit diesen Worten reichte er dem Patienten einige Schluck Wasser, welches dieser gierig schlürfte.
Hierauf beobachteten die Reisenden aufmerksam die Erde und den Mond. Die Erde zeigte sich nur noch als düster beleuchtete Scheibe mit einer noch schmaleren Sichel am Rande als abends zuvor; doch war ihre Größe im Vergleich mit der des Mondes, der mehr und mehr in vollständiger Kreisform auftauchte, noch enorm.
»Wahrhaftig!«, sagte Michel Ardan. »Es tut mir ernsthaft Leid, dass wir nicht abreisten, als die Erde in vollem Licht war, d.h., als sie in Opposition zur Sonne stand.«
»Weshalb?«, fragte Nicholl.
»Weil wir unser Festland und die Meere in einer anderen Beleuchtung gesehen hätten. Die Erde im Glanz der darauf fallenden Sonnenstrahlen, die Meere in düsterer, so wie man sie auf manchen Landkarten darstellt! Ich hätte gerne die Erdpole gesehen, die den Blicken der Menschen bislang noch verborgen geblieben sind!«
»Allerdings«, erwiderte Barbicane. »Allein, wenn die Erde in vollem Licht erschien, musste es Neumond sein, d.h., der Mond war durch die Sonnenbestrahlung nicht sichtbar. Nun ist es aber doch besser das Ziel, wohin wir gelangen wollen, ins Auge zu fassen, als den Punkt, von dem aus wir unsere Reise begannen.«
»Sie haben Recht, Barbicane!«, erwiderte Kapitän Nicholl. »Wenn wir auf dem Mond angekommen sind, werden wir in den langen Mondnächten im Übrigen noch Zeit genug haben, die Erde, auf der es von unseresgleichen nur so wimmelt, andächtig zu beschauen!«
»Unseresgleichen!«, rief Michel Ardan. »Aber jetzt sind sie das nicht mehr. So wenig wie die Seleniten. Wir bewohnen eine neue Welt, das Projektil, dessen einzige Bevölkerung wir sind. Wir drei sind allein unseresgleichen. Draußen, droben, sonst keine Menschen. Wir wollen diesen Mikrokosmos solange allein bewohnen, bis wir Seleniten werden!«
»Dies wird in etwa 88 Stunden der Fall sein«, versetzte der Kapitän.
»Das bedeutet...?«, fragte Michel Ardan.
»Es ist jetzt halb neun Uhr«, erwiderte Nicholl.
»Nun«, fuhr Michel fort, »so sehe ich durchaus keinen Grund, warum wir nicht unverzüglich frühstücken sollten.«
In der Tat, ohne zu essen, konnten die Bewohner des neuen Gestirns nicht leben, und die Gesetze des Hungers machten sich damals gebieterisch geltend. Als Franzose erklärte sich Michel Ardan zum Küchenmeister; und niemand konnte in dieser Position mit ihm wetteifern. Das Gas gab hinreichende Hitze für die Zubereitung und der Vorratsbehälter lieferte die Lebensmittel für die erste Mahlzeit.
Das Frühstück begann mit drei Tassen vortrefflicher Bouillon, welche durch Auflösung jenes köstlichen Liebigschen Fleischextrakts, der aus den besten Stücken der Pampas-Rinder bereitet wird, hergestellt wurde. Hierauf folgten einige Stücke Beefsteak, die mit Hilfe einer hydraulischen Presse zusammengedrückt wurden. Diese waren so zart und saftig, wie man sie auch im Cafe Anglais in Paris bekommen kann. Michel Ardan versicherte – seiner Phantasie entsprechend – sogar, sie seien ›blutig‹. Auf das Fleischgericht folgte konserviertes Gemüse, das, wie ebenfalls der liebenswürdige Michel versicherte, ›frischer als das natürliche‹ war. Zuletzt gab es noch einige Tassen Tee und Sandwiches. Der ausgesuchte Tee, welcher der Kaiser von Russland den Reisenden hatte zukommen lassen, war ein Aufguss allererster Güte. Um das Festmahl zu krönen, holte Ardan schließlich eine feine Flasche Nuits, die sich ›zufällig‹ in einem Vorratsfach fand. Diese Flasche leerten die drei Freunde gemeinsam unter dem Motto einer erfolgreichen Kontaktaufnahme zwischen Erde und Mond. Und als begnüge sich die Sonne nicht, das köstliche Produkt auf den Burgunder Rebhügeln zur Reife gebracht zu haben, wollte sie auch Gesellschaft leisten. Denn in diesem Augenblick verließ das Projektil den Bereich des Schattenkegels, welchen die Erde wirft, und glänzende Sonnenstrahlen fielen entsprechend dem Winkel, den die Umlaufbahn des Mondes um die Erde macht, gerade auf den Boden des Gefährts.
»Die Sonne!«, rief Michel Ardan.
»Allerdings«, erwiderte Barbicane. »So dachte ich es mir.«
»Doch erstreckt sich der Schattenkegel nicht hinter der Erde noch über den Mond hinaus?«, fragte Michel.
»Sogar weit darüber hinaus, wenn man die Brechung durch die Atmosphäre nicht berücksichtigt. Wenn der Mond aber ganz von diesem Schatten eingehüllt ist, dann befinden sich die Zentren der drei Gestirne, Sonne, Erde und Mond, in einer geraden Linie. Dann treffen die Knoten mit den Phasen des Vollmonds zusammen und es entsteht eine Verfinsterung. Wären wir im Moment einer Mondfinsternis abgefahren, so hätte unsere ganze Fahrt im Dunkeln stattgefunden, was unangenehm gewesen wäre.«
»Weshalb?«
»Weil unser Projektil, obwohl wir uns im leeren Raum bewegen, in der Mitte von Sonnenstrahlen getroffen, Licht und Wärme von ihr erhalten würde, sodass man demnach Gas spart; eine in jeder Hinsicht kostbare Einsparung.«
In der Tat, durch die Einwirkung dieser Strahlen, deren Wärmegrad und Glanz nicht durch eine Atmosphäre abgemildert wurde, wurde das Projektil sowohl erleuchtet, als auch erwärmt, so als wäre es plötzlich aus dem Winter in den Sommer gekommen. Von oben spendete ihm der Mond, von unten die Sonne Licht und Wärme.
»Man kann sich hier sehr wohl fühlen«, sagte Nicholl.
»Das glaube ich gerne!«, sprach Michel Ardan. »Hätten wir etwas fruchtbare Erde in unserem Aluminiumplaneten, so könnten wir binnen 24 Stunden Erbsen zum Wachsen bringen. Ich habe nur die eine Sorge, dass die Wände unserer Kugel schmelzen könnten!«
»Beruhige dich, wackerer Freund«, erwiderte Barbicane. »Das Projektil hatte, während es durch die atmosphärischen Luftschichten glitt, eine weit höhere Temperatur auszustehen. Ich wäre nicht einmal erstaunt, wenn es in den Augen der Floridaner wie ein feuriger Bolide ausgesehen hätte.«
»Aber