Rettungskreuzer Ikarus 11 - 20: Verschollen im Nexoversum (und 9 weitere Romane). Sylke BrandtЧитать онлайн книгу.
aussaugen.
Nie hatte Shilla solche Worte verwendet. Auch ihre Fähigkeiten hatte sie stets behutsam und diskret eingesetzt, wenn es sich nicht hatte vermeiden lassen.
Es schwang etwas Düsteres und Bedrohliches in diesem Satz.
Jason hatte schon Menschen gesehen, denen das Gedächtnis ausgesaugt worden war. In seinen Gedanken tauchten die Gesichter von Frauen und Männern auf, die Opfer von inhumanen Experimenten skrupelloser Wissenschaftler geworden waren. Folter, Psychodrogen, Gehirnlobotomie und was sich die sadistischen Forscher sonst noch hatten einfallen lassen – fast jeder der Gemarterten war nach der Behandlung zu einem Idioten geworden. Abadoon war die Hölle gewesen … Und Joran …
Jason verdrängte die furchtbaren Bilder aus seinem Geist. Würde er die Vergangenheit nie hinter sich lassen können? Würde er erst Ruhe finden, wenn Joran und seine Handlanger für ihre Verbrechen bestraft worden waren? Wenn die tödlichen Lager auf Abadoon dem Erdboden gleichgemacht worden waren?
Das Gedächtnis aussaugen. Konnte Shilla das? Konnte die Telepathin … war sie wirklich zu etwas Derartigem fähig?
Eine Gänsehaut überzog plötzlich Jasons Haut.
Commander Charkh saß regungslos in seinem Sessel. Die langen Beine hatte er bequem gefaltet. Allein zwei Punktaugen richteten sich als Zeichen für seine Aufmerksamkeit auf Sessha.
Die hochgewachsene Hashura erstattete Meldung. »Sir, Crii-Logan sandte das vereinbarte Signal. Unser Mann besitzt alle relevanten Informationen.«
»Danke.« Der Arachnoid entspannte sich, indem er die Beine noch etwas näher an seinen Körper heranzog. Im Moment gab es für ihn nichts zu tun.
Als sich Sessha nicht entfernte, fragte er leicht indigniert: »Ist noch etwas, Nummer zwei?«
Prompt ertappte er sich dabei, seine Vorderbeine reiben zu wollen. Es gelang ihm einfach nicht, in der Nähe eines Weibchens eine vage Nervosität zu unterdrücken, selbst dann nicht, wenn es einer anderen Spezies angehörte, für ihn keinerlei anatomische Reize besaß und völlig ungefährlich war. Natürlich schätzte Charkh seinen Zweiten Offizier und jedes andere weibliche Crewmitglied sowohl als Person wie auch als wertvollen Mitarbeiter. Aber mussten sie ausgerechnet Weibchen sein? Er bemühte sich, seine Unruhe vor Sessha zu verbergen.
Die Nähe des Angeli-Weibchens hätte ihn sogar fast in Angststarre fallen lassen … Kein Zweifel, die Besucherin war eine Angeli, denn sie verfügte über die legendäre Macht, in Köpfe zu schauen, Furcht in die Herzen zu pflanzen und zu lenken. Zum Glück war die Bevollmächtigte nicht mehr an Bord. Aber noch wichtiger war, dass sie nichts bemerkt hatte, obwohl sicher jeder von ihr der Prüfung unterzogen worden war.
Sessha biss sich auf die volle, blassrosa Unterlippe. »Was meinen Sie, Sir? Sind die beiden wirklich …?«
»Wir werden es bald wissen«, entgegnete Charkh absichtlich knapp, um eine Diskussion zu unterbinden. Spekulationen waren ohnehin fruchtlos. Bald würden sie Fakten haben – und handeln können.
Der Lakai war sympathisch gewesen, ein interessanter Mann, gerissen und zweifellos gefährlich, machte man ihn sich zum Feind. Er schien aber auch … sonderbar. Vielleicht hatte er dieses wichtige Amt noch nicht lange inne oder er war … was? Und was war dann die Angeli?
Was auch immer die Wahrheit sein mochte, hoffentlich trübte Sesshas Interesse an dem Lakaien dann nicht ihr Urteilsvermögen. Dass die Humanoiden aber auch ständig paarungsbereit sein mussten …
Endlich ging das Weibchen auf seinen Posten. Der Arachnoid atmete erleichtert auf und begann, von seiner weit entfernten Heimatwelt zu träumen. Dort herrschte das ganze Jahr über dasselbe trockenheiße Klima, nach dem er sich zunehmend sehnte, seit seine Gelenke aufgrund der Feuchtigkeit an Bord der Sentok knacksten. Es war eine schöne, friedliche Welt, die dem Nexus nicht viel zu bieten hatte, sodass man seine Bewohner weitgehend unbehelligt ließ. Jeder ging seiner Beschäftigung nach, einmal im Jahr paarte man sich mit einem Weibchen … Er zitterte und rieb seine Vorderextremitäten. Hatten die Humanoiden ihn etwa angesteckt? Er verdrängte die unwillkommenen Fantasien an paarungswillige Weibchen seiner Art.
Die nächsten Stunden mochten die Ruhe vor dem Sturm sein und er wollte sie nicht in Angststarre verbringen …
Auf Reputus wurden Jason und Shilla überschwänglich von einer Abordnung der Administration empfangen. Zur Überraschung des Händlers, der sich Gedanken über die Dauer ihres Aufenthalts und die Bezahlung gemacht hatte, erklärte man, die Celestine bevorzugt zu behandeln, und natürlich fielen dafür keinerlei Kosten an, denn es war für den ganzen Planeten eine große Ehre, dass eine Edle Bevollmächtigte ihren Fuß auf seine Oberfläche gesetzt hatte.
Das Begrüßungskomitee buckelte devot, was insbesondere bei den Nichthumanoiden in merkwürdige Verrenkungen ausartete. Sie alle drängten sich um Jason und Shilla, einige versuchten sogar, das Gewand der Bevollmächtigen heimlich zu berühren, was zur Folge hatte, dass sich die Vizianerin noch dichter an Jason drängte, was ihm unter anderen Umständen weiche Knie beschert hätte. Gesäuselte Komplimente und Beteuerungen, den Gästen jeglichen Wunsch erfüllen zu wollen, begleiteten die enervierende Zeremonie.
Sie benahmen sich, als wären sie high, bemerkte Jason, berauscht von Shillas unwiderstehlichen Pheromonen … Verrückt!
»Gewiss«, dachte er sarkastisch, »werden sie sich hüten, einen anderen Gedanken als das übliche Die Bevollmächtigte muss zufrieden sein an die Oberfläche kommen zu lassen. Langsam begreife ich, dass diese einstudierte Litanei mehr als eine Höflichkeitsfloskel ist. Sie scheint den Leuten zu helfen, ihre wahren Gedanken vor Telepathen zu verbergen. Die Angst vor den Angeli muss immens sein, wenn niemand auch nur für einen Moment seinen Schutz vernachlässigt. Dabei haben deine mysteriösen Verwandten sicher Besseres zu tun, als jedem Bürger des Nexoversums ins Gehirnskästchen zu schauen.«
»Du hast recht«, stimmte Shilla ihm zu. »Einmal abgesehen davon, dass die Muster fremdartig und schwer zu interpretieren sind, kann ich wirklich nichts anderes auffangen als Gleichmütigkeit und das Bedürfnis, uns zufriedenzustellen – wie ich es auch auf der Sentok wahrnahm. Es gibt keine negativen Emotionen, niemand stellt unsere Identität infrage. Die Gedanken sind zu … einheitlich, um echt zu sein. Es müsste doch wenigstens ein paar kritische Meinungen geben, aber nichts, jeder strahlt dieselbe Freundlichkeit und Unterwürfigkeit aus.«
Jason konnte ein dünnes Lächeln nicht unterdrücken. »Jedenfalls zeigt uns das, dass die Völker mit der Herrschaft des Nexus weniger glücklich sind, als sie vorgeben, und zum Widerstand bereit sind. Immerhin haben sie eine Möglichkeit gefunden, ihre wahren Empfindungen vor Telepathen geheim zu halten.«
Mit einem Fahrzeug brachte man die Gäste in ein nahes Hotel, das von den Besatzungen der Schiffe genutzt wurde, die sich längere Zeit auf Reputus aufhielten.
Unterwegs stellte Jason fest, dass der Planet tatsächlich so trostlos war, wie er vom Orbit aus und auf den Fotos gewirkt hatte. Wohin Jason auch blickte, überall gab es nur Zweckbauten und kein bisschen Grün. Die Luft war zwar atembar, jedoch lagen die Werte für einige Schadstoffe jenseits der Toleranzgrenze, wie eine Analyse ergeben hatte. Die veralteten Wiederaufbereitungsanlagen schafften es nicht, alle giftigen Substanzen herauszufiltern.
Ein Stück vom Raumhafen entfernt mischten sich hässliche, graue Wohngebäude und Freizeitanlagen zwischen die Fabriken. Es waren ausnahmslos quaderförmige Hochhäuser mit genormten Fenstern und Eingängen. Niemand hatte sich die Mühe gemacht, hier und da individuelle Zierden anzubringen oder Farbakzente zu setzen. Ob es in den privaten Heimen auch so trist aussah – oder verbargen die nüchternen Wände kleine Oasen der Behaglichkeit?
Je näher man dem Stadtbereich kam, umso häufiger waren Arbeiter und Spaziergänger auf den Straßen zu sehen. Der humanoide Typus schien den größten Prozentsatz der Bevölkerung