Эротические рассказы

Der Mann, der aus dem Fenster sprang. Ludwig LugmeierЧитать онлайн книгу.

Der Mann, der aus dem Fenster sprang - Ludwig Lugmeier


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bis sechs war es weit. Bis sechs war es so weit wie von Kesselberg nach Kochel und noch ein ganzes Stück dazu, die Straße hoch bis Urfeld und nach Italien. Oder fast, denn Italien war am weitesten.

      »Italien liegt hinter den Bergen«, sagte meine Mutter. »Erst kommt der Walchensee, dann Innsbruck und Tirol. Die Tiroler sind lustig, dann Bludenz und Italien. In Italien scheint die Sonne, wenn bei uns Nebel ist, und die Italiener singen so schön wie meine Freundin Mizzi. Die Mizzi ist auch Italienerin. Wie wir von Bludenz nach Wien gezogen waren, hat eines Tages die Mizzi vor der Tür gestanden. Berna, hat sie gesagt, jetzt bin ich auch in Wien. Die Mizzi ist immer noch in Wien. Wenn wir mal Geld haben, fahren wir nach Wien und besuchen sie. Da wird sie schaun! Dann gehen wir auf den Prater, zum Stephansdom und zur Donau. Die ist so breit wie der Kochelsee.«

      Wenn die Adriapost kam, stellte ich mich auf die Kesselbachbrücke und wartete. In Urfeld drückte der Fahrer auf die Hupe und die Adriapost machte tatütata. Das klang wie ein Trompetensignal. Dann kam der Bus langsam die Serpentinen herunter. An der vorletzten Kehre leuchtete er rot auf. Ich rannte auf die andere Straßenseite zur Bushaltestelle. Der Bus hatte eine Schnauze wie eine Bulldogge und fuhr vorbei. Aber ich stellte mich auf die Zehenspitzen und lauschte, ob die Italiener sangen. Ich glaubte, sie müssten Wiener Lieder singen. Wien, Wien, nur du allein. Aber der Bus donnerte vorbei. Und vielleicht waren die Italiener eingeschlafen, denn von der Adria war es weit und dazwischen lagen die Berge. Dann lief ich zurück und die Treppe hoch.

      »Hast du sie singen gehört?« fragte meine Mutter.

      Ich schüttelte den Kopf.

      »Vielleicht singen sie beim nächsten Mal. In einer Woche kommt wieder der Bus aus Italien. Komm mal mit.«

      Wir gingen ins Schlafzimmer und sie hielt mir die Muschel aus Italien ans Ohr. In ihr rauschte das Meer.

      »Die ist aus Italien«, sagte sie, »die hat mir der Willi aus dem Krieg gebracht.«

      Dann schraubte sie ihr Parfümflakon auf. Es war leer, aber von weit her wehte ein leichter Geruch.

      »Da war Rosenwasser drin. Ich hab mir immer nur einen Tropfen hierher getan, wenn ich mit der Mizzi ausgegangen bin. Das haben die Männer gleich gerochen. Wenn ich nicht deinen Vater im Herzogstandhaus kennengelernt hätte, wäre ich wieder nach Wien gegangen. Aber er ist fleißig und verdient Geld. Und vielleicht bauen wir ein Haus, wenn die Bank den Kredit bewilligt. In Wien wäre ich wieder bei der Mizzi gewesen, aber dann gäb es dich nicht. Dein Vater hat ganz ruhig dagesessen und nicht geredet. Er hat den ganzen Abend nur eine Flasche Bier getrunken, weil er nichts verträgt. Ich hab gedacht, stille Wasser sind tief.«

      Wenn mein Vater am Sonntag mit mir zum See spazierte, freute ich mich, denn er war groß und ich war klein. Sein Schatten hinkte und war viel länger als meiner. Er hatte eine kurze Lederhose an und um den Bauch den Russengürtel. Unter dem Rand des Hosenbeins sah eine Narbe raus. Da mußte ich immer draufschauen, wenn ich neben ihm lief.

      »Onkel Willi«, sagte ich, »hat aber keine Narbe am Bein.«

      »Ich setz dich in die Kutsche«, sagte er. »Die Kutsche ist eine Deligence.«

      »Deligence«, sagte ich.

      »Früher sind hier die Pferde gewechselt worden«, erklärte er. »Die mußten frisch sein, bevor sie die Kutsche die Kesselbergstraße hoch schleppten. Dann ist dein Opa hierhergezogen, weil das Walchenseekraftwerk gebaut wurde. Da haben sie die Kutsche in die Scheune gestellt.«

      »Ist die Oma eine Hexe?« fragte ich.

      »Die bringt nur Unfrieden ins Haus und weiß nichts.«

      Das Scheunentor stand einen Spalt offen, so daß er sich hineindrängen konnte. Drinnen war es düster. Im Dach waren Sparren durchgefault und heruntergebrochen. Die Scheune war groß und hinten standen schwarze Chaisen. Die Deligence stand in der Mitte. Sie hatte große Laternen, einen Kutschbock und einen Köcher mit einer Peitsche. Er öffnete den Verschlag und hob mich hinein. Es roch nach Staub und Leder und ich rief: »Hü!«

      »Los«, rief ich, »Hü! Hott! Hü! Los!«

      »Da sind keine Rösser dran«, sagte er und hob mich wieder heraus. Dann gingen wir weiter zum See. Aus den Stämmen der Linden am Feldweg ragten eingewachsene Porzellanisolatorenköpfe. Am Ufer lagen Treibholz, Flaschen und angeschwemmte Panzerminen. Neben der Schiffsanlegestelle roch es nach faulen Muscheln. Der Steg war verfallen, an einer Dalbe baumelte eine Kette und am gegenüberliegenden Ufer sah man das Kloster Schlehdorf. Ich warf Kiesel ins Wasser und die Stechlinge spritzten in Blitzbögen auseinander. Irgendwo weit draußen lag auf Grund das Motorschiff. Mein Vater ging in die Knie und zeigte mit dem Finger hin. Aber das Wasser war nur grün.

      »Das liegt auf Grund«, sagte er. »Es hat dem Hannemann gehört vom Sägewerk. Damit bin ich um den See gefahren, als ich in die Schule ging. Es war weiß. Wie der Krieg aus war, haben die Amis so lang drauf geschossen, bis es unterging.«

      »Onkel Willi hat keine Narbe vom Krieg.«

      Er zog das Lederhosenbein hoch. Die Narbe war lang und weiß und kein Haar wuchs drauf. »Der war auch nicht in Rußland«, sagte er. »Ich bin mit dem Schiff im Schwarzen Meer auf eine Mine gefahren. Dann ist es zerkracht. Ich bin hoch in die Luft geflogen und ins Wasser, aber da ist eine Bohle geschwommen und daran hab ich mich festgehalten, bis sie mich rausgezogen haben.«

      Ich stellte mir das Schwarze Meer schwarz vor. Ich stellte mir vor, wie er in die Luft flog, sich umdrehte und ins Wasser platschte. Patsch, klatsch! Die Stechlinge spritzten auseinander.

      »Dann haben sie mich ins Lazarett gebracht und das Bein in ein Streckgerät gespannt mit Eisengewichten dran«, erzählte er. »Da hab ich drei Monate gelegen.«

      »Mit dem Russengürtel?«

      »Der hat im Schrank gehängt. Jetzt ist gleich Mittag. Dalli dalli!«

      »Den hast einem Russen weggenommen.«

      »Der hat ihn nicht mehr gebraucht.«

      »Onkel Willi hat die Sau geklaut.«

      »Hat das die Hexe gesagt?«

      »Ja.«

      »Wenn du auf den Müllhaufen rumkriechst, stinkst du genauso wie sie.«

      Er schnupperte an meinem Ärmel.

      »Dalli dalli«, sagte er, »die Sau hat einem Bauern gehört, darum hab ich sie nicht genommen.«

      »Oma hat gesagt, du hast Schiß gehabt.«

      Er gab keine Antwort, aber seine Glatze wurde weiß.

      Der Russengürtel war braun und hatte eine Messingschnalle mit einem dicken Dorn. Mein Vater bohrte mit einer Ahle ein zusätzliches Loch in den Riemen und schnallte ihn mir um. Er zog ihn richtig fest und legte das Fotoalbum auf den Tisch. Da war mein Großvater mit einer Schaufel in der Hand, als er das Walchenseekraftwerk baute. Und mein Vater, als er klein war und in die Schule ging. Er trug die Pimpfenkluft mit kurzer Hose, Koppel und Dolch an der Seite. Hinter ihm hing eine Hakenkreuzfahne. Die Bilder waren vergilbt und hatten Zackenränder. Unter einem Weihnachtsbaum saßen Soldaten und auf dem Tisch standen Weinflaschen. Die Soldaten lachten. In Rußland ging es lustig zu und friedlich. Da standen Soldaten vor einem Holzhaus und legten sich die Arme um die Schultern. Nur der Himmel darüber war gelb. Der Russe mit dem Gürtel war nicht dabei. Aber vielleicht war er auf einem der Bilder gewesen, die jetzt fehlten. Von ihnen waren nur ein paar weiße Leimstellen auf dem schwarzen Papier geblieben.

      »Hast du den Russen erschossen?« fragte ich.

      Meine Mutter klapperte mit den Töpfen.

      »Dein Vater war nur ein kleiner Gefreiter«, mischte sie sich ein.

      Mein Vater beugte sich über das Fotoalbum.

      »Was für einen? Das ist kein Russe.«

      »Den mit dem Gürtel.«

      »Der hat sich die Hose mit Bindfaden zusammengebunden«, sagte er.

      »Im Krieg ist


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