Geschichte Italiens. Wolfgang AltgeldЧитать онлайн книгу.
Die »Pippinische Schenkung«
König Pippin hatte 754 versprochen, »dem heiligen Petrus« die von den Langobarden geraubten Gebiete »zurückzuerstatten«. Worin diese »Pippinische Schenkung« genau bestand, ist jedoch unklar. Ein Text ist nicht überliefert, ebensowenig der Text, der Karl dem Großen nach dem Bericht des Liber Pontificalis 774 präsentiert und von ihm bestätigt wurde, sondern erst das Privileg Ludwigs des Frommen von 817 (Hludowicianum), aber auch dieses nur in einer späteren Abschrift, die zahlreiche Interpolationen aufweist: Die Namensliste nennt auch einige Orte, die später nicht zum Kirchenstaat gehörten, und macht teils phantastische Angaben (Korsika, Sardinien, Sizilien, Benevent, Salerno, Neapel und Kalabrien). Einige Namen sind nicht eindeutig zu identifizieren. Im Original liegen erst die Bestätigungen Ottos des Großen (Ottonianum von 962) und Heinrichs II. (Heinricianum von 1020) vor.
In welcher Form diese Schenkung erfolgen sollte, ist aber nicht ganz klar: Sollte (was dann später tatsächlich geschah) ein weltliches päpstliches Herrschaftsgebiet [22]errichtet werden, und welche Rechte sollte Pippin dort haben? Oder war lediglich die Rückgabe der Patrimonien (des Großgrundbesitzes) in diesen Gebieten geplant – auch das ein wichtiger Aspekt für den Papst, seit er von seinen Einkünften in Süditalien abgeschnitten war? Besondere Schwierigkeiten bereitet die Nennung einer Demarkationslinie (confinium), die sich in Norditalien von Luni bis Monselice zieht: Die Interpretationen reichen vom Plan einer Teilung des Langobardenreichs zwischen dem Papst und den Franken bis zur bloßen Abgrenzung von Einflusssphären; es ist aber beobachtet worden, dass sich noch die Ottonen bei Bischofsernennungen nördlich und südlich dieser Linie unterschiedlich verhielten.
Pippin und Karl setzten das Schenkungsversprechen jedenfalls nicht so um, wie es ursprünglich geplant war, zumal sich nach der Eroberung des Langobardenreichs durch Karl den Großen die Frage ohnehin anders darstellte als unter Pippin. Dieser hatte dem Papst 756 im Wesentlichen nur die östliche Hälfte des Exarchats Ravenna übertragen; Karl der Große fügte 774, 781 und 787 weitere, aber durchaus nicht alle beanspruchten Gebiete hinzu.
Nach dem Ende der unmittelbaren Karolingerherrschaft im Jahre 875 schrumpfte der Kirchenstaat auf den Dukat von Rom und die angrenzenden Gebiete; die übrigen Teile entglitten der päpstlichen Kontrolle (im Exarchat hatte ohnehin der Erzbischof von Ravenna als eine Art dauernder Stellvertreter des Papstes mit guten Beziehungen zum karolingischen Hof fungiert). Erst die Restitutionen der Ottonenzeit brachten wieder eine Wende.
[23]Islamische Eroberung Siziliens
Das 9. Jahrhundert bereicherte die Geschichte Italiens durch eine weitere Komponente: die islamische Herrschaft auf Sizilien und die islamischen Eroberungsversuche auf dem Festland und auf Sardinien und Korsika.
Erste sarazenische Razzien gegen Sizilien werden schon für die Jahre 652 und 677 gemeldet, dann in dichter Folge für 700, 704, 705, 720, 728, 729, 730, 732, 733, 740, 752, schließlich für 819/820. Die Eroberung der Insel wurde, ähnlich wie ein Jahrhundert zuvor in Spanien, durch interne Konflikte begünstigt: Als der byzantinische Admiral Euphemios wegen eigenmächtiger Handlungen abgesetzt werden sollte, versuchte er dem durch eine Rebellion zuvorzukommen, indem er sich selbst zum Kaiser aufwarf. Er fand aber auf Sizilien nicht die erhoffte Unterstützung, musste nach Afrika fliehen und glaubte nun, mit sarazenischer Hilfe seine Ambitionen befriedigen zu können. 827 wurde der arabische Kriegszug beschlossen; am 17. Juni landete das Heer bei Mazara auf Sizilien. Dann aber blieb das Unternehmen zunächst stecken. Euphemios – ohnehin nur willkommener Anlass für einen Kriegszug, der auch ohne ihn ›fällig‹ gewesen wäre – spielte keine Rolle mehr und wurde 828 ermordet.
In der Folgezeit wurde Sizilien zum Anziehungspunkt für Glücksritter aus allen Teilen der islamischen Welt, die zu Hause keine Entfaltungsmöglichkeiten fanden. Hingegen erhielten die christlichen Verteidiger, vor allem bedingt durch die bürgerkriegsähnlichen Zustände in Süditalien, nur wenig Unterstützung. Dennoch zog sich die Eroberung der Insel das gesamte 9. Jahrhundert hin: Im Herbst 831 fiel [24]Palermo, 843 Messina, 857 Cefalù, 859 Enna, 869/870 die Insel Malta, schließlich 878 Syrakus, während Taormina und Catania noch bis 902 byzantinisch blieben.
Parallel dazu erfolgten Raubzüge gegen Sardinien und Korsika und entlang der gesamten Küste des italienischen Festlandes. An einigen Stellen, so am Garigliano und in Bari, konnten sich die Eindringlinge festsetzen, und es gelang oft erst nach Jahren, sie wieder zu vertreiben. Am spektakulärsten war die Plünderung der Peterskirche in Rom im Jahre 846; dies gab den Anlass zum Bau der in Resten heute noch erhaltenen Mauer um die Leostadt.
Die karolingische Herrschaft
Als Pippin 768 starb und das Frankenreich unter seine Söhne Karl (den Großen) und Karlmann aufgeteilt wurde, stellte der langobardische König (seit 757 Desiderius) in dem unvermeidlich erscheinenden Konflikt der beiden Brüder einen wichtigen Bundesgenossen dar. So konnte er es wagen, die durch die fränkischen Interventionen unterbrochene Abrundung des Langobardenreiches erneut zu versuchen. Indes starb Karlmann schon 771, und Karl als Alleinherrscher schritt zur Eroberung Italiens und übernahm selbst die langobardische Königswürde. Der Sonderstellung Italiens trug er durch die Nennung der Langobarden in seinem Königstitel (rex Francorum et Langobardorum, so auch später im Kaisertitel) und durch die Einsetzung seines Sohnes Pippin (gest. 810, noch vor Karl) als Unterkönig Rechnung.
In noch engere Beziehung zu Italien trat Karl der Große durch seine Kaiserkrönung am Weihnachtstag 800. Der 795 [25]gewählte Papst Leo III. wurde von seinen politischen Gegnern während einer Prozession überfallen und schwer misshandelt (die Berichte über eine Verstümmelung und anschließende Wunderheilung sind Legende), konnte aber zu Karl dem Großen nach Paderborn fliehen. Dort wurde vereinbart, dass er Karl in Rom zum Kaiser krönen solle, um so einerseits Karls Rang, der über den eines gewöhnlichen Königs ja bereits weit hinausging, angemessen zu erhöhen und andererseits eine Aburteilung der römischen Gegner des Papstes zu ermöglichen. (Die frühere, auf Einharts tendenziösem Bericht beruhende These, Karl sei durch die Krönung überrascht worden, ist von der Forschung widerlegt worden.) Die Bedeutung des Vorgangs für Italien liegt vor allem darin, dass er Rom als Ort der Kaiserkrönung festlegte und so die Italienzüge der späteren deutschen Könige erforderlich machte; dies führte zu einer besonders engen politischen Verbindung zwischen Deutschland und Italien.
Durch die Erbteilungen der späteren Karolinger fiel das ehemalige Langobardenreich, ab jetzt gewöhnlich regnum Italiae oder regnum Italicum genannt, zunächst an Kaiser Lothar I., später an Kaiser Ludwig II. Diesem gelang es, auch über das bislang autonome Fürstentum Benevent effektive Herrschaft auszuüben, indem er in die dortigen Erbstreitigkeiten eingriff. Auch gegen die Sarazenen ging er erfolgreich vor. Dann aber wurde er 871 von seinem eigenen Lehensmann, dem Fürsten Adelchis von Benevent, gefangen gesetzt und nur gegen Urfehde freigelassen – eine Freveltat, die ungeheures Aufsehen erregte, jedoch Ludwigs Ansehen ruinierte, das auch durch eine erneute Krönung in Rom nicht wiederhergestellt werden konnte.
[26]Ludwig II. starb ohne Erben 875. Nun setzte zwischen seinen west- und ostfränkischen Verwandten ein Wettlauf um die Kaiserkrone (und damit auch die italienische Königswürde) ein. Erfolgreich war zunächst Karl II. der »Kahle«, der an Weihnachten 875 (also genau ein Dreivierteljahrhundert nach Karl dem Großen) gekrönt wurde. Wahrscheinlich bei dieser Gelegenheit schenkte er dem Papst jenen Thron, der später als cathedra Petri missverstanden und als Reliquie verehrt wurde. Karl II. starb aber schon 877. Ihm folgte 879 Karl III. der »Dicke« nach (als Kaiser seit 881). Mit seinem Tod 888 endete die direkte Zugehörigkeit Italiens zum karolingischen Gesamtreich, da die verbleibenden Karolinger entweder unehelich geboren oder zu jung waren, um sofort Ansprüche durchzusetzen.